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Neues Format für Konferenzen"Ein Barcamp unterdrückt kein Thema"

Beim Kongress des "Archivs der Zukunft" eröffnen Edu-Hacker eine zweite kritische Konferenzstrecke. Guido Brombach vom DGB Bildungswerk über die neue Art zu konferieren.

Teilnehmende gibt es auf einem Barcamp nicht. Bild: M.P. / photocase.com
Interview von Christian Füller

taz: Herr Brombach, Sie veranstalten ab Freitag ein Barcamp im Bregenzer Kongress Arche Nova. Barcamp - das hört sich an wie Zeltlager mit Barbetrieb.

Guido Brombach: Nein, keine Sorge, wir zelten nicht. Und Bar hat in diesem Fall nichts mit Kir royal oder Whiskey sour zu tun, sondern ist der Begriff für einen Platzhalter in der Programmiersprache. Bar steht für das Gegenteil von Foo.

Das verstehe ich nicht.

Die Foo-Camps waren elitäre Konferenzen, zu denen Tim OReilly, der Erfinder des Begriffs Web 2.0, Teilnehmende für einen kreativen Austausch eingeladen hatte, Foo wie "Friends of OReilly". Foo ist aber auch bei der Programmierung ein häufig gebrauchter Platzhalter, genau wie Bar, das aber für unelitär steht, für offen. In einem Barcamp bedeutet Bar: Jeder kann kommen - und etwas anbieten. Wer also Bar mit welchem Inhalt füllt, hängt von Inspiration und Engagement der Betroffenen ab. Aber nicht davon, ob irgendeine Kongressleitung zentral festlegt, was gemacht wird.

Verunsichert es Interessierte nicht, wenn sie gar nicht wissen, was stattfindet?

Die Leute aus der Web2.0-Szene verunsichert das gar nicht. Beim Kongress der Schulreformer um Reinhard Kahl wird man sehen, was passiert. Wir versuchen die eventuellen Unsicherheiten gegenüber dem Barcamp bewusst zu mindern - zum Beispiel können die Kongressbesucher bei uns bereits jetzt sehen, wer welche Themen anbieten will. So weit ist der offizielle Bregenzer Kongress nicht.

privat
Im Interview: GUIDO BROMBACH

37, arbeitet beim DGB Bildungswerk in Hattingen als Kompetenzzentrumsleiter für Digitale Kommunikation, Lernen und Medien. Er hat Erziehungswissenschaften studiert und organisiert das Barcamp im Arche-Nova-Kongress.

Welche Idee steckt hinter einem solchen "Bar"-Format?

Arche Nova

Arche Nova ist der Kongress der Schulneudenker und Lernreformer. Veranstalter ist das Archiv der Zukunft von Reinhard Kahl. Zu dem Kongress werden 1.400 Menschen im Schauspielhaus Bregenz erwartet. Im Vorfeld gabs Stress. Das Thema "Sexuelle Gewalt" sollte zunächst unter dem Arbeitstitel "Reformpädagogik nach dem Fall" erscheinen. Inzwischen sind mehrere Veranstaltungen dazu geplant, darunter die Vorführung des Films "Und wir sind nicht die Einzigen" sowie einer Werkstatt des Vereins Glasbrechen.

Erstrangige Redner wie Remo Largo, Gerald Hüther, Stephan Jansen, Donata Elschenbroich oder Jürgen Oelkers machen den Kongress spannend. Auch hier gab es allerdings Unmut, da die Kongressplanung bis gestern Mittag offen war. (adz-netzwerk.de) "Es ist für mich unverständlich, dass selbst fünf Tage vorher kein festes Programm zu finden ist", schreibt etwa Tobias Hübner in seinem Blog medienistik. (tiny.cc/bregenzNO) Da kommt das neue Barcamp von Guido Brombach als ergänzendes Format für den Bregenzer Kongress gerade recht. (s. Interview)

Normale Konferenzen unterdrücken gewissermaßen Themen, die man in der Leitung aussortiert, weil sie angeblich keinen interessieren. Bei uns ist das anders, angebotsorientiert. Die Leute stellen erst sich und dann ein Thema vor - dann ergeben sich Veranstaltungen von zwei bis 40 Leuten. Und zwar in ganz unterschiedlichen Formen - von Vortraghalten bis Theaterspielen ist alles denkbar. Wir setzen der Fantasie der Leute keine Grenzen.

Was geschieht, wenn an einem angebotenen Thema keiner Interesse hat?

Das kommt erstens so gut wie nie vor. Und wäre zweitens schade für den Anbieter - aber da muss er durch. Es gibt einen Barcampbereich, wo sich die Leute versammeln, die Pause machen oder eine Session verlassen.

Zwischen indigenen Barcampern und normalen Kongressbesuchern stehen so komplizierte Dinge wie Etherpad, Mixxt oder Twitterwalls. Ist es eigentlich Absicht, dass sich die Web2.0-community mit spanischen Dörfern davor abschirmt, verstanden zu werden?

Nein, das ist kein Abschrecken, sondern ganz normal für eine soziale Innovation. Jede Community entwickelt eine eigene Sprache. In diesem Falle handelt es sich ja gerade um Instrumente, die es dem Barcamp-Teilnehmer ermöglichen zu sehen, was in den Seminaren läuft oder gelaufen ist. Die Twitterwall ist inzwischen verbreitet: Es ist so etwas wie ein Gedächtnis der wichtigsten Sätze oder Thesen durch die Teilnehmer. Und zugleich eine parallele Meta-Ebene - also eine Art Kommentierungsleiste, auch für Leute draußen. Das Etherpad ermöglicht es, Protokolle oder Zusammenfassungen über die 140 Twitter-Zeichen hinaus zu dokumentieren und die Nichtanwesenden mit einzubeziehen.

Wie orientiert sich ein Barcamper vor Ort?

Er kommt um zehn Uhr zur Eröffnungssession. Dort lernt er alle anderen Teilgeber kennen. Denn Teilnehmende gibt es auf einem Barcamp nicht. Vor Ort werden dann die Räume und Zeiten bestimmt, an denen die Sessions stattfinden.

Gibt es da irgendwelche Regeln?

Ja, die Vorstellungsgrunde ist eher minimalistisch: Man sagt nur seinen Namen und drei Stichworte - also: Guido Brombach, DGB-Bildungswerk, Edu-Hacker, digitale Medien. Oder Christian Füller, taz, Neues-Lernen-Autor, Pisaversteher. In der zweiten Runde erzählen die Leute, was sie machen wollen - diesmal bisschen ausführlicher, aber immer noch knapp. Darauf achtet der Moderator. Die Idee ist, Appetit auf das Thema zu machen, über das man mit anderen sprechen will.

Welche Themen gibt es bisher?

Das Spektrum reicht weit, vom Schulbuch der Zukunft bis Selbst-Kompetenz. Von Jonglieren bis Lernen ohne Noten.

Wo können unschlüssige Gäste einsehen, was denn mit hoher Wahrscheinlichkeit angeboten wird.

Es gibt einen Link http://openetherpad.org/barcampbregenz, wo man die bisherigen Angebote sehen kann. Aber was wirklich aufs Tapet kommt, sieht man am Freitag um 10 Uhr. Das Barcamp selbst geht dann von 11 bis 16 Uhr, am Samstag gibt es das Gleiche nochmal zum normalen Kongress.

Pardon, ist das dann noch Barcamp?

Strenggenommen nicht, deswegen nenne ich es auch open space. Aber, das Potenzial ist dennoch groß. Stellen sie sich vor, jemand sagt - nur als Beispiel -, ich widerspreche dem, was der Gerald Hüther da gerade auf der großen Bühne erzählt hat. Ich bitte ihn und andere zu einem Workshop ins Barcamp. Dann können sie das machen. Eine reflexive und kritische Strecke zum Hauptkongress.

Wie viele Leute haben bislang für das Barcamp Interesse bekundet?

111 Anmeldungen gibt es. Wer noch mitmachen will, kann sich da noch eintragen …

muss aber erst beim Archiv der Zukunft seine - teure - Anmeldung abgeben. Irgendwie das Gegenteil des Prinzips "Jeder kann kommen"!

Ja, das ist ein kritischer Punkt. Wir sind tatsächlich nur offen für Kongressteilnehmer der Arche Nova. Das sind zwar immerhin 1.400 Leute, die sich einen Ausflug nach Bregenz plus Kongressgebühren geleistet haben. Aber wir gehen dieses Risiko bewusst ein. Wir wollen das Format zum ADZ nach Bregenz tragen.

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3 Kommentare

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  • B
    Bleistift

    Warum erscheint Christian Füllers Besprechung des Kongresses nur in der Papierausgabe vom 19. Oktober und nicht im Online-Archiv der taz?

  • K
    Kaetekli

    Das hört sich sehr demokratisch an. Genau richtig angesetzt im Bereich Bildung. Dort fehlt es oft an transparenten Strukturen und ernst gemeinten Mitgestaltungsmöglichkeiten. Schade, dass die Kosten dann doch wieder einen Riegel vorschieben.

  • H
    Holländer

    In den Geowissenschaften werden die grosse Konferenzen ähnlich organisiert, zum Beispiel die General Assembly der European Geophysical Union.

     

    Erst darf jeder Themen vorschlagen zu dem er gerne einen Untertreffen organisieren wurde. Danach können alle Wissenschaftler zu den Themen einen Zusammenfassung schreiben, wenn sie mitmachen möchten. Daraus macht der Organisator dann ein Program.