piwik no script img

Neues Duo führt Berliner PiratenfraktionBaum und Lauer sind Doppelspitze

Die Berliner Piratenfraktion wählt eine neue Doppelspitze - und nach neun Monaten im Parlament den Weg in die Professionalisierung.

„Computer says 'Yes'“: Andreas Baum und Christopher Lauer (Archivbild). Bild: dapd

BERLIN | Wie sich die Zeiten ändern. Keine Viertelstunde dauert die Wahl, dann hat die Piratenfraktion eine neue Doppelspitze: Christopher Lauer und Andreas Baum, die beiden Profilierten. Ohne Bewerbungsreden, ohne Diskussion, fast ohne Gegenkandidat.

Nicht erst die Sondersitzung zur Neuwahl des Vorstands am Freitag, mit dem sich die Piraten in ihre erste Sommerpause verabschiedeten, zeigt: Die Partei ist eine andere als bei ihrem Einzug ins Abgeordnetenhaus vor neun Monaten.

Damals, im September, hatten sechs der neuen Abgeordneten die für den Fraktionsvorsitz kandidiert. Es wurde um Stimmen geworben, hitzig diskutiert. Am Ende machte der ausgeglichene Baum das Rennen. Am Freitag ziehen Simon Kowalewski und Fabio Reinhardt noch vor der Wahl ihre Kandidaturen zurück - man wolle anderen, denen der Posten "wichtiger" sei, nicht im Wege stehe. Einzig der 46-jährige Physiker Wolfram Prieß bewirbt sich spontan. "Damit das hier nicht in ein abgekartertes Spiel verfällt." Er hat keine Chance: Die 15 Fraktionäre wählen Baum mit 12, Lauer mit 10 Stimmen. Prieß bleiben 6. Die Piratenrunde applaudiert freundlich.

Die Doppelspitze sei nötig, hatte Baum zuvor erklärt, weil sich der alte, fünfköpfige Vorstand als "überflüssig" herausgestellt habe. Stattdessen soll Baum nun als Vorsitzender nach innen und Lauer nach außen wirken. Letzterer besiegte mit der Wahl auch sein Stigma als ewig Zweiter: Im September war der eloquente 28-Jährige mit seiner Kandidatur zum Fraktionschef noch arg enttäuscht gescheitert, ebenso wie zuvor als Bundesvorsitzender der Piraten. "Ungewöhnlich, wurde gewählt", konnte Lauer diesmal twittern.

Auch gewählt wurde der 24-jährige Jura-Student Heiko Herberg als neuer parlamentarischer Geschäftsführer. Er folgt auf Martin Delius, der am Mittwoch seinen Rückzug erklärt hatte. Auch hier: keine Gegenkandidaten. Immerhin kommt der Antrag durch, den Vorsitz statt alle zwei Jahre nun jährlich zu wählen.

Man könnte es fast langweilig nennen. Oder professionell. Zuletzt reagierten die Piraten auf verbale Fehltritte flugs mit Rücktritten und einer eigens einberufenen Konferenz zu Diskriminierung. Als der Piraten-Abgeordnete Gerwald Claus-Brunner von einem "Tittenbonus" twitterte, folgte umgehend per Mitteilung eine Entschuldigung. Und Delius erklärte seinen Geschäftsführer-Rückzug mit der Vorbereitung, die er gründlich anzugehen gedenke, vor der ersten Großaufgabe der Partei: Sie soll nach der Sommerpause den von der Opposition geplanten Untersuchungsausschuss zur geplatzten BER-Eröffnung leiten.

Weniger Anklang fand in der Partei, dass sich die Fraktion diese Woche in Potsdam zu einer viertägigen Klausur traf - nichtöffentlich. Mitglieder sahen die Ankündigung, dass dort auch "Strategisches" diskutiert werde, als Verrat am Transparenzgebot der Partei. Baum gestand eine "katastrophale Kommunikation". Eigentlich sei es nur darum gegangen, die persönlichen Belastungen der Abgeordneten aus den ersten Monaten zu klären. "Und das muss keiner vor Kameras tun", so Baum.

Claus-Brunner, diesmal mit hellblauer Latzhose, sagt: "Die Leichtigkeit des Anfangs ist verschwunden." Es wäre Quatsch, zu glauben, die Partei würde sich durch den Parlamentseinzug nicht verändern. "Aber manchmal geht das doch ein bisschen schnell."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • L
    leone

    Nicht schon wieder Lauer!!!

    Abgesehen von seiten der Optik unaushaltbar, ist seine Sympathie für die FDP Haltung zu Schlecker bei der Illner nicht vergessen, was hat der Typ mit dem realen Leben zu tun?

  • L
    Larissa

    Tja, Schade.

     

    Die Piraten sind eben genauso wie die anderen Parteien.

     

    Die Piratenpartei reagiert übrgens auch schon bereits nicht auf Zuschriften von Bürgerinitiativen, als wären sie genauso abgehoben und desiniteressiert wie die Abgeordneten, die seit Jahrzehnten im Abgeordnetenhaus sitzen. Alles, was nicht dem eigenen Ego und Fortkommen nutzt, ist eben uninteressant für PolitikerInnen. Dafür brauchen wir die Piraten nicht!

     

     

    Folgende Fragen stellen sich auch:

    Welche Position haben die Piraten eigentlich zum Fiskalpakt und zum ESM? Das sind entscheidenede Fragen!

     

    Wie unabhängig sind denn die Piraten in ihren außenpolitischen Positionen, wo ihr Bundesvorsitzender verbeamteter Regierungsdirektot unter dem CDU-Verteidigungsminister ist???

     

    Und wieso sind immer nur Männer an der Führungspositionenß Da habe ich als Frau ebenso wenig Bock in die Partei einzutreten wie in die CSU (obwohl - bei denen gibt es mehr Frauen oder?) Aber rückständig in Geschlechterfragen scheinen mir beide Parteien zu sein:

    Die Piraten mit ihrer realitätsfernen These von einer angeblich bestehenden "postgender" Gesellschaft. Und die CSU mit ihrem Frauenbild von vorvorgestern.

     

    Patriarchale Männervereine eben.

  • XP
    X-Berg Piratin

    Langsam nervt diese ewige Selbstreklame gewisser Rechtsanwälte im Verbund mit "Aktivisten", die mit ihren "Leitfäden" bei den Piraten hausieren gehen. Ich habe gehört, dass diese Leute das schon letzten Herbst bei den Grünen versucht haben sollen. Jetzt sind halt mal die Piraten dran, oder was? Dürfen Anwälte wie Herr Sydow überhaupt in dieser Art werben?

     

    Wenn diese Expertise so toll sein soll, dann hätte die schon längst jemand aufgegriffen. Da sich niemand ernst zu nehmendes dafür interessiert, lässt das gegenteilige Schlüsse zu.

     

    Und @Thomas Rudek: Es wäre bei den Piraten überhaupt nicht zu vermitteln, wenn die Abgeordneten einfach jeden Lobbyisten oder Berater mit irgendwelchen Aufträgen eindecken würden, der sich ihnen anzudienen versucht.

  • TR
    Thomas Rudek

    Es blebt zu hoffen, dass auf dieser Strategie-Konferenz auch die Anfechtung der Wasserverträge eine Rolle gespielt hat. Während der Finanzsenator Fakten schafft, beschränkt sich die Opposition, "ergebnisoffen" zu diskutieren. Offensive Oppositionsarbeit sieht anders aus, zumal Rechtsanwalt Olav Sydow aufgrund der "hohen Erfolgsaussichten" seine Bereitschaft erklärt, auf Basis eines Erfolgshonrars für klagewillige Abgeordnete eine Organklage gegen die Wasserverträge zu führen. Bisher hat nur Gerwald Claus Brunner von den Piraten positive Signale ausgestrahlt. Die Unterstützung durch die Fraktion blieb bisher aus. Ob das unter der neuen Doppelspitze anders wird? Ein Prozesskostenrisiko besteht nicht. Die Piraten haben nichts zu verlieren und können nur gewinnen.

     

    Thomas Rudek, Verfasser des Volksgesetzen

    weitere Infos unter www.wasserbuerger.de

  • TL
    Tim Leuther

    Die Pointe ist ja das die Fraktion aus 15 Piraten gibt.

     

    Vorher waren also knapp ein Drittel Vorsitzender oder Beirat.

     

    Jetzt sind es zwei von 15. Einer führt die Fraktion (gemeint sind die anderen 13) nach innen "moderierend", der andere vertritt Sie nach außen.

  • R
    Renee

    Dass es bei den Piraten nur um sie selbst geht, daran hat man sich ja schon gewöhnt, politisch habe ich nichts von ihnen erwartet und hatte bisher Recht.

     

    Wenn hier schon "Reibereien" erwähnt werden: wer den Lauer (@Schmidtlepp), den Reinhardt (@enigma424) und dessen Verlobte und Piratenvorstandsmitglied Julia Schramm (@laprintemps) die letzten Monate auf Twitter verfolgte, weiß, dass es kracht. Wie schon gegen Sebastian Nerz wettert der Lauer gegen die eigenen Leute, die Schramm hat den Lauer sogar geblockt auf Twitter. Lauer wird von anderer Presse hochgelobt und sorgt dafür, dass allein seine Interessen durchgesetzt werden.

    Und das alles völlig öffentlich, daher auch der Kandidatenmangel, wer bitte will sich in einer so kaputten Partei voller Selbstdarsteller und ohne jeden Zusammenhalt (wer ernsthaft politisch arbeitet ist nach Monaten ausgebrannt oder wird rausgemobbt) noch engagieren?

     

    Ich bin mir mittlerweile sehr sicher, dass die Piraten spätestens nächstes Jahr bei der BTW irrelevant sein werden.