Neues Album von Unheilig: Der Bestattungsschlagersänger
Songs wie Horoskope: Am Freitag erscheint das neue Album von Unheilig – auch dieses wird es wieder an die Chartspitze schaffen. Warum eigentlich?
Den schönsten Grabstein 2011 entwarf das Keramikatelier Feuermale in Rostock. Die schönste Urne des vergangenen Jahres gestaltete Bettina Ulitzka aus Hamburg. Und der schönste Sarg kam aus Freiburg von Cascada design. Doch die unbedingt zu empfehlende Website bestattungen.de vergibt nicht nur diese Branchen-Awards, sondern ermittelt auch alljährlich jene Lieder, zu denen der Deutsche am liebsten in die Grube fährt.
Das war im vergangenem Jahr wie auch schon 2010 „Time To Say Goodbye“ von Sarah Brightman. Direkt dahinter aber, so die Pressemitteilung von bestattungen.de, kam schon „der Aufsteiger des Jahres bei Beerdigungen“ ein: „Geboren um zu leben“ von Unheilig.
Nun muss sich die Engländerin Sarah Brightman in Acht nehmen. Ihre Spitzenposition ist in Gefahr. Denn Unheilig legen nach. Schon an der allerersten Singleauskopplung aus dem neuen Album „Lichter der Stadt“ dürfte demnächst niemand mehr vorbeikommen, der einen lieben Verstorbenen standesgemäß zur letzten Ruhe betten möchte.
Der Song beginnt mit weihevollem Gesumme, ein festlicher Beat aus dem elektronischen Schatzkästlein setzt ein, ein kleines Orchester aus dem Computer legt blauschwarzen Samt aus, und dann fragt „Der Graf“, Sänger, Songschreiber und einziges Mitglied von Unheilig: „Wohin sind die Jahre und Tage des Glücks?“ Das ganze Ensemble ist unterlegt mit einem erhabenen Hall wie aus einem komplettgekachelten Leichenschauhaus. Im Refrain schließlich verspricht „Der Graf“ nicht weniger als den Trost des ewigen Lebens: „So wie du warst, bleibst du hier, so wie du warst, bleibst du immer bei mir.“ Im dazugehörigen Videoclip steht Deutschlands momentan erfolgreichster Musiker inmitten verwelkter Blätter, die seltsamerweise, aber dafür in Superzeitlupe aus dem Gewölbe eines Schlosssaals regnen.
Gestorben wird immer
Angesichts der Absatzsorgen, die die Musikindustrie schon seit einiger Zeit plagen, ist das natürlich nicht doof. Gestorben wird schließlich immer, auch und gerade in schlechten Zeiten. Man darf aber trotzdem davon ausgehen, dass der gelernte Hörgeräteakustiker und ehemalige Zeitsoldat nicht in voller Absicht einen Bestattungsschlager nach dem anderen aufnimmt. Würde der Aachener mit der Glatze, der seinen Namen, sein Privatleben und selbst sein Geburtsdatum erfolgreich unter Verschluss hält, derart absichtsvoll vorgehen, wäre ihm wahrscheinlich schon früher der Durchbruch gelungen.
Der kam schließlich erst 2010 mit „Geboren um zu leben“ und seinem bereits siebten Studioalbum „Große Freiheit“. 23 Wochen lang stand Unheilig an der Spitze der Album-Charts und kassierte siebenmal Platin. Niemand sonst, nicht einmal eine Lady Gaga, hat im Jahr 2010 in Deutschland mehr CDs verkauft als „Der Graf“. Den Rekorden folgten dann drei Comet, fünf Echos und noch ein paar Schubkarren voller Preise mehr, die endgültig bewiesen: Da war im Mainstream angekommen, was bis dahin, sorgsam schwarz getarnt, nur im Untergrund bekannt war.
Denn bis zum riesigen Erfolg hatte sich Unheilig bereits eine solide Gefolgschaft in der Gothic-Szene erspielt. Die wird zwar von den etablierten Medien so lange ignoriert, bis wieder mal ein paar Minderjährige bei einer Schwarzen Messe auf dem nächstgelegenen Friedhof erwischt werden, aber bereits bevor er die Charts stürmte, kamen zu den Konzerten von Unheilig schon mal 2.000 Menschen.
Trost in der Krise
Wie daraus aber solch ein Massenphänomen werden konnte, das hat weniger mit Unheilig selbst, als mit den Massen und deren Verunsicherung zu tun. Denn die benötigen Trost in der Krise, die sie erfasst hat, nachdem die spirituelle Leere nicht mal mehr durch ökonomischen Überfluss kompensierbar scheint. Und wer sollte solchen Trost besser spenden können als jemand aus der Schwarzen Szene. Schließlich hat sich das Schwarzkittelgewerbe nicht nur selbst als überaus krisensicher erwiesen. Es erzählt auch in seinem Kern stets immer nur von Verlust, von Verzweiflung, von der Krise.
So unterschiedlich also die vielen Sub-Genres, aufgeschlüsselt in obskure Nischen wie Death Rock, Ethereal, Gothabilly oder Horrorpunk, auch klingen mögen, eins verbindet sie neben der überwiegend dunklen Bekleidung: eine Todessehnsucht, in der es sich die deutsche Seele spätestens seit der Romantik gemütlich und mit großer Lust eingerichtet hat.
Nur: Selten passte solch ein Pessimismus so gut zum allgemeinen Zeitgeist wie in diesen Tagen, in denen der Untergang der Welt, wie wir sie kennen, bevorsteht, und selbst der Mittelschicht alle Sicherheiten abhanden zu kommen scheinen. Die war schon immer bevorzugte Zielgruppe düsterer Klänge. Interessanterweise haben sich entsprechende Subkulturen immer nur in entwickelten postindustriellen Dienstleistungsgesellschaften entwickeln können. Der durchschnittliche Grufti besaß stets auch noch ein bürgerliches Leben und am helllichten Tage eine Laufbahn im mittleren Dienst. Nun aber droht auch seinen Kollegen der Abstieg.
Meister dieser hohlen Phrasen
In dieser Situation bieten Unheilig Orientierung – gerade, indem die Songs keine klare Richtung vorgeben. Stattdessen funktionieren sie wie Horoskope: So geschickt sind die Sinnsprüche formuliert, dass sie auf jede menschliche Situation angewendet werden können. „Der Graf“ ist ein Meister dieser hohlen Phrasen, ein Künstler der bedeutungsschwangeren, allgemeingültigen, aber schlussendlich leeren Metapher. Viel ist die Rede von „Licht“ auf dem neuen Album, nicht nur im Titelsong „Lichter der Stadt“, mehr noch von „Träumen“ oder „Freiheit“. Mal ist „der Himmel unendlich nah“, dann „der Horizont grenzenlos und weit“.
Seine Lieder scheinen geschrieben von professionellen Grabrednern, die mit austauschbaren Versatzstücken noch jede Trauergemeinde zu rocken in der Lage sind. „Wir wollen die Sehnsucht schüren und euer Herz berühren“, singt der selbsternannte Adelige in „Herzwerk“, während Gitarren wie von Rammstein donnern. Und auch wenn das Klangbild für „Wie wir waren“ ins andere Extrem, zum schmalzigen Schmusepop pendelt, bleibt doch doch das Pathos erhalten: „Wir wollen wie Helden und Könige sein.“
„Wie wir waren“ ist ein Duett mit Andreas Bourani. Einen anderen Song bestreitet „Der Graf“ mit Xavier Naidoo. Eine folgerichtige Wahl: Der lockige Schmerzensmann und der soulsingende Christenmensch bedienen zwar nicht ganz dieselbe Klientel wie Unheilig, aber sie bieten doch eine vergleichbare Dienstleistung an. Alle leisten sie Aufarbeit an der deutschen Seele, die heutzutage endlich mal allen Grund hat, so trübe in die Zukunft zu blicken, wie sie das schon immer gerne tut.
Unheilig: "Lichter der Stadt" (Vertigo Berlin/Universal), erscheint am 16. 3.
Live: 23. 3. Düsseldorf, 24. 3. Bremen, 25. 3. Dresden (alle ausverkauft), große Tour ab 30. 6.
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