Neues Geld schafft neues Leben

■ Ist die „Eine Hand wäscht die andere„-Gesellschaft in der DDR zu Ende?

Ost-Berlin. Seit gestern hat die Realität den kommunistischen Fahrplan zur Errettung der Menschheit geradezu verkehrt. Am Ende der sozialistischen Entwicklung steht nicht der Kommunismus, sondern wieder der Kapitalismus. Mit ihm kommt das moderne Maß aller Dinge, das Geld, hier in seiner stärksten Form, der Deutschen Mark. Mit ihr und dem nachfolgenden Überangebot wird ein alter Mythos entschleiert, der gerade bei heimlichen Verehrern der alten DDR besonders gepflegt wurde: die schöne Legende vom viel stärkeren Zusammenhalt der DDR-Bürger, ihren intensiveren zwischenmenschlichen Beziehungen. Zwar ist der Fakt als solcher nicht falsch, seine Ursachen aber nie positiv gewesen. Zum einen war es der Druck von oben, der leichter zu ertragen war, wenn man enger zusammenrückte, zum anderen das flächendeckende System künstlicher Freundschaften. Solche waren in der Mangelwirtschaft a la DDR dringendst erforderlich, wollte man bei der Ausgestaltung seines positiven Lebensraumes einigermaßen Standard halten.

In einer Gesellschaft, die es fertig brachte, Klopapier zum gejagten Konsumartikel zu machen, hing jeder davon ab, jemanden zu kennen, der jemanden kennt, der weiß, wo jemand wohnt, der die Rolle Dachpappe, einen Büchsenöffner, Fliesen, Wasserhähne, Autoersatzteile, Ketchup, Erdbeeren oder Jeans besorgen konnte. Ständig war irgend etwas auf normalem Wege nicht aufzutreiben, kleinste Artikel und die größten Reparaturen, alles war nur mit „Vitamin B“ erreichbar; je mehr jemand davon hatte, umso höher war seine gesellschaftliche Stellung.

„Eine Hand wäscht die andere“ hat bewirkt, daß man immer mehr Hände schütteln mußte, immer wieder neue Leute kennenlernte und so einen Bekanntenkreis hatte, der allenfalls mit arabischen Großfamilien zu vergleichen ist. Die Erfüllung simpelster Wünsche hing vom persönlichen Stand der Beziehungen ab. Wer die nicht hatte, der brauchte Geld. Viel Geld, denn der Mangel war Multiplikator des Preises. „Haste was, dann biste was“ - dieser Spruch traf nirgends mehr zu als im Plansystem DDR. Das ganze Land war ein großer grauer Markt und die Menschen entwickelten eine Krämermentalität, die sich seit gestern voll entladen kann. Jetzt, wo der Erwerb einer Tiefkühltruhe oder eines Videorecorders nur noch vom Portemonnaie abhängt, wird das ganze System von Nehmen und Geben, Verschieben und Verschleudern zusammenbrechen. Vorbei sind damit die Zeiten, wo ein Pink-Floyd-Album für 200 Mark an einen „guten Freund“ verscherbelt werden konnte, Teens ihre Eltern anbetteln mußten, dieses Jahr alle Feiertage auf den Geburtstag fallen zu lassen und die 400 Mark rauszurücken, die eine Lewis kostete.

Torsten Preuß