Neues Tagesschau-Jingle: Taa-taa ta-ta-ta-taaa
Die Anfangsmelodie der „Tagesschau“ ist viel mehr als nur ein Jingle, sie ist ein elfsekündiges Meisterwerk. Nun soll sie nach 56 Jahren modernisiert werden.
Es ist nicht einfach, in elf Sekunden eine ganze Geschichte zu erzählen. Hans Carste ist es gelungen. Am Anfang seines zeitlosen Meisterwerks, der Titelmelodie der „Tagesschau“, steht ein Gong, der – ein geradezu genialer kompositorischer Kniff – zu Beginn erst einmal einen Endpunkt setzt.
Der Gong ruft ins Jetzt, verweist das Chaos des zurückliegenden Alltags in die Vergangenheit und schafft beim Hörer, der in diesem Fall in erster Linie ein Zuseher ist, eine unbelastete, fast unschuldige Offenheit für einen Rückblick auf diesen Tag, der nun zu Ende geht.
Dann tauchen Geigen (in einigen Arrangements auch andere Instrumente, wie z.B. eine Orgel) auf, werden lauter, bohren sich gleichsam aus dem Nichts in diese Tabula rasa. Unheilvoll künden sie davon, dass nun bald das Böse – wie es in der Natur der Nachrichten liegt – die Erzählung beherrschen wird. Doch bevor sie endgültig das Kommando übernehmen können, setzen die Bläser ein. Machtvoll wie ein Versprechen fahren sie zwischen die sich streitenden Stimmen, schaffen Ordnung im Chaos – ganz so, wie es sich der Zuschauer erhofft von der nun folgenden Sendung.
Taa-taa ta-ta-ta-taaa, dramatisch und kraftvoll klingt das Blech aus, einen Moment noch hängt zitternd der Ton in der Luft, die nun rein ist, befreit von Vorbehalten und Vorleben, stattdessen bereit zu glauben, das globale Geschehen lasse sich in fünfzehn Minuten zusammenfassen und die Welt objektiv ordnen.
Der Deutschen liebstes Nachrichtenformat
Der Jingle, mit dem die „Tagesschau“ seit 1956 eröffnet wurde, stammt aus einem Stück, das Carste, ein Komponist von Tanz- und Unterhaltungsmusik, in sowjetischer Kriegsgefangenschaft geschrieben hatte.
Carste war NSDAP-Mitglied. Das aber ist nicht der Grund, warum die Melodie, die den Deutschen mehr als ein halbes Jahrhundert ihr liebstes Nachrichtenformat einläutete, nun abgelöst werden soll. Die „Tagesschau“ bekommt zu ihrem 60-jährigen Jubiläum, so ARD-Aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke, „ein neues Design in allen seinen Facetten“.
Dazu gehöre auch eine ab dem 26. Dezember zu hörende Überarbeitung des Klassikers von Carste, der mitnichten – wie zuerst gemeldet – vollkommen ersetzt werden soll. Die soll Henning Lohner übernehmen. Der 51-jährige Bremer arbeitet in Los Angeles bei Remote Control Productions, der Kompositionswerkstatt des viel beschäftigten Oscar-Preisträgers Hans Zimmer („König der Löwen“).
Lohner ist, bevor er Horror- wie Kinderfilme vertonte, bei Iannis Xenakis und Karlheinz Stockhausen in die Lehre gegangen und hat für Frank Zappa gearbeitet. Wahrscheinlich ist er der richtige Mann, die berühmtesten elf Sekunden des deutschen Fernsehens zu modernisieren und doch ihren Charakter zu erhalten.
Er wird ein Arrangement finden müssen, das den Hörer aus einer zusehends verwirrenden Gegenwart abholt, ohne deren Komplexität zu verleugnen. Er muss ein Klangbild entwerfen, das im globalen Dorf zu Hause ist, ohne dessen immer noch vorhandene Weitläufigkeit zu negieren. Er wird eine neue Geschichte erzählen müssen, diesmal aber vielleicht sogar in weniger als elf Sekunden.
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