Neues päpstliches Lehrschreiben: Es lebe die Hoffnung!
Papst Benedikt XVI. hat seine zweite Enzyklika veröffentlicht. Nicht Fortschritt, Wissenschaft oder politische Revolutionen könnten die Menschheit retten, sondern nur die christliche Hoffnung.
A aah, ein echter Ratzinger! Kleine Textprobe: "Für die Väter und für die Theologen des Mittelalters war klar, dass das griechische Wort hypostasis im Lateinischen mit substantia zu übersetzen war. So lautet denn auch die in der alten Kirche entstandene lateinische Übertragung des Textes: "Est autem fides sperendarum substantia rerum, argumentum non apparentium."
Der deutsche Professor auf dem Stuhl Petri in Rom hat wieder zugeschlagen - und die Fans von Papst Benedikt XVI. können sich nun wohlig suhlen in Altgriechisch, Latein und den Schriften von irgendwelchen Theologen, von denen vielleicht Insider irgendwann einmal etwas gehört haben. Joseph Ratzinger hat seine zweite Enzyklika, sein zweites offizielles Lehrschreiben, an die rund 1,1 Milliarden Katholiken weltweit und überhaupt "alle Christgläubigen" geschrieben, wie es in dem 61-seitigen Schreiben heißt.
Vor ungefähr zwei Jahren hatte er seine erste und bisher einzige Enzyklika verfasst - und sie war, weil man bis dahin nicht wusste, wohin sein Pontifikat wohl schreiten wird, mit einiger Spannung erwartet worden. Es war eine recht anmutig, manchmal fast poetisch geschriebene Eloge auf die Liebe aus philosophisch-theologischer Sicht. Ein harmloser, aber ganz schöner Text mit dem Titel "Deus Caritas Est", der niemandem weh tat, aber auch wenige irgendwie inspirierte, zu was auch immer.
Nun also das zweite Lehrschreiben zum Thema Hoffnung - und wer einmal bei einer Trauung in einer Kirche war, wird wissen, dass Paulus zufolge nach Liebe und Hoffnung nun eigentlich nur noch der Glaube fehlt, "diese drei", das Größte von ihnen aber ist die Liebe, wie der Völkerapostel in einer der schönsten Stellen im Neuen Testament schrieb.
Aber ganz so poetisch gesinnt ist der bayerische Pontifex Maximus dann nun auch nicht, denn die jetzt vorliegende Enzyklika - "Spe Salvi", oder in deutscher Übertragung: "Über die christliche Hoffnung" - hat, typisch Ratzinger, einige Giftspuren in sich, die sich wie schon häufiger bei diesem konservativen Denker mal wieder gegen die Moderne und den Fortschritt an sich, den Marxismus, den Materialismus und den Atheismus im Besonderen richten. Und erneut strömt durch den Text Ratzingers Grundthese: Vernunft und Glaube ließen sich wunderbar vereinen, ja richtig vernünftig könne nur sein, wer auch glaube.
Diese Nachricht aber wird, auch das ist typisch Ratzinger, verpackt in einer manchmal eleganten, manchmal aber auch ein wenig süßlichen Sprache, gespickt zudem mit Bibelzitaten, die man bisher nicht als so zentral für den christlichen Glauben betrachtet hatte. Der Papst zitiert beispielweise aus dem Brief des gerade in Haft sitzenden Paulus an Philemon, den er bittet, seinen zu ihm, Paulus, entflohenen Sklaven Onesimus wieder aufzunehmen und freizulassen.
Paulus schreibt: "Ich bitte dich sehr für mein Kind Onesimus, dem ich im Gefängnis zum Vater geworden bin." Und weiter: "Ich schicke ihn zu dir zurück, das bedeutet mein ganzes Herz." (Phlm 10-16)
Tja, da geht einem das Herz auf: Drama, Vaterliebe, Sklavenbefreiung - was will man mehr? Dahinter gerät leicht aus der Sicht, dass Benedikt XVI. nebenbei auch mal kurz Francis Bacon, Friedrich Engels, Karl Marx, Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in den Senkel stellt. Der Marxismus sei eine Irrlehre, die Gott leugne, schreibt der Intellektuelle im Vatikan: "Es ist kein Zufall, dass dieses Konzept zur größten Grausamkeit und Verletzung der Gerechtigkeit geführt hat." Die Logik geht etwa so: Wo Marx und Unglaube herrschen, sind Stalin und Massenmord die zwingende Folge.
Und weil er gerade dabei ist, kriegt auch der Fortschrittsglaube, am Rande auch die Evolutionstheorie Charles Darwins, ihr Fett weg: "Nicht die Elemente des Kosmos, die Gesetze der Materie, herrschen letztlich über die Welt und über den Menschen, sondern ein persönlicher Gott herrscht über die Sterne, das heißt über das All; nicht die Gesetze der Materie und der Evolution sind die letzte Instanz, sondern Verstand, Wille, Liebe - eine Person."
Von hier aus ist es dann nicht mehr weit zum Kinderglauben, der liebe Gott sei ein gutmütiger Opa mit weißem Bart auf seinem Wolkenkissen.
Da nimmt es auch nicht mehr Wunder, dass Papst Benedikt XVI., wie das unter Zölibatären nicht ganz unüblich ist, am Ende seiner Enzyklika in Marienkitsch versinkt: "So bleibst du inmitten der Jünger als ihre Mutter, als Mutter der Hoffnung. Heilige Maria, Mutter Gottes, unsere Mutter, lehre uns mit dir glauben und hoffen und lieben. Zeige uns den Weg zu seinem Reich. Stern des Meeres, leuchte uns und führe uns auf unserem Weg!"
Nun könnte man das alles abtun und sagen, lass ihn halt reden, den alten Mann in Rom, was muss uns das kümmern? Das Problem aber ist, dass Joseph Ratzinger mittlerweile einer der führenden Ideen- und Stichwortgeber eines konservativen Zeitgeistes ist, der sich am krassesten in den wirren Ideen der Kreationisten und etwas gepflegter in manchen Debattentexten des FAZ-Feuilletons austobt.
Es gibt diese Sehnsucht nach der guten alten Welt, in der der Glauben angeblich noch fest, die Werte irgendwie ewig und die Menschen noch gut zueinander waren.
Der Papst gibt diesem Leiden an der Moderne die theoretische Grundlage - und verschließt seine Kirche langsam wieder in den Mauern des Vatikans, aus dem sie beim Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) herausgetreten war. Aber auch das muss ja nicht von Dauer sein. Die Hoffnung, jedenfalls, stirbt auch hier zuletzt.
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