Next Stop Nagano: Erschreckende Ruhe
■ IOC-Mitglied Thomas Bach erzählt vom gemütlichen Plausch bei den Olympiern
Thomas Bach setzt sich die Brille noch schnell zurecht, dann kann das „Hintergrundgespräch“ beginnen. „Erschreckend ruhig“ gehe es zu bei der 107. Session des Internationalen Olympischen Komitees, meint das deutsche Mitglied der IOC- Exekutive, und nicht nur seine Miene läßt ahnen, daß dies den Olympiern durchaus recht ist. Bach schmunzelt und erklärt frei heraus, daß man es bevorzuge, „IOC-Sessions vor Olympischen Spielen möglichst frei von kontroversen Situationen zu halten“. Nicht etwa, um genügend Zeit für angenehmeren Zeitvertreib zu haben (bislang gab es erst einen einzigen Empfang für die IOC-Spitze!), sondern aus Weitsicht und Fürsorge heraus: „daß wir nicht die Perth-Situation bekommen, wo die Athleten und der Sport nur noch eine untergeordnete Rolle spielen“.
Perth, die Schwimm-Weltmeisterschaft, Doping, China. Diese Thematik mußte das IOC als höchste Institution des Weltsports auf die Tagesordnung setzen. Zur Wissenserweiterung der Journalisten erzählt Thomas Bach vom Vortrag des chinesischen IOC-Exekutivkomitee-Mitglieds Zhenliang He vor der Versammlung. Mit „seiner persönlichen Glaubwürdigkeit“ habe der Mann, den Kritiker eher einen notorischen Lügner denn einen zuverlässigen Informanten nennen, staatlich gesteuertes Doping in der Volksrepublik verneint. Und „einige Argumente“ habe er auch noch angeführt. China habe ein Gesetz, das Doping verbiete. Die politische Führung Chinas habe seinen Sportführern klargemacht, daß man Dopingvergehen als Verletzung des internationalen Ansehens der Nation betrachte. Und China gehöre nicht zu den Staaten wie etwa früher eine DDR, die sich über sportliche Leistungen in der Welt positionieren müssen.
Nach offizieller Sprachregelung des IOC ist China kein unsicherer Kantonist in der Dopingfrage. Alle erwischten Sportler, ob jene in Perth, jene 12 bei den Asian Games vergangenen Oktober in Hiroshima oder die weiteren 22 anno 1997 – alles Einzelfälle, die „hochgespielt wurden“, wie ausgerechnet Prinz Alexandre de Merode, der Vorsitzende der Medizinischen Kommission des IOC, zum besten gab. Daß die in Perth entdeckten Wachstumshormone von einer staatlichen chinesischen Stelle bei einer Firma in Dänemark geordert worden waren, davon weiß Bach nichts. „Das muß ich mir notieren. Eine staatliche Stelle? In Dänemark?“
Hätte das IOC nicht Druck ausüben müssen? Auf den Weltschwimmverband FINA, auf China. Hätte es nicht die Zulassung zu Olympia zur Disposition stellen können? Müßte man nicht endlich den sogenannten „Medical Code“ verabschieden, in dem Regeln zur Dopingprävention festgeschrieben werden sollen? Solche Fragen können Thomas Bach nicht aus der erschreckenden Ruhe bringen. Er selbst sei sehr „für die Einführung des Medical Code bis November“ und für finanzielle Sanktionen bei Zuwiderhandlung, doch sind die Widerstände groß. Von Autonomie der Fachverbände ist die Rede, von rechtlichen Schwierigkeiten, „wie das zum Beispiel mit der Häufigkeit der Dopingkontrollen zu handhaben ist in den verschiedenen Sportarten“ – und nicht zuletzt von der Meinung des IOC-Präsidenten. „Samaranch“, erklärt Bach, „hat gesagt, Zwang oder Druck ist nicht die Politik des IOC, wir wollen lieber überzeugen.“
Überzeugen? Für potentielle Betrüger wirken solche Sätze wie eine Einladung zum Dopen. Wer sich erwischen läßt, ist ein dummer Einzeltäter. Wer durchkommt und gewinnt, wird gefeiert, auch von den ehrenwerten Damen und Herren des IOC. Man könnte deren Gleichmut, deren Desinteresse, deren Abwiegeln für Naivität halten. Viel wahrscheinlicher aber ist es eine berechnende Untätigkeit mit folgender Botschaft: Bringt die besten Leistungen, egal wie, aber laßt euch nicht erwischen.
14.000 oder 16.000 Dopingkontrollen“, sagt Bach, hätten die Chinesen vergangenes Jahr durchgeführt. Im eigenen Lande, unaufgefordert in eigener Regie. Die Zahlen stammen von de Merode und lassen nur einen Schluß zu: Daß dieser Herr nicht wenigstens ruhig ist, ist erschreckend. Ralf Mittmann (Nagano)
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