Neues Buch von Alan Bennett: Mit Sinn für gemeine Details
Hinter der distinguierten Tweed-Fassade tun sich exzentrische Abgründe auf: Alan Bennett beschäftigt sich in „Schweinkram “ mit menschlichen Schwächen.
Auf dem Foto, das den Buchrücken der englischen Originalausgabe von Alan Bennetts „Smut“ ziert, wirkt der 78-jährige Autor wie ein freundlicher Rosenzüchter, der freie Nachmittage in seiner nordenglischen Heimat Leeds am liebsten beim Cream Tea verbringt.
In der jüngst auf Deutsch erschienenen Fassung „Schweinkram – Zwei unziemliche Geschichten“ lässt das Autorenfoto darauf schließen, dass sich hinter der distinguierten Tweed-Fassade exzentrische Abgründe auftun. Es zeigt Bennett beim Ausführen seines angeleinten Hausschweins.
Bevor Bennett in den neunziger Jahren begann Prosa zu schreiben, hat er sich vor allem als Dramatiker für Bühne, Fernsehen und Film einen Namen gemacht, geschauspielert und Regie geführt. Schon immer waren seine Stücke bevölkert von vom Leben etwas vernachlässigtem Personal, das sich vordergründig vermeintlich zwingenden gesellschaftlichen Strukturen unterwirft, aber in dem ganzen Konformismus anarchisches Potenzial zutage befördert. Liebevoll und mit Sinn für gemeine Details werden menschliche Schwächen offengelegt. Bei Bennett erfolgt das stets respektvoll und mit feinem Humor.
Wie bereits in den früheren Erzählungen „Die Lady im Lieferwagen“ (1990) und der sagenhaften „Die souveräne Leserin“ (2007) beweist er bei der Zeichnung von Frauenfiguren eine glückliche Hand. So auch in den beiden tatsächlich unziemlichen Geschichten, die in „Schweinkram“ vereint sind.
Die titelgebende Mittfünfzigerin aus „Mrs. Donaldson erblüht“ muss sich nach dem Tod ihres Ehemanns die Rente aufbessern. Als begnadete „Simulierte Patientin“ bringt sie Medizinstudenten, deren Diagnosefähigkeit geschult werden soll, an den Rand der Verzweiflung. Je nach Bedarf hat sie einen Schlaganfall oder ein Zwölffingerdarmgeschwür. Sie macht ihre Sache so gut, dass es ihr einmal fast zum Verhängnis wird. Doch die Art und Weise, mit der das studentische Untermieterpärchen seinen Mietrückstand begleicht, trägt noch ungleich mehr zu Mrs. Donaldsons Erblühen bei.
Rundumschlag auf zeitgenössische britische Gesellschaft
Bennett nutzt seine Geschichten und die Gedankengänge seiner Protagonisten, um zu Rundumschlägen auf die zeitgenössische britische Gesellschaft auszuholen. In „Mrs. Donaldson erblüht“ ist das verkommene englische Gesundheitssystem Zielscheibe, die „Souveräne Leserin“ verteidigt das Lesen zum Vergnügen gegen eine ausschließlich vom Nutzen diktierte Beschäftigung mit Büchern. Sein neuestes Theaterstück, „People“, nimmt die profitgierige Aufarbeitung historischer Schätze des National Trust aufs Korn.
Die elegant-humorvolle Anprangerung von Bigotterie und Heuchelei zieht sich wie ein roter Faden durch Bennetts Werk und ist auch zentraler Bestandteil der zweiten unziemlichen Geschichte, „Mrs. Forbes wird behütet“. Hier belügt jeder und jede – sich selbst und andere – einzig, um das Gesicht zu wahren. Da alle Protagonisten dieses eine Ziel verfolgen, klappt das ganz ausgezeichnet.
Doch ab dem zweiten Drittel scheint Bennett der Geschichte etwas überdrüssig. Indem er einige Protagonisten fast nebenbei sterben lässt und ganze Lebensläufe abrupt zu Ende erzählt, wirkt „Mrs. Forbes“ ein wenig krude. Dennoch, Bennett entlarvt sein gesamtes Personal, in dem er ihre Dialoge und Taten genüsslich mit erklärenden Halbsätzen versieht, die vor Sprachwitz bersten.