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Neues Museum Berlin wiedereröffnetWir zeigen die Wunden

10 Jahre Wiederaufbau des kriegszerstörten Neuen Museums auf der Berliner Museumsinsel durch den englischen Architekten David Chipperfield: Ein radikaler Entwurf.

Schlüsselübergabe für das Neue Museum Berlin: Mix zwischen den Architekturen. Bild: dpa

Sasha Waltz und ihre Tanzcompany sind die ersten Kunststücke, die das wieder aufgebaute Neue Museum auf der Berliner Museumsinsel beziehen. Natürlich bleibt die Company nicht für immer, "Waltz & Guests" bespielen das noch leere Haus in einer "temporären Ausstellung" vom 18. bis Ende März. Über 70 Tänzer und Musiker verwandeln in "Dialoge 09 - Neues Museum" die zwölf weiten Räume, Treppen und Flure des 20.000 Quadratmeter großen Museums in eine Bühne.

Wer sich an das legendäre Dialoge-Projekt von Waltz 1999 im Jüdischen Museum in Berlin erinnert, ahnt, dass das Wesentliche, die Idee des Wiederaufbaus von David Chipperfield, durch die Choreografie sinnfällig zum Sprechen gebracht wird.

Am Donnerstag wurde der Wiederaufbau des Neuen Museums mit einem Staatsakt gefeiert. Auf Waltz & Guests folgt die museale Inszenierung des Hauses. Die Eröffnung durch die Staatlichen Museen zu Berlin wird im Herbst sein. Die wunderbare Büste der Nofretete und die außergewöhnliche Sammlung kehren dann erstmals seit den Kriegstagen wieder an ihre alte Stätte zurück: in das Ägyptische Museum und das Museum für Vor- und Frühgeschichte.

Sicherlich assoziiert der "Dialog" zwischen den Rudimenten von Friedrich August Stülers Neuem Museum aus dem Jahr 1855 und der Rekonstruktion der arg kriegsbeschädigten Ruine ein Motiv in Chipperfields zehnjähriger Arbeit.

Alles, was noch von dem einstmals ausgemalten Kunst- und Märchentempel bestand - Gewölbe, Reste von Mauern und bewegten Fassaden, Säulen, Statuen, Reliefs und Friese, bunte Fliesen und Fragmente der atemberaubenden Wandbemalungen von Kaulbach -, reinigte und pflegte Chipperfield. Was als prachtvolles Dekor und historisierende Folie für die weltberühmte ägyptische Sammlung geschaffen worden und noch in Teilen erhalten war, restaurierte der Architekt und ergänzte diese: behutsam, modern, oft nur mit einfachem weißen Putz.

Helle, schöne Räume in samtigen Farben, rötlicher Marmor, gotische Gewölbe oder pure Renaissance wurden dadurch wieder zurückgeholt, darunter der Niobidensaal oder der Römische und Mittelalterliche Saal.

Raum für Raum, Stockwerk für Stockwerk, von Zerstörungsgrad zu Zerstörungsgrad scheint sich Chipperfield vorwärtsgetastet zu haben, um zu "reparieren" und mit dem Konzept, "eine Brücke zwischen diesen Extremen zu schlagen". Es muss eine zermürbende, aber lohnende Arbeit gewesen sein. "Wie ein Maler" habe er die Farbtupfer herausgekratzt, und wo diese fehlten, mit schlichtem Weiß ersetzt.

Doch der Dialog zwischen Alt und Neu steht nicht als Leitmotiv, als eigentliches Konzept über dem Wiederaufbau des Neuen Museums, das Stüler um zwei Innenhöfe konzipierte und einen riesigen tempelartigen Mittelrisalit als Krone dazwischengeschoben hatte. Es sind vielmehr der bauliche Widerspruch, der harte ästhetische Bruch und die Konfrontation des Hauses mit seiner Geschichte - letztendlich seine Dekonstruktion.

Denn wo Fehlstellen des zu 70 Prozent ausgebombten Gebäudes bestanden, sieht man keine detaillierte Wiedererweckung Stülers und keine behutsame Erneuerung des Gebäudes vor sich. Chipperfield hat den klassizistischen Kunsttempel beim Wiederaufbau einer minimalistischen architektonischen Drastik und ästhetischen Konsequenz unterworfen, die schon jetzt wie der gebaute Widerspruch zu den barocken Rekonstruktionsplänen für das Berliner Stadtschloss erscheinen.

Wo nichts mehr war, ist alles neu, dazu von großer Kargheit, Sachlichkeit und einfacher schöner Materialität. Der ganze Nordflügel wurde - man erinnert sich an Hans Döllgasts Wiederaufbau der Alten Pinakothek 1955 - in Backstein wieder hochgezogen, blieb aber unverputzt. Betonsäulen sind in die Räume eingestellt und diese weiß gekalkt. In die ausgeräucherten Innenhöfe - den "ägyptischen und den griechischen Hof" - platzierte Chipperfield einen modernen Vortragssaal und eine mehrgeschossige offene Betongalerie. Zwei Stahl- und Glasdächer schließen jetzt die Höfe. Der Londoner Architekt war sich über die Alternativen klar: Man hätte die zerstörten Bilder oder Räume auch nachbilden oder kopieren können, wie es bis heute Denkmalschützer und Kritiker des Projekts fordern. "Aber wir haben gesagt, wir zeigen die Wunden, die dieses Gebäude erlitten hat."

Den augenfälligsten Bruch mit der Historie Stülers und die Gegenwart von Geschichte und Moderne zugleich schuf der Architekt, indem er in die ausgebombte Treppenhalle die neue, helle, dekorlose Beton- und Marmorhimmelsleiter stellte. Sie ragt majestätisch bis zum Dach in die offene Raumhöhe hinauf. Es geht vorbei an Mauerwerk, halb zerstörten Säulenreihen und Fassadenfragmenten wie aus dem antiken Rom oder Troja und sorgfältig konservierten Einschusslöchern der Roten Armee. Es ist eine moderne Opulenz, die den hohen Raum mittels eines rudimentären Konzepts und gewaltigen Treppenentwurfs neu erschließt - und an Stüler erinnert und ihn ersetzt zugleich.

Zugegeben, dort wo Chipperfield einen radikalen Widerspruch zum Alten provoziert, wie am neuen nackten backsteinernen Nordflügel, erscheint die Konfrontation manchmal brachial. Wo sich - wie im Innern - die Moderne reflektierter, leichter, spielerischer mit dem Altbau reibt, die Wunden schon mehr wie Narben sind, bildet Chipperfields Neues Museum ein Baukunstwerk, das seine eigene Geschichte grandios widerspiegelt. Allein dadurch ist es im kopieversessenen Berlin ein Glanzpunkt.

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3 Kommentare

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  • TH
    Tomas Hoke

    Ich wüßte derzeit keinen Architekten als Chipperfield, der (seit Scarpa) diese Aufgabe in allen Dimensionen und Bezügen besser machen könnte. Zeitgenössische Architektur steht immer am Prüfstand, wenn sie sich in historischen Ambienten einbinden muss - eine der schwierigsten Aufgaben, die große Weitsicht erfordert: Die Zeitlichkeit, die sich in einem Gebäude abbildet, ist ja nie statisch - auch die Wahrnehmung derselben nicht. Siehe Scarpa: Seine Arbeitsweise hat erst dazu geführt, dass der Mut in alte Gemäuer Neues zu implementieren auch für zeitgenössische Architekten eine dialogische Spielwiese eröffnet. Heute gilt Scarpa als historisch. Chipperfield ist aber auch genau aus diesem Grund angreifbar. Die Geschichte wird zeigen, ob dieser Bau repräsentativ für das beginnende 21 Jh. als ein >neuaufklärerisches< gelten kann.

  • B
    Ben

    Unheimlich!

    Eine parteienübergreifende Koalition findet das gut, was da herausgekommen ist.

    Meine Befürchtungen sind war geworden. Doch werde ich mir das während der nun beginnenden Publikumstage wohl ansehen.

     

    Was hat eigentlich die zweihundert Millionen (!) gekostet? Der Aufgang aus Beton, der schlicht billig aussieht, die moderne Technik können es wohl kaum gewesen sein. Es wurde, wie auch schon bei Sir Norman Foster, ein Name überbezahlt. Anstatt einfach erst einmal den architektonischen Nachwuchs im Inland zu berücksichtigen, wie dies ja in England geschieht.

     

    Ich glaube auch nicht, daß für die gleiche Summe nicht eine schöne (Rekonstruktion!) statt dieser häßlichen Innengestaltung möglich gewesen wäre. Doch ist dies aus ideologischen Gründen verwerflich. Eigentlich wird da an einer ganz und gar, seit den 70ern, veralteteten modernistischen Architekturauffassung (oder der Auffassung von Stadtlandschaft überhaupt) festgehalten: u. a. soll sie Mahnmal, soll Symbol sein. Als ob es gerade in Berlin nicht schon genug vernarbte Wunden gibt, die an die Brüche in der Geschichte ständig erinnern. David Chipperfield ist allerdings noch nicht fertig. Erst kommt der Glaspalast vor´s Museum. Die symbolisch aufgeladenene (ästhetisch unbefriedigende) Stadtlandschaft in Berlin macht mich echt voll fertig! Wann begreifen wir eigentlich, daß authentisch rekonstruierte barocke und klassizistische Bauten als Ensemble lebensnotwendig sind? Stadtplaner, Politiker, Architekten zum Teufel! Idylliker an die Macht!

  • UR
    Udo Radert

    Chipperfield, der "Ruinen-Romantiker", hat beim NM schlicht und ergreifend versagt aber keiner - auch Herr Lautenschläger nicht - traut sich das mal ganz offen zu sagen.

     

    Vermutlich hat er, wie die meisten anderen auch - Angst als jemand hingestellt zu werden, der das vermeintliche Genie eines Chipperfield einfach nicht begreift.

     

    Dabei ist doch - wie in des Kaisers neue Kleider - für alle mehr oder weniger offensichtlich:

     

    Das NM sieht wirklich unter aller Sau aus.

     

    Wer das kritisiert hat vollkommen recht, muß aber halt auch ein bissel Mut haben.

     

    Und den hatte der Schreiber dieses taz-Artikels leider ganz eindeutig nicht. Punkt.

     

    Immerhin: Er hat sich wenigstens mit Lobhuddeleien halbwegs zurückgehalten, aber wenn ihm Chipperfields Machwerk wirklich gefallen hätte, dann hätte sich das anders gelesen.

     

    Ganz anders.