Neues Album von US-Künstlerin Grouper: Die Gegenwart drängelt in die Lücke
Traumverloren somnambul: Liz Harris veröffentlicht unter ihrem Alias Grouper watteweichen Ambient-Sound. „Grid of Points“ heißt ihr neues Werk.
Aufzeichnungen machen Musik in Zeit und Raum beweglich. Ohne Aufnahme bleibt Musik nur ein flüchtiger Moment, der an einen Ort gebunden ist. Heute können beinahe identische Klangabbilder erzeugt werden, die sich in beliebigen Augenblicken wiedergeben lassen, ohne etwas darüber zu verraten, wie und wann sie festgehalten wurden.
Frühere Aufnahmen knistern und zerren – sie klingen alt. Die bildende Künstlerin Liz Harris aus Oregon nimmt ihre Musik unter dem Namen Grouper auf einer alten Vierspurmaschine auf und löst mit deren Rauschen die Klangsignatur in der Zeitlichkeit auf.
Beim Chicagoer Ambient-Label Kranky erscheint „Grid of Points“, das elfte Album von Grouper. Acht fragmentarische Miniaturen für Klavier und Stimme finden sich da, allesamt Improvisationen in freiem Tempo.
Der Gesang scheint aus ungreifbarer Ferne zu dringen, das Klavier sich in einem leeren Zimmer selbst zu spielen, mal melancholisch und sanft mit vereinzelten, lang ausklingenden Akkordanschlägen, mal in unheimlichen Disharmonien. Trotz der Unschärfe, die durch Hall und Rauschen herbeigeführt ist, behalten die Stücke immer klare Kanten, verschwimmen nie zur Beliebigkeit.
Das Klavier im leeren Zimmer
Harris verwandelt Emotionen in halbdunkle, schemenhafte Räume, die die HörerInnen betreten können, um darin das eigene Innere zu finden. Nie drängt Grouper ihre eigene Geschichte zu sehr in den Vordergrund, sie lässt Platz.
Ein Großteil der Grouper-Alben entstand im Innehalten. Auch die Stücke auf „Grid of Points“ komponierte Harris im abgelegenen US-Bundesstaat Wyoming, wohin sie sich zurückgezogen hatte. Nach anderthalb Wochen bekam Harris allerdings hohes Fieber, musste unterbrechen und beschloss angesichts ihrer angeschlagenen Gesundheit, die Aufnahmen zu beenden. Jene zuvor entstandenen 25 Minuten wirken trotzdem wie kleine Ewigkeiten.
Die Musik gewinnt gerade durch ihren fragmentarischen Charakter an Gravität: „Parking Lot“ beginnt wie die Skizze eines Orchesterwerks. Das dramatische Spektrum zeichnet Harris durch die Auslassungen vor, das wenige Gespielte beschreibt die Räume, die es nicht füllt. Lücken sind ebenso wichtig wie das Hörbare. Auf einer erlebbaren Metaebene löst Grouper binäre Gegensätze wie Anwesenheit und Abwesenheit, Erinnern und Vergessen, Zeigen und Verstecken einfach auf.
Grouper: „Grid of Points“ (Kranky/Cargo)
Ein deutlicher Puls scheint „Driving“ zu drängen, dabei klingt da nichts als ein phrasenhafter Klaviersockel und Harris’ schwebender zweistimmiger Gesang. Mal setzen beide gemeinsam ein, dann wieder spielt das Klavier Melodien zu Ende, in denen die Stimme abbricht. Es ist das einzige Stück auf dem Album, dessen Teile sich wiederholen, Strophen und Refrain bilden. Mit Mühen lassen sich die Worte „Mother“ und „Child“ verstehen, der Text bleibt auf diesem Album ansonsten verschleiert.
Den Übergang zwischen „Driving“ und dem nachfolgenden „Thanksgiving Song“ markiert ein kleiner Aussetzer im Rauschen der Vierspurmaschine – eine winzige Lücke, in die sich scheinbar die ganze Gegenwart drängelt und die Konzentration unterbricht. Dann umschlingen sich Echos und Imitationen, improvisierte Melodien voll kleiner Störgeräusche eilen einander hinterher und verwischen jegliches Gefühl von Takt und Zeit. Harris gibt dem Stück mehr als 20 Sekunden zum Ausklingen, blendet auch das Rauschen aus, bis zur vollständigen Stille.
Wie das Vorgängeralbum „Ruins“ endet „Grid of Points“ mit einem Stück Musique concrète, einer Collage aus Aufnahmen einer Lokomotive. Einmal mehr kreiert Harris auf „Grid of Points“ Momente der Irritation – einen Umriss, einen Abdruck, einen Schatten von Klang: nichtmaterielles Zeugnis einer fernen Zeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!