Neues Album von The xx: Ein ortloses Etwas

Sehnsüchtig wurde „Coexist“, das zweite Album der Band The xx, erwartet. Elf gute Songs, die ihren lakonischen Sound zuspitzen.

Wie immer gewohnt lakonisch. Bild: Jamie-James Medina

Zuversicht ist ihre Stärke. Anderthalb Jahre lang sind The xx nach Veröffentlichung ihres Debütalbums 2009 durch die Welt getourt. Was andere zermürbt, hat die Band in ihrem Überraschungserfolg nur bestätigt.

Das Ätherische, entschleunigt Zähe ihrer Musik, in England nannte man es folgerichtig „Dreampop“. Dazu Texte über Angst, Entfremdung und Einsamkeit, dargeboten mit einer superspartanischen Klangsignatur aus Gitarre, Bass, Synthesizern und Beats. Offensichtlich sprechen die Teenagerthemen auch Älteren aus der Seele.

Den Scheues-Reh-Eindruck der Musik untermauert die einheitliche, von Joy Division und Factory Records entlehnte Bandästhetik; das Albumcover ganz in Schwarz, mit eingekerbtem Kreuz. Romy Madley-Croft, Oliver Sims und Jamie Smith, stets in Schwarz gekleidet; darüber hinaus spärliche Informationspolitik. All das trifft den Nerv einer auf ständige Aktualisierung und maximale Transparenz geeichten Popöffentlichkeit. Kein leaken und kein liken stören ihre Songs am Wachsen. Im Gegenteil, The xx hält sich hartnäckig in Playlisten und Jahrescharts und wird in der Heimat der Band mit dem Mercury-Prize ausgezeichnet.

Als das Trio im Oktober 2010 wieder in London vor Anker geht, sehen sich die drei Musiker mit für sie merkwürdigen Umständen konfrontiert. Während sie on the road volljährig geworden sind, haben ihre Freunde in der Zwischenzeit Schule und Ausbildung absolviert. „Sie wirkten verunsichert, wussten nicht, was nun werden soll. Die Welt war ihnen voraus. Wir hatten auf Tour dagegen Selbstbewusstsein getankt“, bilanziert Jamie Smith, Keyboarder und Drummer des Londoner Trios.

Aus der schüchternen Indieband ist unterwegs ein Projekt mit Masterplan geworden, das sich in der eintönigen und nervenaufreibenden Routine des forcierten Tourdaseins Entdeckergeist bewahrt. Jamie Smith wird zum gefragten Produzenten. „Wir haben es genossen, wieder in London zu sein, neue Ideen auszuprobieren. Wir sind von zu Hause ausgezogen, gingen reichlich aus. Dancefloor wurde zu unserem Versuchsfeld.“

Geschäftige Euphorie

Die Musiker mieten eine Wohnung, richten darin ein Studio ein („Our Studio“ taufen es The xx gewohnt lakonisch) und fangen an, Songs zu arrangieren und aufzunehmen. Daraus ist das Material für „Coexist“ entstanden, ihr sehnsüchtig erwartetes zweites Werk. Elf Songs, die den entkernten Sound ihres Debütalbums weiter zuspitzen.

Da wird so viel Lücke zwischen den Tönen gelassen, man könnte bequem den Abwasch erledigen. Auch die Texte schöpfen aus dem Vokabular der Weltabgekehrtheit, lassen unklar, ob der Wunsch, sich zu verbergen, eher Lust oder Zwang bedeuten. „The walls I hide behind / You walk through“ heißt es in „Our song“. „Hide away / I hide away with you / I let the world just slip away / And I’m left with you“, lauten Zeilen in „Swept Away“. Dieses Abgekehrte verbindet sich mit der geschäftigen Euphorie von Dancefloor-Elementen und geht eine seltsame Verbindung ein.

Jamie Smith erzählt von seinem ersten Nottinghill-Carnival-Erlebnis, als er zusammen mit dem US-DJ Diplo in den subsonischen Sog der Soundsystems gerät. „Ich lernte den Bass fühlen.“ Seine Kenntnis von House und Dubstep hat er inzwischen auch auf Mainstream-Künstler wie Drake oder Adele angewendet, für die er Songs komponierte.

Die raffinierteren Beats hat er sich aber für „Coexist“ aufbewahrt. Sie gehen niemals in die Vollen, umkreisen die Gitarren- und Bassriffs der beiden Sänger Romy Madley-Croft und Ollie Sims, setzen Breaks, bremsen und beschleunigen die Riffs.

„Coexist“, der Albumtitel, beschreibt den Regenbogeneffekt, der entsteht, wenn die Flüssigkeiten Öl und Wasser aufeinandertreffen. Das Foto einer Lache ziert das Innere des Albumcovers. Außen ist „Coexist“ ganz in Weiß gehalten. Smith findet, die Lache im Inneren sei ein schönes Bild, um die Arbeitsweise der drei Musiker zu beschreiben. Öl und Wasser mischen sich nicht, sie bilden eine Emulsion.

Obwohl sie sich seit Kindertagen kennen, pflegen die Musiker von The xx untereinander ein distanziertes Verhältnis. Es seien gemeinsame Vorlieben im Geschmack, die beim Erschaffen ihres unverwechselbaren Sounds eine Schnittmenge bilden. Auf der Homepage der Band finden sich Links zu Songs, die alle drei mögen.

So unterschiedliche Künstler wie Soulsänger Otis Redding und sein Song „Precious Love“ oder ein Track des Dubstep-Produzenten Pearson Sound. „’Coexist‘ spielt auch auf gescheiterte Beziehungen an“, ergänzt Smith. „Es liefert eine Erklärung zu unserem Bandnamen. Verflossene und Freunde, mit denen man trotz aller Auseinandersetzungen weiter befreundet bleibt, Kompromisse, die man dafür eingeht, Koalitionen, die man schmiedet.“ Koexistenz klingt plastischer als Emulsion und nicht so defensiv wie Kompromiss. Der Sound des Albums verbindet digitale und analoge Klangelemente.

Dynamisch, das schon

Smith, der Multiinstrumentalist und DJ, Gitarristin Romy Madley-Croft und Bassist Ollie Sims gingen zusammen zur Schule im Südlondoner Stadtteil Putney. „Eine Problemschule“, erzählt Smith. Ganggewalt spielte dort eine Rolle, Mobbing, inkompetente Lehrer. Die Musik hat sie aus diesem Teufelskreis herausgeführt.

„Coexist“ ist frei von jeder Aggression und jeder Territorialisierung. Ein ortloses Etwas, wo Pop oftmals Präsenz markiert und Positionen für sich reklamiert, ist „Coexist“ ein einziges Rückzugsgefecht. Dynamisch, kraftvoll, das schon, die Energieschübe kommen von Jamie Smith. „Ich könnte nie woanders leben als in London. Aber ich möchte nicht, dass sich unsere unmittelbare Umgebung als direkter Einfluss in unserem Sound niederschlägt.“

Wohin Popmusik einen bringen kann: Beim Interview im Berliner Soho House, einem poshen Etablissement im Neokolonialstil, versinkt der schmächtige 22-jährige Smith in den riesigen Polstern des Sofas. Sein Laptop steht auf einem Backgammontisch in einer Suite. Wenn er zu sprechen anhebt, wandern seine Worte einmal durch den Raum. „Die spartanische Musik ist gar nicht so sehr Konzept“, behauptet Smith. „Wir wollen es uns damit nur ermöglichen, live aufzutreten. Und wir drei können eben nur drei Instrumente zur gleichen Zeit spielen.“

Dass darin auch Tücken liegen, zeigt die Generalprobe am Dienstag im ausverkauften Admiralspalast in Berlin, wo The xx erstmals die Songs von „Coexist“ live spielen. Das Trio hält die Spannung der Albumdramaturgie nicht bis zum Schluss durch. Digitale und analoge Instrumente schaffen es an diesem Abend nur selten, kohesiv zu klingen. Plötzlich wirkt die Verlorenheit ihrer Texte unangenehm authentisch. Gut, dass das neue Album Geborgenheit stiftet.

The xx: „Coexist“ (Young Turks/ Beggars Group/Indigo)

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