Neues Album von Rocket From The Tombs: Eine außerordentliche Chemie
Rocket From The Tombs haben Punk nicht erfunden, sondern ihm Mitte der Siebziger Jahre höchstens den Weg geebnet. Das zeigt auch ihre neue CD "Barfly".
BERLIN taz | Man sollte nicht alles glauben, was man so liest. Auf keinen Fall sollte man aber glauben, falls demnächst irgendwo mal wieder steht, dass Rocket From The Tombs den Punk erfunden haben. Denn erstens: hatten den vor ihnen schon die Stooges erfunden. Oder die Sonics. Zweitens: Eine Band, die Mitte der Siebziger Jahre gerade mal acht Monate existiert hat und, wenns hoch kam, gewöhnlich vor fünfzig Leuten spielte, kann gar nichts erfunden haben.
Und drittens: ist das sowieso totaler Quatsch, sagt David Thomas, denn Punk ist nur ein Modegag. Und seine Band hat garantiert keinen Punk gespielt. Gut, da gehen die Meinungen jetzt auseinander. Aber Thomas sollte es wissen. Denn er war dabei damals. Er hat Rocket From The Tombs Ende 1974 oder Anfang 1975 in Cleveland gegründet, so genau kann er sich daran nicht mehr erinnern.
Sicher ist nur: Im August 1975 spielte die Band ihr letztes Konzert, ohne auch nur ein einziges Mal ein Studio von innen gesehen zu haben. Nun, nur 36 Jahre später, haben Rocket From The Tombs mit "Barfly" den Nachfolger herausgebracht zu jenem Debüt, das damals niemals aufgenommen wurde.
Von den Kritikern verehrt
Das wäre nicht weiter von Interesse, wären Rocket From The Tombs nicht in die Popgeschichte eingegangen. Und zwar aus drei Gründen. Der erste und der zweite Grund sind die beiden Bands, die aus den Resten entstanden: Zum einen die Dead Boys, aus denen später wiederum Lords Of The New Church wurden. Zum anderen Pere Ubu, bis heute die Band des schwergewichtigen Thomas und von den Kritikern verehrt.
Der dritte, ungleich wichtigere Grund, ist ihre kurze, heftige, tragische Geschichte, die Rocket From The Tombs auf der Liste der großartigsten Bands, aus denen nie geworden ist, was aus ihnen hätte werden können, noch vor den schon ziemlich grandios gescheiterten Big Star auf Platz eins platziert.
Es ist heute nur bedingt nachvollziehbar, was Rocket From The Tombs damals so großartig gemacht hat. Wohl vor allem eine Wut, wie sie nur in der amerikanischen Industriestadt Cleveland entstehen konnte, und eine jugendliche Arroganz, die zu Wuthymnen wie "Life Stinks" oder "Aint It Fun" führten, aber auch im Verbund mit Alkohol und Drogen zu einer explosiven Grundstimmung in der Band.
Prügeleien waren an der Tagesordnung, Drogen ruinierten Konzerte, die Trommler wechselten häufig, Spannungen innerhalb der Band wurden immer größer und führten schließlich zur Auflösung. Zwei Jahre später war Sänger und Gitarrist Peter Laughner, kreativer Kopf neben David Thomas, tot. Gestorben im Alter von nur 25 Jahren an einer Bauchspeicheldrüsenentzündung, die auf den Alkohol- und Drogenmissbrauch zurückzuführen war.
Eine außerordentliche Chemie
David Thomas hat überlebt. Dafür hat der mittlerweile 58-Jährige aber immer wieder erzählen müssen, dass mit Rocket From The Tombs auf Tour zu gehen, die schlimmste Erfahrung seines Lebens war. Aber er und die anderen hätten damals die Tortur aus einem einzigen Grund auf sich genommen: Weil auf der Bühne zwischen diesen Menschen, die sich sonst am liebsten an die Gurgel gehen würden, ein außerordentliche Chemie entstand.
Diese Chemie kursierte jahrzehntelang, festgehalten auf Kassetten. Dank einiger weniger Live-Bootlegs in erbärmlicher Qualität wurden "Life Stinks", "Aint It Fun" und andere Stücke wie "Amphetamine" und "Sonic Reducer" zu Klassikern, die nicht nur von den Nachfolgebands gespielt, sondern immer wieder von nachwachsenden Punkbands aufs Neue entdeckt und gecovert wurden, bis Rocket From The Tombs in der halboffiziellen Geschichtsschreibung zum Bindeglied gekürt wurden zwischen MC5 und Stooges und dem Punk der Ramones.
Die grummeligen, mit einer katastrophalen Soundqualität ausgestatteten Bootlegs erschienen offiziell 2002 unter dem Titel "The Day The Earth Met The Rocket From The Tombs" und haben tatsächlich nicht viel mit dem Stakkatogeknüppel zu tun, das gewöhnlich Punk genannt wird. Stattdessen Songs zwischen quälender Verzweiflung und hysterischer Wut, mit abgehangenen Gitarrenriffs, Einflüssen aus Bebop und Bubblegum-Pop.
Beim Kuratieren der alten Aufnahmen hatten sich die alten Herren angenähert, begannen wieder aufzutreten und sich auch gleich wieder, bisweilen sogar handgreiflich zu streiten. Trotzdem schafften sie es 2004, die alten Songs für "Rocket Redux" noch einmal neu aufzunehmen.
Satte Bläsersätze
Erst jetzt aber ist es der Band mit "Barfly" gelungen, gänzlich neues Material einzuspielen. Da ihm mit Laughner, der vom ehemaligen Television-Gitarristen Richard Lloyd ersetzt wird, das Gegengewicht fehlt, hat Thomas, dem man sowieso einen Hang zum Diktatorischen nachsagt, offensichtlich die alleinige Regie übernommen. Das neue Album klingt wie ein Hybrid aus Rocket From The Tombs und Thomas' Hauptbeschäftigung Pere Ubu.
Zwar gibt es immer wieder ungestüme Ausbrüche, scheint immer wieder eine existentielle Leere auf, aber die Not wird dann eben mit satten Bläsersätzen wie in "Sister Love Train" zum Soul aufgepolstert. Andererseits wurde Thomas vom Rest der Band genötigt, seinen Drang zu komplexen Strukturen zugunsten einer größeren Stringenz aufzugeben.
Das befördert Rocket From The Tombs zwar nicht gerade zur Popband. Aber Punk, das sind sie auch auf "Barfly" immer noch nicht. David Thomas kann da ganz beruhigt sein.
Rocket From The Tombs: "Barfly" (Fire Records Cargo)
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