piwik no script img

Archiv-Artikel

„Nicht einfach darüber hinweggehen“

Reagieren auf den Rückschritt: Der Braunschweiger Rabbiner Jonah Sievers erklärt, warum er trotz des päpstlichen Affronts gegen die Juden zum Katholikentag nach Osnabrück fährt – und worin genau das Ärgernis an der neu formulierten Karfreitagsfürbitte besteht

JONAH SIEVERS, Jahrgang 1971, ist Geschäftsführer der Allgemeinen Rabbinerkonferenz Deutschlands. Betreut neben mehreren anderen niedersächsischen Gemeinden Braunschweig, wo er auch seit 2002 lebt – als erster Gemeinderabbiner nach der Shoah.

INTERVIEW BENNO SCHIRRMEISTER

taz: Herr Sievers, wann haben Sie sich entschieden, beim Katholikentag nicht abzusagen?

Jonah Sievers: Als Micha Brumlik und Walter Homolka abgesagt hatten – das war natürlich auch für mich der Moment über meine Teilnahme nachzudenken. Und dann habe ich mich aus ein paar Gründen dafür entschieden, nach Osnabrück zu fahren.

Welchen?

Zum einen: Es ist so, dass der Katholikentag vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken organisiert wird, der Laienorganisation. Das sind in diesem Fall unsere Verbündeten. Zweitens: Eben um dort über das Thema Karfreitagsfürbitte zu sprechen. Ich hatte nur eine Veranstaltung …

das Podium „Beten Juden und Christen zu demselben Gott“ …

… zusammen mit Professor Heinz-Günther Schöttler aus Bamberg. Diesen Workshop widmen wir um. Ursprünglich sollte Kardinal Walter Kasper dabei sein …

Also der Kurienkardinal, der die neue Karfreitagsfürbitte so wortreich verteidigt hatte.

Leider kann er nicht kommen. Wegen internationaler Terminschwierigkeiten. Ich weiß nicht, wann er genau abgesagt hat. Er ist jedenfalls nicht da. Nicht besuchen werde ich die Gemeinschaftsfeier, an der ich sonst teilgenommen hätte. Und was ich nicht machen werde: Workshops von Kollegen übernehmen, die abgesagt haben. Denn ich respektiere deren Position. Man kann so oder so Zeichen setzen. Beides ist wahrscheinlich nötig.

Durch die neue Karfreitagsfürbitte wird Judentum als defizitär gegenüber dem Christentum charakterisiert. Keine gute Basis für einen Dialog.

Wie gesagt: Ich glaube, dass der Dialog auf unterer Ebene weitergehen kann. Mit welchem Enthusiasmus man das mit dem Papst oder Vatikan weiterbetreiben muss oder sollte – das ist eine ganz andere Geschichte.

Schwierig, bei einer klar auf ein Oberhaupt ausgerichteten Kirche.

Dass das, wie Brumlik sagt, eine der verbliebenen absolutistischen Monarchien ist, dessen muss man sich schon immer bewusst sein. Aber ich denke, man kann zwischen der Hierarchie und dem, was die Leute vor Ort sagen, unterscheiden – für die Zusammenarbeit. Ich verstehe allerdings den Frust derjenigen, die sich, wie Homolka oder Brumlik, so lange in diesem Dialog befunden haben – und die das schon als Verrat empfinden. Das ist einfach so. Und obwohl es wirklich genügend Proteste gab, hat der jetzige Papst dafür kein Gespür.

Kann denn Kritik an einer Religion aus einer anderen sinnvoll sein?

Wenn der Papst auf solche Dinge zurückgreift, die historisch das Zusammenleben von Christen und Juden maßgeblich beeinflusst haben, dann ist es doch mehr als angebracht, sich dazu zu äußern! Dieses Gebet war mit dem Zweiten Vatikanum faktisch gestrichen – ohne dass es jemanden ernstlich gestört hätte. Und es hat nun einmal eine schreckliche Vergangenheit. Darüber kann man nicht einfach hinweggehen. Ob die nun Latein verwenden oder nicht, ob die mit dem Rücken zum Volk stehen, dazu wird kein Mensch etwas sagen. Auch ob damit ein anderes Kirchenverständnis, eine andere Hierarchie verbunden ist – das interessiert uns, ehrlich gesagt, auch nicht so richtig. Aber die Frage, ob Mission wieder auf die Tagesordnung kommt – die interessiert uns sehr. Gerade wegen der Vergangenheit.

Das wird nicht automatisch eine Grundsatz-Kritik?

Nein, wieso? Wir gehen auf das ein, was der jetzige Papst dort – na: zustande gebracht hat. Ich glaube nicht, dass man das apologetisch betreibt. Das ist nicht mein Sinn. Aber ich erwarte, dass – trotz des erheblichen Presse-Echos – viele Leute zum Katholikentag kommen, die von diesen Sachen nichts wissen.

Und denen sagen Sie?

Wir stellen unsere Position dar: Wir erklären, was uns daran nicht gefällt und warum – ohne den Katholiken etwas vorschreiben zu müssen. Aber es ist eben ein bisschen mehr als das, was Kardinal Kasper in seinem FAZ-Artikel zum Ausdruck gebracht hatte: Der hat den Konflikt dargestellt, als würden wir bloß ein bisschen mimosenhaft reagieren, und man müsse diese „Irritationen“ verstehen, weil wir ja so emotional geladen seien. Rational betrachtet, sei alles nur halb so wild. Dem würde ich – auch bei rationaler Betrachtung des Tatbestandes – widersprechen.

Die Neufassung sollte ja schon ein Kompromiss sein. Wo liegt denn für Sie das Hauptärgernis?

Das Hauptärgernis bleibt aus unserer Sicht, dass die Neufassung hinter die 1970 formulierte Fürbitte des ordentlichen Ritus zurückfällt. Die bestätigt, was das Zweite Vatikanische Konzil groß herausgehoben hatte. Und was zu dem Fortschritt der jüdisch-katholischen Beziehungen geführt hatte: Dass, aus katholischer Sicht, der Bund der Juden mit Gott nicht gekündigt ist. Da steht nichts von Jesus oder auch von einer endzeitlichen Hoffnung, dass die Juden nun alle Christen werden. Kasper bestreitet das zwar …

wenn er schreibt: „Die Neuformulierung spricht nur aus, was bisher als selbstverständlich vorausgesetzt, aber nicht thematisiert wurde“ …

…ja, im Sinne von: Es steht nicht expressis verbis da, war aber gemeint. Dem würde ich widersprechen: Vielleicht steht es ja auch nicht da, weil es wirklich eine Kehrtwende war in der theologischen Ausrichtung der katholischen Kirche. Dahinter geht die neue Karfreitagsfürbitte, die vom jetzigen Papst formuliert wurde, deutlich zurück.

DAS KARFREITAGSGEBET

Die im 6. Jahrhundert wurzelnde Karfreitagsfürbitte gilt als ein Quellentext des christlichen Antisemitismus. Ursprünglich bittet der Priester darin, „dass sie [die Juden] unseren Herrn Jesus Christus erkennen“. Verbindlich seit dem späten 16. Jahrhundert verknüpft dieser vermeintliche Segenswunsch die Erzählung vom Tod Jesu mit einer deutlichen Brandmarkung der Juden als „perfidis“ – treulos, perfid, heimtückisch – und verblendet.

Bereits vor 1933 gab es Bestrebungen, dieses Hassgebet abzuschaffen. Das geschah allerdings erst durch die 1970 abgeschlossene Liturgie-Reform infolge des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–65). In der damals neuen Messordnung vermeidet die Fürbitte jede jesuanische Wendung: „Er [Gott] bewahre sie [die Juden] in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen“.

Der jetzige Papst hat den alten Ritus zunächst als gleichberechtigte Sonderform zugelassen. Am 4. Februar hat er das antisemitische Gebet dann neu formuliert: Er lässt bitten, „dass unser Gott und Herr ihre [der Juden] Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus erkennen, den Heiland aller Menschen“ – laut dem Gesprächskreis Juden und Christen beim Zentralkomitee deutscher Katholiken eine „freundlicher klingende Formulierung“ des alten Sachverhalts.  BES

Aber doch nur in einer Sonderform der Liturgie!

Klar könnte man meinen, das ist ein Ritus, den ohnehin nur ein paar Lefebvre-Leute oder die Pius-Bruderschaft praktizieren, das stört doch weiter nicht. Aber die Tatsache, dass der jetzige Papst nach dem Protest nicht die 70er-Fürbitte in Latein einfach übernommen hat, sondern etwas neu formuliert hat, lässt doch wohl nur den Schluss zu, dass er damit ausdrückt, was er wirklich glaubt. Das finde ich sehr bemerkenswert.

Vor allem, weil bei der Papst-Wahl viele große Hoffnungen in Kardinal Ratzingers feinsinniges Verständnis des Judentums gesetzt hatten? Oder weil es ausgerechnet ein deutscher Papst ist?

Dass er es hätte wissen müssen, macht es, sagen wir: noch interessanter. Aber vor allem ist die theologische Ausrichtung problematisch: Die Frage nach Konversion wird damit wieder aufgeworfen.

Kasper betont doch, es sei keinesfalls an eine neue Judenmission gedacht …

… klar, das sei alles eschatologisch. Ich habe das mal ausprobiert: Ich habe ein paar Leuten die alte Fürbitte aus dem Messbuch von 1962 und die neue Benedikt-Version gezeigt. Laien natürlich, nicht Theologen. Komischerweise hat da keiner einen Unterschied gesehen. So kommt das ja bei den Leuten an: Man kann denen ja nicht gleich noch einen Grundkurs in Dogmatik verpassen, bevor die in die Kirche gehen. Man muss nicht alles populär formulieren – aber bei solchen Sachen sollte es schon klar sein.

Überraschend ist, dass dieser Gedanke an Judenmission jetzt wieder im Katholizismus Fuß fasst: Virulent war er zuletzt im protestantischen und evangelikalen Bereich, wie Deutscher Evangelischer Allianz und ‚Lausanner Bewegung‘.

Das ist eine ganz andere Qualität: Da gibt es tatsächlich diese Gruppen, die aber vor allem in Süddeutschland aktiv sind. An Braunschweig sind die aber Gott sei Dank bisher vorbeigezogen.