Neues Comic-Museum in Oberfranken: Enten, Mäuse und ihre Übersetzerin
Erika Fuchs übersetzte liebevoll über Jahrzehnte Micky-Maus-Comics ins Deutsche. Ein neues Museum widmet sich ihr und der Entenhausen-Welt.
„Leute, die Geld ausgeben, verstehen nichts von den wahren Freuden eines Kapitalisten! Schnorch! Schnurch!“ Ein typisches Zitat von Dagobert Duck, der sein morgendliches Erfrischungsbad im Münzmeer seines Geldspeichers nimmt. Sein Zeichner-Schöpfer war Carl Barks. Doch seine deutschen Worte – und nicht zuletzt die Lautmalereien – stammen von der Übersetzerin Erika Fuchs (1906–2005).
Erika Fuchs hätte sicher geschmunzelt: ihr Städtchen hat nun einen Geldspeicher! Er steht als zirka drei Meter hoher Teil einer Entenhausen-Simulation im „Erika-Fuchs-Haus“ in Schwarzenbach an der Saale, einem 7.000-Seelen-Ort in Oberfranken, in dem Fuchs rund 50 Jahre lebte und arbeitete.
Dem Engagement des Sammlers und „Donaldisten“ Gerhard Severin sowie einiger Bürger Schwarzenbachs ist es zu verdanken, dass die Leistung einer Frau gewürdigt wird, die in der Nachkriegszeit durch ihre sorgfältige Arbeit dazu beigetragen hat, dass der damals als Schmuddelkunst verunglimpfte Comic schließlich doch anerkannt wurde – und dass er geradezu literarische Qualitäten entfalten konnte.
Im Untertitel heißt das Haus folgerichtig „Museum für Comic und Sprachkunst“. In erster Linie ist es ein visuell-interaktives Museum, dass die Kunstform Comic ehrt und exemplarisch am Kosmos Entenhausen analysiert. Darauf aufbauend widmet es sich den Möglichkeiten der Sprache innerhalb des Mediums, die Erika Fuchs so früh erkannt und ausgeschöpft hat.
Damals ein Phänomen: Frau mit Doktortitel
Knapp 5 Millionen Euro, die hauptsächlich aus Fördermitteln kommen, haben der Museumsneubau und dessen Ausstattung gekostet. Das wird von der Politik auch als Investition in eine strukturschwache Region angesehen (früher florierten hier Textil- und Porzellanmanufakturen), die für Touristen am Attraktivität gewinnen soll.
Alexandra Hentschel wurde als Museumsdirektorin ernannt, wie Erika Fuchs eine Frau mit Doktortitel. „Heutzutage ist das für eine Frau ja nichts Außergewöhnliches“ sagt die 46-jährige Kulturwissenschaftlerin, „aber Erika Fuchs machte ihren Doktor in Kunstgeschichte 1931 – das war damals ein seltenes Phänomen“. Hentschel ist mit Comics wie „Tim und Struppi“ und „MAD“ aufgewachsen und hat laut ihren Eltern schon immer wie eine Comicfigur gesprochen, also mithilfe von Fuchs’schen Schöpfungen wie „gähn“ oder „grummel“.
Erika Fuchs übersetzte die ersten Disney-Comics in Deutschland ab 1951 mit solcher Sorgfalt und Inspiration, wie man sie hierzulande nur aus der Hochliteratur gewohnt war. Das Erika-Fuchs-Haus ist tatsächlich das erste Museum, das einer Übersetzerpersönlichkeit ein Denkmal setzt. Nicht einmal August Wilhelm Schlegel, der die klassische deutsche Shakespeare-Übersetzung verantwortete, wurde ein Museum gewidmet.
Klassissche Zitate versteckt
Fuchs ist berühmt dafür, ihren Enten und Mäusen allerlei klassische Zitate in die Sprechblasen untergejubelt zu haben, darunter etwa Schlegels Shakespeare, Goethe, Schiller, Schubert-Liedzeilen – was in den Dialogen gar nicht altertümlich, sondern geistreich wirkt. Daniel Düsentriebs Ausspruch „Dem Ingeniör ist nichts zu schwör“ basiert etwa auf Heinrich Seidels „Ingenieurlied“ von 1871 (dort heißt es „schwere“).
Aus „Duckburg“ machte sie „Entenhausen“, für jede einzelne Figur kreierte sie (damit das Original übertreffend) eine eigene Sprechweise, Dagobert sprach altertümlich wie Fuchs’ Großeltern, für die Panzerknacker orientierte sie sich am Berliner Gossen-Jargon.
Wie ist eine Frau gutbürgerlich-ostpreußischer Herkunft wie Erika Fuchs eigentlich zum Comic gekommen? Anfangs nicht ganz freiwillig. Nach dem Kriege übernahm sie Übersetzungsaufträge für Reader’s Digest, und als diese ausblieben, bot ihr der Ehapa Verlag 1951 eher zufällig die Stelle als Chefredakteurin des neuen Micky-Maus-Magazins an. „Zweifel“ … „grübel“ … Die bislang nie mit Comics in Kontakt gekommene Fuchs haderte erst, fing dann aber schnell Feuer für die Donald-Geschichten von Carl Barks und anderen. Erika Fuchs übersetzte bis 1972 sämtliche Comics des Micky-Maus-Magazins, danach noch die Barks-Stories.
Mit der Hilfe einiger Donald- und Fuchs-Fachleuten und auf der Grundlage der Figuren- und Comicheft-Sammlung Severin entstand nun eine Ausstellung in sieben Räumen, die sich an Familien richtet, aber genauso erwachsene Duck-Interessierte anspricht. In einem Kurzfilm wird die Geschichte des Comics in einer Tour de Force durchgehechelt. Im nächsten Raum erscheint als visueller Höhepunkt Entenhausen in bunten Kulissen. Die Berliner Firma molitor, die für das Ausstellungskonzept verantwortlich zeichnet, hat geschickt die „Disneyland“-Falle vermieden, indem es bewusst zweidimensionale Kulissen bauen ließ, die perfekt der Ästhetik der Barks-Zeichnungen entsprechen.
Begehbarer Comic
Liebevoll werden elementare Orte des Entenhausen-Universums vorgestellt: Donalds Wohnhaus, Düsentriebs Erfinderwerkstatt, Oma Ducks Bauernhaus, Dagoberts Goldtaler-Bad und auch weniger geläufige Orte wie das Entenhausener Münster. Der nächste Raum wird vom „begehbaren Comic“ des deutschen Comiczeichners Simon Schwartz ausgefüllt.
Erika Fuchs’ langes Leben wird auf höchst anspielungsreiche und amüsante Weise auf raumhohen Comic-Tafeln dargestellt, etwa indem Schwartz eine TV-Diskussion von Erika Fuchs mit zwei fanatischen Comicgegnern (Prof. Dr. Schimpf und Dr. Geifer) um 1960 erfindet. Auf einer düsteren Tafel thematisiert Schwartz auch die Schattenseite von Erika Fuchs’ Mann Günter, der in militärische Projekte der Nazis wie die V2-Rakete involviert war. Die einzige Begegnung von Erika Fuchs mit dem Zeichner Carl Barks 1994 nimmt Schwartz ironisch aufs Korn.
Ein großer Raum widmet sich der Arbeit von Erika Fuchs. Wie hat sie zu solch originellen Formen der Übersetzung finden können, wie hat sie deutschen Lesern das an manchen Stellen sehr amerikanische Duck-Leben nähergebracht? Indem sie etwa ein Aktienhoch an der Börse zum „Wirtschaftswunder“ erklärte, oder aus „Halloween“ „Rosenmontag“ machte, hierzulande vollkommen unbekannte Produkte wie „Hamburger“ zur „Gulaschsuppe“ umdichtete.
Erika Fuchs’ häufiger und zur Perfektion gebrachter Gebrauch des „Inflektivs“ ist eine Besonderheit, die sogar in den deutschen Sprachgebrauch einging: man lässt das Wortende weg, wodurch aus „seufzen“ „seufz“ wird – und eine eigene lautmalerische Qualität entsteht. Heute nennt man den Inflektiv ihr zu Ehren auch „Erikativ“.
Sehr freie Bearbeitung
Im „onomatopoetischen Kabinett“ kann der Besucher selbst Lautmalereien kreieren, die er mit denen von Erika Fuchs vergleichen kann. Oder er versucht sich als Übersetzer und sucht nach eigenen Worten für die originalen Barks-Texte, die auf einem Bildschirm zu sehen sind, bevor die Fuchs-Version erscheint. Damit wagt sich das Museum spielerisch an eine Diskussion, die bisher unter manchen Barks-Puristen strittig ist: Geht Erika Fuchs mit ihrer oft sehr freien Bearbeitung der Originaltexte zu weit oder erhöht sie die Comics sogar qualitativ?
In manchen Texten, wie etwa der Übersetzung der frühen, 1943 während des 2. Weltkriegs entstandenen Barks-Geschichte „The Victory Garden“ macht sie aus dem „Sieges-Garten“, der zur Selbstversorgung des Landes während Notzeiten dienen sollte, einen unpolitischen „Öko-Garten“, und Donald bezeichnet die nervigen Krähen, die sein Gemüse stehlen wollen, als „Spielverderber“, während sie im Original „Saboteurs“ sind. Für die kindlichen Leser in der deutschen, 1980 zuerst erschienenen Version wären diese Anspielungen vermutlich wirklich nicht verständlich gewesen, für heutige erwachsene Leser ist der Subtext hingegen interessant.
Ohne Zweifel ist Erika Fuchs die richtige Person zur richtigen Stunde gewesen, um die Welt von Entenhausen unter die Deutschen zu bringen. Heute wird klar, dass die meisten ihrer Übersetzungen noch immer perfekt sitzen und an Wortwitz kaum zu überbieten sind, was aber auch an der Qualität der Comics von Carl Barks liegt.
Neben der Dauerausstellung sollen im Museum künftig auch wechselnde Comicausstellungen präsentiert werden, die den Bogen zur Gegenwart schlagen. Den Anfang wird im Herbst eine Ausstellung über die Gewinner des Max-und-Moritz-Preises 2014 in Erlangen machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs