Neues Projekt: Der Pfandflaschensammlerrufservice
Berge von Pfandfalschen im Küchenschrank? Kein Problem. Ein studentisches Projekt vermittelt Flaschensammler im Internet.
Pfand abgeben geht jetzt auch von zu Hause. Das Prinzip dahinter ist denkbar simpel: Auf der Internetseite www.pfandgeben.de sind verschiedene PfandsammlerInnen inklusive Telefonnummern für die verschiedenen Berliner Bezirke gelistet. Innerhalb weniger Stunden ist man nach ein oder zwei Anrufen sein angesammeltes Pfandgut los. Die PfandsammlerInnen kommen dabei direkt zur Haustür und holen die Flaschen ab.
Die Idee für dieses außergewöhnliche Projekt stammt von Jonas Kakoschke (27). Er studiert Kommunikationsdesign an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) und hat das Projekt im Rahmen eines Semesterprojektes verwirklicht. "Ich habe mit meiner Kommilitonin Corinna Northe einfach PfandsammlerInnen in den Parks und auf der Straße angesprochen und nach ihren Telefonnummern gefragt. Da waren viele dabei, die es ausprobieren wollten", fasst er die Anfänge des Projektes zusammen. Als er 15 Nummern von Flaschensammelern aus den zentralen Bezirken Berlins zusammem hatte, hat er die Homepage aktiviert. "Dann hat sich alles ganz von selbst entwickelt - die Leute haben sich so bei mir gemeldet", erklärt er.
Inzwischen listet die Seite die Handynummern von PfandsammlerInnen in 21 Städten der Bundesrepublik - über 70 sind es allein in Berlin. Anfragen von interessierten PfandgeberInnen, die sich diesen "Service" auch in ihrer Wohnnähe wünschen, kämen auch aus Städten, für die noch keine Handykontakte existieren, wie zum Beispiel Hamburg und München, erklärt Kokoschka.
Eine der 70 SammlerInnen ist Mia. Sie hält das Projekt für "eine tolle Idee". Eines Abends wurde sie beim Flaschensammeln von einem jungen Mann angesprochen, der sie dann an Jonas Kakoschke und sein Projekt vermittelt hatte. Schon vier Mal sei sie in den letzten Wochen angerufen worden, das mache insgesamt zehn Euro. Die Adressen der Flaschengeber hat sie alle noch ganz genau im Kopf.
Seit acht Jahren lebt Mia von Hartz-IV und seit einem Jahr sammelt sie Flaschen. Die 365 Euro, die sie jeden Monat vom Jobcenter bekommt, reichten nicht aus, um auch mal einen Kaffee trinken oder essen zu gehen, sagt sie. Deshalb macht sie sich regelmäßig auf die Suche nach Pfandgut.
Mia ist ihre Nebentätigkeit, der so viele Menschen in Berlin nachgehen, sichtlich unangenehm. Vor ungefähr 40 Jahren sei sie aus Kroatien nach Tübingen als Gastarbeiterin gekommen - dann folgten 33 Jahre der Werktätigkeit in Reutlingen und Berlin. Zweimal hatte sie geheiratet - nun hat sie eine Tochter und ist verwitwet. "Ich muss noch bis zur Rente durchhalten", beschreibt sie ihre Situation.
Pfand sammelt sie nur an Tagen mit gutem Wetter, und dann nur in den Abendstunden. Dann gehe sie für drei bis vier Stunden in Parks, da lassen meist jungen Leute viele Flaschen liegen. An guten Tagen kommt sie so auf fünf bis sieben Euro. Auf der Straße würde sie nicht sammeln gehen: "Ich schäme mich dafür".
Dabei ist Mia nicht die Einzige, die in Berlin auf die Suche nach Pfandgut geht. Sie erzählt von drei anderen Frauen und zwei Portugiesen, die im selben Gebiet unterwegs seien. Auch ein "Russe" sei nun dazu gekommen. Fast alle von ihnen würden Hartz-IV beziehen, erklärt Mia weiter.
Auch Rolf hat seine Nummer an Jonas Kokoschka gegeben. "Ein Jahr habe ich mich mit Pfand sammeln über Wasser gehalten", sagt er. Dank der Internetseite sei er in der letzten Zeit wesentlich leichter an größere Mengen gekommen, erzählt er weiter. Problematisch sei nur, dass die Leute einen schnellen Service erwarten würden, sagen sowohl Mia als auch Rolf. Doch Mia konnte sich in diesem Monat kein BVG-Ticket leisten. So ist es schwer für sie, die geforderten Abholzeiten einzuhalten.
"Es wäre schon eine große Hilfe, wenn die Leute ihre Flaschen einfach neben die Mülleimer stellen würden, anstatt sie hineinzuwerfen", erklärt Mia weiter. Vor zwei Jahren gab es mal eine entsprechende Aufkleberaktion auf den Mülleimern. Das würde die SammlerInnen auch vor abgeschlagenen Flaschenhälsen in den Mülleimern schützen. Angst vor Dreck müsse niemand haben. "Wir machen die Straße sauber", erklärt Mia mit einem Schmunzeln auf den Lippen.
Jonas Kakosche will sein Projekt nun so weiter laufen lassen - den Selbstläufereffekt ausnutzen, wie er sagt. Dabei hebt er sich von vielen jungen Kreativen, die sich mit neuen Ideen in der Stadt ansiedeln, ab: "An dem Projekt verdiene ich nichts", sagt er. Das werde sich auch in Zukunft nicht ändern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!