piwik no script img

Nicaraguas Drama endet versöhnlich

Alle Geiseln kommen frei, die Recontras erhalten ein „Reservat“ und der sandinistische Armeechef Ortega bleibt im Amt / Verbrüderung in der besetzten Parteizentrale  ■ Aus Managua Ralf Leonhard

Mit der Freilassung aller Geiseln am Mittwoch abend ist eines der dramatischsten und gleichzeitig skurrilsten Kapitel der Geschichte im postrevolutionären Nicaragua zu Ende gegangen. Die von Kardinal Obando y Bravo angeführte Verhandlungsdelegation erreichte am Nachmittag den Durchbruch. „Comandante Schakal“, der am 19. August mit der Gefangennahme einer parlamentarischen Friedenskommission die Krise ausgelöst hatte, verzichtete auf seine Forderung nach der sofortigen Absetzung von Armeechef Ortega und Präsidialminister Lacayo und unterzeichnete ein Abkommen, in dem sich die Regierung verpflichtet, sich binnen 60 Tagen mit seinem Forderungskatalog zu befassen. Außerdem wird der rechtsgerichteten „Nordfront 3-80“ eine Art „befreites Gebiet“ überschrieben, wo die Armee die größeren Ortschaften nicht verlassen darf. Vertreter des Kardinals und der Menschenrechtskommissionen sollen über die Einhaltung des Abkommens wachen.

Kurz nach der Unterzeichnung befanden sich die sandinistische Abgeordnete Doris Tijerino und die anderen vier noch verbliebenen Geiseln auf dem Heimweg nach Managua. Dort hatte sich inzwischen am Sitz der rechtsoppositionellen Parteienallianz UNO, der seit Freitag abend von einem linken Kommando besetzt gehalten wurde, Jubelstimmung breitgemacht. „Wir fühlen uns glücklich und stolz“, verkündete der Anführer der Gruppe, der Major i.R. Donald Mendoza, „der Friede ist heute näher denn je.“ Noch vor Mitternacht wurden Vizepräsident Virgilio Godoy und die anderen vier noch festgehaltenen Politiker an eine Kommission von drei Menschenrechtsgruppen übergeben.

Auf der Straße hatte jenseits des Polizeikordons bereits ein Empfangskomitee aus Angehörigen der letzten Geiseln, aber auch jenen Politikern, die 24 Stunden vorher noch selbst Gefangene gewesen waren, Aufstellung genommen. Als die unrasierten und ermattet wirkenden Männer auftauchten, stimmten sie die Nationalhymne an.

Die Geiselnehmer verbrachten noch unter dem Schutz internationaler Beobachter eine Nacht in der UNO-Zentrale. Donald Mendoza verzichtete auf ein Asylangebot der mexikanischen Regierung und äußerte seine Absicht, sich der „Revolutionären Arbeiter- und Bauernfront“ (FROC), die in der Nähe der Stadt Esteli operiert, anzuschließen.

Im besetzten Haus hatte die letzten Tage eine geradezu joviale Atmosphäre geherrscht. Donald Mendoza bezeichnete Virgilio Godoy als „einen Freund“, die Verabschiedungen waren herzlich. Und als der Wagen eines der vorher freigelassenen Politiker nicht anspringen wollte, half einer der vermummten Geiselnehmer beim Schieben.

Wie sich die Geiselaffäre auf das politische Kräfteverhältnis ausgewirkt hat, ist noch schwer zu beurteilen. „Die Verlierer sind diejenigen, die schon vor drei Jahren die Wahlen verloren haben“, erklärte Godoy trotzig. Der sandinistische Ex-Präsident Daniel Ortega, der sich während der Krise als geschickter Unterhändler erwies, hat an Statur gewonnen, während der umstrittene Präsidialminister Lacayo und seine Schwiegermutter, die Präsidentin Chamorro, keine gute Figur machten. „Frau Chamorro hat sich kein einziges Mal nach meiner Gesundheit erkundigt“, knurrte der Vizepräsident.

Ein am Samstag unterzeichnetes Dokument, in dem sich die damals auf freiem Fuß befindlichen UNO-Politiker zu einem ernsthaften Dialog mit Regierung und Sandinisten bereit erklärten, wollen die eben freigelassenen Parteichefs erst prüfen. Zuletzt hatten sie auf wirtschaftlichen Druck der USA und zivilen Ungehorsam gesetzt, um ihre Forderungen durchzusetzen. Zuallererst will die UNO aber untersuchen, inwieweit Daniel oder Humberto Ortega mit den Geiselnehmern im Bunde waren.

Armeechef Humberto Ortega, der seinen Kopf wieder einmal aus der Schlinge ziehen konnte, muß nun aber erklären, wie sich die Schaffung eines „Reservats“ für Recontras mit dem Anspruch des Gewaltmonopols der Armee verträgt. Und was passiert mit der Androhung militärischer Säuberungsaktionen gegen alle Gruppen, die bis Ende August ihre Waffen nicht abgegeben haben? Es sieht jedenfalls so aus, als hätte sich für den „Schakal“ die Geiselnahme trotz allem gelohnt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen