■ Daumenkino: Nicht cool genug
Weltende ist in: An den Küsten, liest man, steigt die Flut, und die Berliner Luft ist auch nicht mehr, was sie mal war. Höchste Zeit, den ultimativen Schocker zum Fin de millénaire an der Spree abzudrehen – was Oskar Roehler mit „Silvester Countdown“ in Angriff nahm. Man ahnt ja, was der Zeitgeist so an Stichworten flüstert, von A wie Nihilismus bis Z wie Ecstasy, und wie die Protagonisten auszusehen hätten. Rough und tough enough, um da entweder heil wieder rauszukommen oder mit fliegenden Pupillen ordentlich unterzugehen.
Doch Marie Zielcke, die in diesem Fall die Julia gibt, sieht nur so drogenschick kaputt aus wie Chloe Sevigny neulich auf dem Interview- Cover, und Rolf Peter Kahl, der Romeo, geht nicht einmal als Jürgen Vogel für Arme durch.
Die Story? Modelagenturfuzzi Romeo und Partygirl Julia beschäftigen sich hauptsächlich mit dem Austausch von Körperflüssigkeiten und haben sich auch ansonsten viel zu sagen. Derart angeödet fliehen sie zu Kumpels in die Berge und nach Warschau, wo aber auch nichts los ist – und wenn sie nicht gestorben sind, dann öden sie noch heute.
Denn leider gelingt es ihnen nicht, einfach mal die Klappe zu halten. Sie reden, und reden, bis sie erkennen: Mensch, die Hölle, das ist doch der andere! Ihre Endlosdialoge sind ungefähr so prickelnd wie lauwarme Afri- Cola mit einem Schuß Motorenöl, und die versuchsweise hektische Handkamera, die ab und zu sogar mal zum modischen Weitwinkel greift, packt ungerührt gnadenlose Längen aufs Zelluloid. Obendrein fragt sich, wie es jemandem nach 17 Jahren in Berlin nicht gelingt, auch nur eine einzige ordentliche Location zu finden.
Das leere Bürogebäude an der Warschauer Straße, in dem cooles Loft-Living angedeutet wird, wirkt so fade wie ein leeres Bürogebäude, und wer ausgerechnet auf dem Parkplatz an der Jannowitzbrücke einem wilden Leben entgegenrennt, hat wohl nicht nur seine Brille vergessen. Tief im Keller hört man die Laubsäge knirschen, und nicht einmal Christoph Schlingensief als schweigender Pole im Nachtzug und der großartige Harry Hass als Rotlicht-Kassierer retten dieses müde Kammerspiel. gl
„Silvester Countdown“. Buch, Regie: Oskar Roehler. Mit Rolf Peter Kahl, Marie Zielcke. Deutschland 1997, 85 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen