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Nicht „einwilligungsfähig“?

Das Bundesjustizministerium ist stolz auf die geleistete Arbeit: 380 Seiten umfaßt der seit Ende März in den Medien diskutierte Diskussionsentwurf für ein neues Vormundschafts– und Pflegschaftsgesetz, der die aus der Zeit der Jahrhundertwende stammenden Paragraphen zur Entmündigung ablösen soll. „Ein kleines Weihnachtsgeschenk für die Alten und Behinderten“, freut sich die grüne Abgeordnete Unruh, und auch in der SPD stößt der Regierungsentwurf auf allgemeine Zustimmung. Scharfe Kritik kommt dagegen aus den Reihen der Behindertenbewegung, von weiten Teilen der Grünen und von der Deutschen Gesellschaft für soziale Psychiatrie: Der Engelhard–Entwurf regelt nämlich in einem neugeschaffenen Paragraphen 1905 BGB erstmals seit Inkrafttreten des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ wieder gesetzlich die Sterilisierung von sogenannten „Nicht–Einwilligungsfähigen“ und ermöglicht damit nach Einschätzung der KritikerInnen die Zwangssterilisierung. Im Justizministerium reagiert man auf diesen Vorwurf verärgert: „Sterilisation ist heute leichter möglich als nach unserem Ge setzentwurf, und daß wir die Möglichkeit der Zwangssterilisation schaffen würden, ist ein Mißverständnis.“ Denn, so argumentiert der Sprecher des Justizministeriums, jede wie auch immer geartete Artikulation einer zu sterilisierenden Person gegen den Eingriff soll die Durchführung der Sterilisation rechtlich unmöglich machen. Die KritikerInnen halten dagegen: Nicht nur eine Sterilisation gegen den Willen der Betroffenen, sondern auch eine Sterilisation ohne Willensäußerung der Betroffenen sei eine Zwangsmaßnahme. Sie bemängeln auch, daß die im Zentrum des Gesetzes stehende „Nicht–Einwilligungsfähigkeit“, die durch ärztliches Gutachten, zu dem die Betroffenen auch zwangsweise vorgeführt werden können, festgestellt werden soll, ein sehr weit auslegbarer Begriff sei. Das Argument, die Sterilisation sei heute, ohne das Gesetz, sehr viel leichter durchführbar, lassen sie nicht gelten. Es gibt juristisch nämlich keineswegs eine ungeklärte „Grauzone“, wie vom Justizministerium behauptet: Die Rechtslage ist eindeutig. Ein medizinischer Eingriff, und ein solcher ist eine Sterilisation, ist eine schwere Körperverletzung, wenn es keine ausdrückliche Einwilligung der Patienten gibt. Trotzdem werden derzeit nach Schätzung des Justizministeriums etwa 1.000 „einwilligungsunfähige“ Behinderte pro Jahr von Ärzten ohne die Einwilligung der Betroffenen bzw. gegen deren Willen auf Wunsch von Eltern oder Institutionen sterilisiert. Panorama berichtete 1984 von der Situation an einer Hamburger Sonderschule, wo in manchen Klassen mehr als 50 Prozent der Mädchen sterilisiert worden seien. Auch in West–Berlin wurden ähnliche Fälle bekannt - Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Ärzte, die Behinderte ohne derenm Wissen sterilisiert haben sollen, blieben bisher aber folgenlos: Die Tatsache, daß Eingriffe gegen den Willen der Betroffenen bzw. ohne deren Wissen durchgeführt wurden, erweist sich als äußerst schwierig. Trotzdem drängen aber gerade die Bundesärztekammer und die Medizinrechtler des einflußreichen Einbecker–Kreises auf das Sterilisationsgesetz, weil sie nicht „unter hohem Strafbarkeitsrisiko die Schmutzarbeit verrichten (wollen)“, wie es in einem Aufsatz im Deutschen Ärzteblatt 1984 heißt. Außerdem, so die Bundesärztekammer in einer Empfehlung zu dem Thema, sei es „im wohlverstandenen Interesse der geistig Behinderten, eine eigene Nachkommenschaft zu verhindern“. Oliver Tolmein

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