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New Yorker Chronist der Occupy-Bewegung"Ich habe nie im Park geschlafen"

Der Literaturwissenschaftler Mark Greif war von Anfang an Begleiter der Occupy-Bewegung in den USA. Warum dort jeder willkommen ist, erklärt er im Interview.

Demonstrieren für das bessere Leben: Besetzer im New Yorker Zucotti-Park Bild: reuters
Mareike Barmeyer
Interview von Mareike Barmeyer

tazlab: Mark Greif, Sie haben das Occupy-Camp in Hamburg besucht - und es war nicht viel los. Glauben Sie, dass es eine Zukunft für die Idee von "Occupy Wall Street" gibt?

Mark Greif: Ich hoffe es. In New York hat es inzwischen Wiederbesetzungsversuche, Proteste und erfolgreiche Bemühungen gegeben, obdachlose Familien in zwangsvollstreckten Häusern unterzubringen. Allerdings kann niemand wissen, ob die Bewegung tatsächlich wieder die Massenbewegung wird, die sie für ein paar Monate war. Alle hoffen natürlich, dass mit dem warmen Wetter auch viele Menschen zurückkehren. Ich glaube nicht, dass sich die Missstände verändert haben, die die Menschen auf die Straße gebracht haben.

Sie werden als Chronist der Occupy-Bewegung bezeichnet. Sehen Sie sich selbst als Teil der Bewegung?

In gewisser Weise stehe ich abseits. Ich habe nie im Park geschlafen. Ich war tagsüber da und bin zu Protestmärschen gegangen, aber als Herausgeber der Gazette, unserer Gratiszeitung, die wir dort verteilt haben, sahen wir unsere Aufgabe im Sammeln von Geschichten der Beteiligten. Ich würde aber gerne noch einmal zurückgehen als jemand, der aus so einer Bewegung eine Massenbewegung macht.

Mark Greif

geboren 1975, studierte Geschichts- und Literaturwissenschaft in Harvard, Oxford, Yale. Er lebt in New York und ist Gründer und Mitherausgeber der dort erscheinenden Kulturzeitschrift n+1 und Assistenzprofessor für Literatur. Am 14. November erscheint sein Essayband "Bluescreen" bei Suhrkamp.

Sie haben OWS von Beginn an als Beobachter mit der Gazette begleitet. Haben sich Ihre Gefühle gegenüber OWS während dieser Zeit verändert?

OWS hat mir immer wieder gezeigt, wie falsch ich liege. Wir alle spüren die historischen Nachwirkungen von Achtundsechzig. Das Erbe der Sechziger und Siebziger waren Warnungen, wie eine linke Bewegung nicht funktionieren kann: Ihr müsst pragmatisch und verantwortungsvoll sein, ihr müsst mit Spaltung rechnen und sehr deutlich sein. All diese Ratschläge haben sich nicht bewahrheitet. Ich bin anarchistischen Strömungen gegenüber wohlwollender geworden. Es war nämlich gerade die Weigerung, deutlich zu sein, die das Ganze hat passieren lassen.

Als Sie mit den Leuten von Occupy in Hamburg sprachen: Gab es Unterschiede zu denen in den USA?

Die Fragen der Besetzer selber waren vor allem philosophischer Natur. Ist die Bewegung international oder lokal, reformistisch oder revolutionär? Dann meldete sich eine Gruppe junger Männer. Sie fragten mich, ob ich jemals im Park geschlafen hätte. Wenn nicht, dann dürfe ich ihrer Meinung nach auch nicht über Occupy reden. Schließlich luden sie mich ein, im Occupy-Camp in Hamburg zu übernachten. Als ich später dort ankam, schliefen alle längst, und ich ging nach Hause. Es stellt sich echt die Frage, was eine Bewegung bedeutet, wenn es Beteiligte gibt, die alles organisieren, und solche, die kommen und gehen.

Haben Sie im Zuccotti Park von Manhattan jemals diese Spaltung bemerkt?

Nein. Und das ist ein echter Erfolg. Dadurch unterscheidet sich Occupy von anderen politischen Organisationen. Dieses Authentizitätskriterium gibt es nicht. Es scheint selbstverständlich auch die willkommen zu heißen, die nur kurz dabei sind. Das sind genau die Leute, die sonst nicht auftauchen, die eine Massenbewegung ausmachen. Die Spießbürger, die kein politisches Bezugssystem haben, aber die sich um ihre Hypothek und ihre Krankenversicherung sorgen. Allerdings hat sich das geändert, sobald der Park geräumt wurde. Ich erinnere mich an einen Fall, wo einer der Beteiligten auf einer Generalversammlung sagte, dass diejenigen, die schon vorher da gewesen sind, und diejenigen, die im Park geschlafen haben, an der Generalversammlung teilnehmen sollten, während die neuen auf die Taschen aufpassen sollten, die man nicht mehr in den Park mitnehmen durfte. Das war das erste Mal, dass ich eine Spaltung erkannte. Seit der Räumung des Parks wurde viel Kraft darauf verwendet, eine Solidarität aufrechtzuerhalten, die einfach vorhanden war, als es noch einen physischen Ort gab.

Auch wenn OWS keine offiziellen Sprecher hat, gibt es doch einige Leute, die hervorstechen. Wo aber sind die Frauen?

Es ist überraschend und beunruhigend, dass die Frauen nicht sichtbar sind. Es ist doch gerade der Teil der aktiven Linken, der sich um die Diskussionsstrategien kümmert, der vom Feminismus geprägt ist. Es gab natürlich viele Diskussionen im Park darüber, warum Männer so viel sichtbarer sind. Im Scherz wurden die Anarchisten gar Mannarchisten genannt. Und auch im Park waren es sehr oft weiße Männer, die das Wort führten.

In einer seiner Reden im Zuccotti Park sagt der bekannte Philosoph Slavoj Zizek: "We know what we dont want, but what do we want?" Hat die Occupy-Bewegung keine klaren Forderungen?

Wenn ich nicht für den harten Kern der Organisatoren spreche, sondern für die anderen, die tatsächlich durch den Protest aktiviert worden sind: Für sie gab es schon vom ersten Tag an klare Ziele und Forderungen. Es ist komisch, denn es war ja eine philosophische Entscheidung, die zu diesem Modell "ohne Forderungen" geführt hatte. Und diese Idee kam sehr stark aus dem anarchistischen Flügel der Gemeinschaft. Zu dem Zeitpunkt dachte ich noch, das wäre eine schreckliche Idee. Aber ich lag falsch. Es war strategisch eine brillante Idee: Leute, die sich sonst zerstritten hätten, kamen wunderbar miteinander aus.

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