Neues aus Griechenland: Der lange Schatten der Jugendproteste
Die anarchistische radikale Szene Griechenlands galt als zersplittert. Seit diesem Sommer gerät sie aufgrund militanter Aktionen wieder stärker in den Fokus der Sicherheitsbehörden.
BERLIN taz | Nach den Funden mehrerer aus Griechenland stammender Paketbomben haben die griechischen Behörden am Dienstagabend für 48 Stunden die Beförderung internationaler Luftfracht gestoppt. Zudem fahndet die griechische Polizei nach den Absendern der Pakete. Sicherheitskräfte vermuten die Täter im erstarkten linksextremen Milieu Griechenlands.
Bereits im Juni wurde eine Briefbombe an den damaligen Innenminister Chrysochoidis geschickt, die dessen Büroleiter tötete. Dazu hatte sich eine unbekannte Organisation bekannt, die den "bewaffneten Kampf" als Mittel des Widerstands gegen Staat und Kapitalismus deklarierte.
Eine andere Gruppe mit dem Namen "Sekte der Revolutionäre" bekannte sich kurz darauf zum Mord an einen Journalisten, der im Juli erschossen wurde. Diese Gruppe erklärte in einem Schreiben, nur "die vollständige Zerstörung des Staates und aller Strukturen" könne den Menschen eine "neue Lebensperspektive" geben, propagiert wird ein "neues Leben ohne Macht, ohne Grenzen, ohne Religion".
Zu einer ähnliche Ideologie bekennt sich die Gruppe "Verschwörung der Zellen des Feuers", die die griechische Polizei nun als Absender der jüngsten Paketbomben im Visier hat.
Am Dienstagabend wurden in Athen bereits zwei mutmaßliche Mitglieder dieser Gruppe verhaftet. Einer der beiden stand schon auf einem Fahndungsplakat der Polizei, der andere ist der Bruder eines ebenfalls bereits gesuchten Mitglieds. Bei den Verhafteten mit Namen Argiros und Tsakalos hat die Polizei nach eigenen Angaben Handfeuerwaffen und zwei Paketbomben gefunden, die an die belgische Botschaft und an den französischen Präsidenten Sarkozy adressiert waren. Inzwischen wurden sie wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und versuchten Totschlags angeklagt. Nach fünf weiteren Verdächtigen wird gefahndet.
Als Ursache der linksanarchistischen Gewalt sehen Beobachter der Szene die wochenlangen gewalttätigen Jugendproteste vom Dezember 2008. Auslöser waren die tödlichen Schüsse aus einer Polizeipistole auf den 15-jährigen Alexis Grigoropoulos am 6. Dezember 2008. Zwar flauten die Massenproteste allmählich ab, doch bereits im Februar 2009 kam es zu Sprengstoff- und Brandanschlägen auf Wohnungen von Politikern und Richtern sowie Banken und Polizeiwachen. Alle Bekennerschreiben bezogen sich dabei auf den Tod von Alexis Grigoropoulos.
Viele Jugendliche seien in der Zeit der Proteste politisiert und radikalisiert worden, sagte ein griechischer Kenner der anarchistischen Szene der taz. Der Grieche deutet die Radikalisierung der letzten Monate auch als einen Generationenkonflikt zwischen den neuen Akteuren und der etablierten anarchistischen Szene.
Während die etablierte Szene eher Massenmilitanz propagiere, setzten die Jugendlichen nun auf Bomben und Anschläge. Eine Kommunikation zwischen diesen beiden Gruppierungen finde nicht statt. Zudem gebe es unter den neuen Akteuren bis heute kaum eine Diskussion über die Frage der Gewalt und deren Grenzen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Erpressungs-Diplomatie
Wenn der Golf von Mexiko von der Landkarte verschwindet
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Zwei Todesopfer nach Anschlag in München
Schwer verletzte Mutter und Kind gestorben