New Rave: Der heißeste Scheiß!
The Klaxons rufen mit ihrem Album "Myths Of The Near Future" in England eine neue Bewegung aus: New Rave. Bei uns ist das ein alter Hut.
E s ist geschafft! Lange hat es gedauert, sehr lange sogar, wenn man in Betracht zieht, wie kurz die Aufmerksamkeitsspanne der großen britischen Hype-Maschine ist. Doch nun dürfte er endlich offiziell vorbei sein: der Hype um die Bands, die ihren Gitarrensound beim Postpunk der frühen Achtzigern beziehen. Die Klaxons sind da! Und mit ihnen (und der britischen Musikpresse selbstverständlich) ein neuer Hype: New Rave.
Im Sinne der Revival-Logik ein sofort einleuchtender Sprung: Es bietet sich an, nach den großartigen frühen Achtzigern direkt an die folgende Jahrzehntwende zu hüpfen, je tiefer die bad music period der mittleren Achtziger im Vergessen versinkt, desto besser. Mit dem Summer of Love 1987 fing Rave an, in Manchester, als Ecstasy-gesättigter Versuch, den überwältigenden Maschinen-Sound von Acid House in die musikalische Formensprache einer Band zu übersetzen.
So funktionieren die Klaxons natürlich nicht. Ihr Kopf Jamie Reynolds kommt aus Southampton und war in der Grundschule, als es mit dieser Musik losging, Aufstieg und Fall der britischen Rave-Bewegung ist für ihn und seine zwei Bandkollegen eine Angelegenheit der Elterngeneration. Die Klaxons kommen vom Pop: jenem britischen Glaubenssystem, das - wie jede anständige Kirche - immer auch ein Unternehmen ist.
Und so sind sie - wie jeder Prediger, der etwas taugt - auch grandiose Scharlatane: In einem ihrer zahllosen (und immer höchst amüsanten) Interviews erzählen sie, sie hätten die Idee ihrer Band nach den Maßgaben des Buchs "Der schnelle Weg zum Nummer-1-Hit" des KLF-Masterminds Bill Drummond am Reißbrett entworfen: unverständliches Zeugs singen, das sich aber äußerst bedeutsam anhört, lauter Sounds bemühen, mit denen man sich in eine Reihe mit großen Bands der Vergangenheit stellen kann, ohne so zu klingen wie sie. Vor allem aber: eine Bewegung ausrufen, deren Existenzberechtigung sofort jedem einleuchtet, und sich umgehend an deren Spitze stellen. Diese Geschichte mag stimmen oder nicht (oder noch besser: die Behauptung, alles sei kalkuliert, mag selbst Teil der Strategie sein, Hits zu landen): Es funktioniert prima.
Die leicht angekanteten Gitarren gehen vortrefflich zusammen mit dem zweistimmigen Chorgesang, das Schlagzeug macht keine Faxen und marschiert vorwärts und zwischendrin bolzen Synthesizer-Riffs. Mit den britischen Ravebands der frühen Neunziger wie den Happy Mondays oder Primal Scream hat das nur recht wenig zu tun - obwohl das Grundgefühl durchaus ähnlich ist, auch die Klaxons hören sich an, als würden sie auf einer Welle von Ecstasy-getriebener Euphorie surfen. Dazu singen sie von dem Satanisten Aleistair Crowley ("Magick") oder lassen sich von dem amerikanischen Schriftsteller und Paranoiker Thomas Pynchon inspirieren ("Gravitys Rainbow"). Ein ganz großer Spaß für die ganze Familie, je leerer man seinen Kopf gemacht hat, desto besser läuft es rein.
Bleibt nur die besorgte Frage, die sich die ersten hiesigen Kritiker schon stellen: Wie kann es sein, dass dieser ganze Wahnsinn nicht nach Deutschland herüberschwappt? Das ist relativ einfach zu beantworten. Zum einen fehlt Deutschland grundsätzlich (wie jedem anderen Land auch) diese verstrahlte Pop-Craziness, die dazu führt, dass die Briten alle paar Monate den Verstand verlieren, weil wieder irgendeine Band die Popmusik komplett neu erfunden hat. Zum anderen aber, und das dürfte in diesem Fall wichtiger sein: Rave in England ist nicht Rave in Deutschland. In England ist diese Bewegung gleich mehrfach gestorben, als die Rave-Bands ihr Momentum verloren, als Gesetzgeber und Polizei anfingen, gegen die riesigen Raves vorzugehen, die Wochenende für Wochenende irgendwelche Landstriche heimsuchten und verwüsteten, und als die britische Tanzmusik sich schließlich neue Soundtracks suchte.
In Deutschland dagegen ist Rave nie weg gewesen. Mal hieß es Techno, heute nennen Leute es gerne Elektro, im Grunde ist es alles House. Der gerade Vierviertelbeat hat dabei einige Entwicklungen durchlaufen, aber er ist immer noch da. Und jedes Wochenende hören Hunderttausende seinen Ruf. Für etwas, was so lebendig ist, lässt sich kein glaubwürdiges Revival ausrufen. Damit macht man sich nur lächerlich.
The Klaxons: "Myths Of The Near Future" (Polydor/ Universal)
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