Neues zur Psychiatrie-Reform: Hilfe vor Ort
■ Ambulante Krisenzentren statt Kliniken
Wenn die Krise über Nacht kommt, bleibt Waller Bürgern oft nur eine Wahl: Sie müssen in die Zentralklinik nach Bremen-Ost (ZKH-OST). Das ZKH ist als Psychiatrie-Zentrale für fast 100.000 BürgerInnen in Walle, Gröpelingen, Findorff und Oslebshausen da. „Das muß nicht sein“, findet Jörg Utschakowski von der Regionalkonferenz West – ein Zusammenschluß aller staatlicher und freier Träger, die im Bremer Westen Menschen psychiatrisch versorgen. Als reformfähige Alternative legte die Regionalkonferenz deshalb ein völlig neues Konzept vor: Psychiatrie vor Ort und in den Stadtteilen sollte das neue Primat der Versorgung sein, fordern sie. Zwei Krisenzentren im Bremer Westen könnten PatientInnen ebensogut versorgen – und vor allem im Kreis von Freunden sowie Verwandten angemessen betreuen.
„Wir wollen ja Betten nicht ganz abschaffen“, erklärt Utschakowski. In den zwei geplanten „regionalen psychiatrischen Diensten am Krisenzentrum“ (RPDK) könnten jeweils zwölf Krisenbetten für akute Notfälle stehen (im zuständigen ZKH-Ost gibt es bisher knapp 60 Betten). Wer künftig in Not ist, könnte so von Ärzten, Pflegern und Sozialpäda
gogen im Stadtteil versorgt werden – und nicht mehr ans andere Ende der Stadt abgeschoben werden.
Schließlich ist zur Zeit nur ein Krisennotruf mit zwei Mitarbeitern für ganz Bremen da. „Wer dort ab 17 Uhr anruft, den können wir gar nicht über längere Stunden ambulant versorgen“, sagt eine Mitarbeiterin. Die Folge: Einweisung ins ZKH-Ost – und bis zu vier Wochen langer Klinikaufenthalt. „Das ist zugleich teuer und tut auch den Menschen nicht gut“, findet die Mitarbeiterin – „hätten wir ambulante Angebote, würde so mancher Klinikaufenthalt wegfallen.“ Schließlich koste ein Klinikbett pro Tag 600 Mark. In einer Tagesklinik rutsche der Tagessatz schon auf 300 Mark ab. „Das kann ja nur im Sinne der Krankenkassen sein“, sagt sie.
Was das neue Konzept sparen könnte, sei noch nicht klar. Die vorhandenen Träger im Stadteil wie der sozialpsychiatrische Dienst zum Beispiel seien aber bereits da. Diese Angebote müßtten nur gebündelt werden. Reformmodelle in Italien (Triest) hätten bereits gezeigt, daß Hilfe vor Ort Kosten spart. „Die Betten sind zwar etwas teuer, aber dafür werden sie viel kürzer benutzt“, weiß Heike Mertesacker von der Waller „Initiative“.
Ums Sparen geht es nämlich auch im derzeit diskutierten Bremer Krankenhausplan. Dort steht die Klinik Sebaldsbrück – eine Unterabteilung der Psychiatrie vom Krankenhaus Ost – auf der Bettenabschuß-Liste. Im Zuge dieser Auflösung hatte sich auch der ZKH-Ost Direktor Peter Kruckenberg für eine dezentrale psychiatrische Versorgung stark gemacht. „Das ZKH-Ost will zwar auch Betten in die Stadtteile verlagern“, sagt Utschakowski von der Waller „Initiative“. Genauer gesagt zwei Stationen in die Klinik in Blumenthal (für die BürgerInnen in Bremen-Nord) und in das Rote Kreuz Kranken-haus (für die Bür-gerInnen in Bremen-Süd). „Das ist aber nur eine Minimal-Dezentralisierung“, kritisiert Utschakowski – und keine richtige Ablösung vom Krankenhaus. Das sieht überraschenderweise auch Peter Halfmeier so. Der Psychiatrie-Oberarzt aus dem ZKH-Ost hat an dem Reformkonzept mitgewirkt und macht sich nun für „einen Wettstreit der Ideen stark“.
Für die Waller AktivistInnen ist klar: Ein ambulantes Angebot könnte Kosten sparen und auch den Krankenkassen schmackhaft gemacht werden. „Fehlt nur noch der politische Wille“, merkt schmunzelnd Utschakowski von der „Initiative“ an und hofft auf lebhafte Diskussionen in der Stadt. kat
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