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Neues Album von Tune-YardsAuf charmant selbstvergessene Art

Die kalifornische Künstlerin Merrill Garbus alias Tune-Yards macht auf „Nikki Nack“ aus surrealen Settings geniale Songs.

Bastelt mit einfachen Mitteln komplexe Songs mit Popappeal: Merrill Garbus. Bild: imago/ZweiKameraden

Ihr neues Album „Nikki Nack“ ist Merrill Garbus, Gründerin und treibende Kraft von Tune-Yards, wie einen Bürojob angegangen: Fünf Tage die Woche ging sie morgens um neun Uhr in ihren Proberaum, mit Molly-Ann Leikins Buch „How To Write A Hit Single“ und konkreten Aufgabenstellungen. Einmal waren die analogen Drums dran, dann die digitalen. Und natürlich auch die Gesangsmelodien, schließlich ist Garbus’ Stimme ihr großes Alleinstellungsmerkmal.

Am Ende jedes Arbeitstages sollten dann wenigstens zwei Ideen auf einem Demo verewigt sein. Garbus, davon zeugt nicht nur dieses strenge Regelwerk, sondern auch die Texte auf ihrem neuen Album „Nikki Nack“ beweisen es, hat es sich nicht leicht gemacht mit ihrem dritten Werk. Dabei hatte man bisher den Eindruck, dass die Songs aus ihr geradezu heraussprudeln und ihre sehr eigene Mischung aus Folk, Beats, R & B und Weltmusik auf ganz organische Weise entsteht.

Das gilt für das mit Ideen vollgepackte und primitiv mit Diktiergerät aufgenommene Debüt „Bird-Brains“ (2009) ebenso wie für den Nachfolger „who kill“ (2011), der zwar professionell produziert ist, auf dem die Konventionen des Pop gleichwohl immer noch liebevoll zerstückelt wurden.

Yoko Ono als Fan

Das Album

Tune-Yards: „Nikki Nack“ (4AD/Beggars/Indigo). Live: 14. Mai im „Berghain“ Berlin, 15. Mai im „Nochtspeicher“ Hamburg.

Bald hatte Garbus prominente Fans, Yoko Ono zum Beispiel oder RZA vom Wu-Tang-Clan, und eine ständig wachsende Hörergemeinde – nicht zuletzt dank ihrer Auftritte, die immer wieder für offene Münder beim Publikum sorgten. Mittlerweile wird sie unterstützt von Bassist Nate Brenner, anfangs stand sie ganz allein auf der Bühne. Nur mit ihrer Stimme, die croont oder jodelt und dann wieder nach Souldiva klingt, mit einem Loop- und-Sample-Gerät und ihrer Ukulele.

Vor den Augen des Publikums bastelte Garbus mit einfachen Mitteln komplexe Songs mit Popappeal – und das auf eine charmant selbstvergessene, so beiläufige wie hingebungsvolle Art. Und nun, nach dieser verblüffenden Erfolgsgeschichte, eine Schreibblockade – und das Gefühl, von vorne anfangen zu müssen „They say I’m the real thing (Oh no!) / I sound like the real thing (OH NO!) / Singing real loud like the real thing (OH NO!)“. Zwei Strophen weiter erweist sich das titelgebende „Real Thing“ dann zwar als schon „curse“, doch die Freude über die Kraft ihrer Lungen will sie sich davon nicht nehmen lassen: „Oh my god / I use my lungs (Bless my lungs! Bless my lungs!).“

Es geht leicht daneben, wenn Künstler ihre Kunst und die Hürden, die sie dafür nehmen müssen, zum Thema machen. Doch Garbus gelingt es nicht nur hier, einem potenziell drögen oder anstrengenden Gegenstand einen subjektiven und dabei entrückten, leicht surrealen Zugang abzuringen. So entsteht sogar aus dem Umstand, dass viele US-Amerikaner Steuern für Teufelszeug halten, ein überbordender Song. Zur Single „Water Fountain“ wurde Garbus nämlich von der verfallenden städtischen Infrastruktur angeregt, zu der in den USA eben auch öffentliche Trinkwasserhähne gehören. Herausgekommen ist ein tolles Stück, das zwischen bösem Kinderreim und groovendem Dance-Track changiert.

Wie aus der Serie „Portlandia“ entsprungen

Aufgewachsen ist die Tochter zweier Folkmusiker in Connecticut, studiert hat sie dann am renommierten Frauen-College Smith in Massachusetts. Mittlerweile lebt sie im nordkalifornischen Oakland. Ein Semester studierte sie in Kenia, wo sie ihr Herz für kongolesischen Pop und afrikanische Musik allgemein entdeckte. Nach dem Studium schlug sie sich allerdings erst mal als Puppenspielerin durch. Ein bisschen liest sich die Biografie der 35-Jährigen, als hätten sich die Erfinder von „Portlandia“, der US-Serie, in der das Milieu einer politisch korrekten, ökologisch bewussten Mittelschicht in durchgeknallten Sketchen auf die Schippe genommen wird, eine prototypische Indie-Musikerin ausgedacht.

Dem US-Musikkritiker Chuck Klosterman waren Garbus’ Eckdaten jedenfalls Klischee genug, um zu einem ordentlichen Tune-Yards-Bashing im bekannten Popkultur-Blog „Grantland“ anzusetzen – offenkundig befremdet darüber, dass „who kill“ die Jahresbestenliste der New Yorker Stadtzeitung Village Voice anführte. Und über die hatten immerhin 700 Kritiker entschieden. Klostermann macht kein Hehl daraus, das Album kaum zu kennen, prophezeite aber, dass man es „eines Tages viel schlimmer finden wird, als es ist“, und dass es wohl allenfalls als Treppenwitz der Popgeschichte, als Exempel einer Zeitgeistverirrung in Erinnerung bleiben wird.

Sogar die Puppenspielerei und die alberne Schreibweise des Bandnamens führt er ins Feld – wofür, erschließt sich allerdings nicht ganz. Last but not least kommt Klostermann zum mutmaßlichen Kern seiner Irritation: Garbus’ seinem Eindruck nach androgynes Image lässt ihn ratlos zurück. Offensichtlich hat man es auch in Nischen des Popbetriebs als Frau nach wie vor besonders schwer, nicht in einer Schublade zu landen.

Experimentierfreudig wie eh und je

Merrill Garbus und ihrem Projekt Tune-Yards kann das wohl wenig anhaben, dazu ist ihr Ansatz zu eigenwillig, ihr Publikum viel zu verzaubert von den Auftritten. Hat es denn nun aber mit dem Schreiben von Hits geklappt, steht der Durchbruch in den Mainstream unmittelbar bevor? Zum Glück nur so halb. Auf „Nikki Nack“ zeigt Merrill Garbus sich experimentierfreudig wie eh und je, klingt aber trotzdem eingängiger – nicht zuletzt, weil die Songs elektronischer und etwas entschlackter sind. Früher erschloss sich der Popkern ihres Sounds erst beim zehnten Hören, jetzt zündet es schon im dritten Durchgang. Oder eben sofort, wenn man das Glück hat, Tune-Yards gleich bei der ersten Begegnung live zu erleben.

Um Garbus’ kreatives Potenzial, das zeigt das Album, muss man sich keine Sorgen machen. Höchstens darüber, ob Tune-Yards es schaffen werden, die eindrückliche Unmittelbarkeit ihrer Konzerte zu bewahren, wenn die Hallen immer größer werden.

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