Neues Landarztgesetz: Enge Maschen im Ärztenetz
Der FDP-Gesundheitsminister fördert Unternehmensmodelle, von denen sein Bruder finanziell profitieren würde. Es sieht nach einer Gefälligkeit aus, doch Bahr bestreitet das.
BERLIN taz | Thomas Bahr hatte das alles schon einmal versucht, ungefähr ein Jahr ist das her. Damals war nicht sein Bruder Daniel Bahr (FDP) Bundesgesundheitsminister in Berlin, sondern Philipp Rösler (FDP). Damals, im Sommer 2010, schlug seine Hoffnung auf politische Unterstützung seines Geschäftsmodells für ärztliche Versorgung auf dem Land fehl.
Damals entstand bloß ein schönes Foto. Es zeigt Thomas Bahr, den Arzt und Geschäftsführer des "Unternehmen Gesundheit Oberpfalz Mitte" (UGOM) aus dem bayerischen Amberg, bei seinem Besuch bei dem Minister Philipp Rösler in Berlin. Dieses Foto veröffentlichte dann die Amberger Zeitung am 17. September 2010, zusammen mit einem Artikel, Überschrift: "Ambergs Vorbild interessiert Minister".
Interessiert den Minister? Was für eine schale Reaktion. In diesem Sommer jedenfalls, also 2011, war Thomas Bahr, das vorweg, schon deutlich erfolgreicher. Der Gesetzentwurf seines Bruders Daniel Bahr zur "Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung", besser bekannt als "Landärztegesetz", hat am gestrigen Freitag mit der ersten Lesung im Bundestag eine weitere Hürde genommen, um am 1. Januar in Kraft zu treten. Neben vielen anderen Ärzten stärkt er zufällig auch Thomas Bahrs Geschäftsmodell finanziell. Aber der Reihe nach.
Im Sommer 2010 arbeitet Daniel Bahr, der zehn Jahre jüngere Bruder von Thomas Bahr, als Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium. Ob er von dem Besuch seines Bruders beim Minister gewusst hat oder das Date sogar vermittelt hat, war bis taz-Redaktionsschluss gestern nicht zu klären. Klar ist jedenfalls, so berichten es übereinstimmend die Amberger Zeitung und die Ärzte-Zeitung, dass Philipp Rösler und Thomas Bahr damals sprechen: über Praxisnetze und Möglichkeiten, diesen mittels kleiner politischer Impulse zu einer noch größeren gesundheitswirtschaftlichen Blüte zu verhelfen.
Praxisnetze sind große regionale Gesundheitsverbünde zwischen Haus- und Fachärzten, teilweise gehören auch Kliniken und Pflegeeinrichtungen dazu, die sich als gemeinnütziger Verein zusammenschließen oder, wie im Fall von Thomas Bahrs UGOM, als GmbH & Co. KG. Sodann bieten sie die medizinische Versorgung für eine ganze Region an und überweisen einander Patienten hin und her.
Die Leistungserbringer
Und weil sie dabei nicht konkurrieren, sondern kooperieren, und das auch noch ambulant wie stationär, weil sie auf kurze Wege achten, Doppeluntersuchungen zu vermeiden versuchen und unnötige Krankenhauseinweisungen sowieso, sind sie etwa 10 Prozent günstiger im Vergleich zur Regelversorgung. So hat es die AOK Bayern jedenfalls mal für das UGOM ausgerechnet.
Mittlerweile gehören zum UGOM mehr als 80 Haus- und Fachärzte - das entspricht etwa 70 Prozent der niedergelassenen Ärzte der Region Oberpfalz Mitte -, drei Kliniken sowie ein Medizinisches Versorgungszentrum. Praxisnetze, darüber sind sich Philipp Rösler und Thomas Bahr einig, sind Player im Gesundheitswesen.
Allein: Bisher können diese Netze nur Verträge mit einzelnen Krankenkassen zur Versorgung von deren Versicherten abschließen, sehr beliebt ist das vor allem bei den AOKen. Doch die Ärztenetze wollen mehr: Sie wollen ihr Modell auf mehr Versicherte ausweiten, sie wollen expandieren, und dazu brauchen sie Budgetverantwortung, am besten ein eigenes Honorarvolumen aus dem Topf der Kassenärztlichen Vereinigungen. Und vor allem brauchen sie den sozialgesetzlichen Statuts als "Leistungserbringer", denn nur dann dürfen sie auch frei werdende Arztsitze in einer Region aufkaufen - und so die klägliche Restkonkurrenz auch noch ausschalten.
Doch der Minister gibt sich zögerlich. Schließlich ist Rösler ein FDP-Mann. Schließlich gelten den meisten Liberalen Ärztenetze, Effizienz und nachweisliche Kostenreduktion hin oder her, als pfui, weil irgendwie Sowjetmedizin. Schließlich hat Rösler einen Koalitionsvertrag zu verantworten, der, vereinfacht gesagt, die Spezies des freien, niedergelassenen Arztes samt seiner Einzelpraxis unter besonderen Schutz stellt.
Die Ärzte-Zeitung jedenfalls berichtet im Anschluss an das Treffen: "Ob der Gesundheitsminister die Botschaft gehört hat? Zugesagt hat er noch nicht viel: Er wolle die regionalen Konzepte ,nun näher prüfen', hieß es. Nach einer Gesetzesinitiative, die den Netzen helfen würde, klingt das noch nicht."
Die neue Agentur
Im Mai 2011 wird Daniel Bahr, 34, als Nachfolger von Philipp Rösler, 38, nach dessen Wechsel ins Wirtschaftsministerium zum Bundesgesundheitsminister ernannt. Beim Amtswechsel übergibt ihm Rösler ein halbfertiges Konzept. Es soll helfen, den Ärztemangel auf dem Land zu bekämpfen. Daniel Bahr soll bis Jahresende ein Gesetz daraus machen.
In diesem Sommer 2011 nimmt Thomas Bahr einen zweiten Anlauf. In einem Interview, das das Online-Portal oberpfalz.net am 12. Mai veröffentlicht, antwortet Thomas Bahr auf die Frage, wie oft er Kontakt habe zu seinem Bruder, dem frisch gekürten Gesundheitsminister: "Genug und immer freiwillig."
Das stimmt. Es kann zum Beispiel passieren, dass auf einer großen Gesundheitsmesse, so geschehen im März 2010 in Berlin, Daniel Bahr, damals noch Staatssekretär, das Grußwort spricht und anschließend sein Bruder Thomas Bahr auf dem Podium diskutiert.
Mit dem Ablauf von politischen Prozessen, insbesondere bei der FDP, ist Thomas Bahr ebenfalls seit langem gut vertraut. Ende der 90er Jahre hat er als persönlicher Referent Politik für den FDP-Bundestagsabgeordneten Jürgen Möllemann gearbeitet und dessen Bonner Büro geleitet.
Für die taz ist Thomas Bahr nicht zu erreichen. "Herr Dr. Bahr ist erkrankt und kann Ihre Fragen in Kürze nicht beantworten", teilt eine Assistentin der Geschäftsführung per Mail mit. Das Bundesgesundheitsministerium dementiert etwaige Kontakte zwischen den Brüdern, die das Gesetzgebungsverfahren eventuell hätten beeinflussen können: "Der Minister hat mit seinem Bruder über derzeit in der Beratung befindliche Änderungen im Versorgungsstrukturgesetz nicht gesprochen."
Steigende Unabhängigkeit
Wirklich nicht? Am 8. Juli 2011 gründen 14 Ärztenetze und Gesundheitsverbünde in Berlin die "Agentur deutscher Arztnetze e. V.". Der Verband will sich für die Interessen der rund 400 Arztnetze in Deutschland einsetzen. Sein politisches Ziel sei, "im aktuell entstehenden Versorgungsgesetz einen regionalen Versorgungsauftrag über die jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen zu erhalten".
Daneben fordert der Verein: Ärztenetze sollen den Status von Leistungserbringern und damit einen besseren Zugang zu Versorgungsverträgen erhalten. Zu den Gründungsmitgliedern der "Agentur deutscher Arztnetze" gehört das UGOM. Thomas Bahr ist eines von fünf Vorstandsmitgliedern der neuen Agentur.
In der Ärzte-Zeitung vom 14. Juli erneuert Thomas Bahr den Anspruch auf Vollversorgungsverträge und besteht auf flexiblen Lösungen für die Praxisnetze: "Wir sitzen in der Praxis. Das ist was anderes, als wenn man sich in Berlin was ausdenkt", sagt er dem Blatt.
Am 31. August stellen die Fraktionen der CDU/CSU und FDP einen Änderungsantrag zum Landärztegesetz, Artikel 1, Nummer 24, § 87b. Es geht um die künftige Vergütung der Ärzte, also die Honorarverteilung. Erwähnt werden "die Anerkennung besonders förderungswürdiger Praxisnetze", eine "gesonderte Vergütungsregelung für vernetzte Praxen" und schließlich: "Die Kassenärztliche Vereinigung kann im Rahmen ihrer Honorarverteilungskompetenz dabei auch festlegen, einem anerkannten Praxisnetz ein eigenes mit der Kassenärztlichen Vereinigung zu vereinbarendes Honorarbudget oder Honorarvolumen zuzuweisen."
Thomas Bahrs "Agentur deutscher Arztnetze" hat ihr erstes wichtiges politisches Ziel erreicht. Am 14. September bejubelt die Agentur ihren Erfolg per Pressemitteilung: "Kassenärztliche Vereinigungen können zukünftig organisierte Ärztenetze bevorzugen." Durch das neue Honorarbudget ergebe sich "erstmals eine gewisse Basisfinanzierung für Praxisnetze, die sie von Industrie und Krankenkassen unabhängig sein lässt".
Ein Teilsieg
Die Praxisnetze können künftig also nicht bloß Verträge mit einzelnen Kassen schließen, sondern sollen zusätzlich ein eigenes Honorarbudget zugewiesen bekommen können: steigende Unabhängigkeit bei gleichzeitiger finanzieller Stärkung durch die Kassenärztlichen Vereinigungen - auf Kosten der Beitragszahler, davon ist auszugehen. Andererseits, das wird nicht einmal von erbitterten politischen Gegnern bestritten, könnte eine konsequente flächendeckende Ausweitung der Ärztenetze dem Gesundheitswesen Milliardenbeträge einsparen helfen.
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) weist unterdessen Fragen, ob der Minister seinem Bruder mit dem Änderungsantrag eventuell eine Gefälligkeit habe erweisen wollen, mit Empörung zurück: "Die von Ihnen angesprochene Formulierungshilfe ist auf Wunsch der Fraktionen vom BMG erstellt worden." Im Übrigen entscheide ja nicht das Ministerium über die Mittelzuweisung, sondern die Kassenärztlichen Vereinigungen: "Die Entscheidung über das Ob und das Wie einer eventuellen Förderung von Praxisnetzen soll in den Händen der Kassenärztlichen Vereinigungen liegen und nicht beim BMG."
Der Änderungsantrag ist trotzdem ein Teilsieg. An ihrem größten Ziel, dem gesetzlichen Status als "Leistungserbringer" für Praxisnetze, arbeiten Thomas Bahr und seine Mitstreiter weiterhin. Noch ist Zeit, noch ist das Landärztegesetz nicht endgültig verabschiedet. Ein Sprecher der Agentur in Berlin sagt: "Bis zur letzten Abstimmung, also bis zur dritten Lesung im Bundestag, da ist alles drin." Er macht eine Kunstpause. "Insofern ist man immer zuversichtlich."
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