Neues Album von Grizzly Bear: Funktionierendes Chaos
Eine Band als gelingende Demokratie: Das Quartett Grizzly Bear lässt „Painted Ruins“ weltumarmend und leichtfüßig klingen.
Als Grizzly Bear im Mai den Song „Three Rings“ als Vorboten ihres neuen Albums „Painted Ruins“ veröffentlichten, jubelte ein Bekannter auf Facebook: „Wenigstens die nächsten fünf Minuten ist mein Leben unbeschwert.“ Schöner kann man das Verhältnis zwischen Grizzly Bear und ihrem Publikum kaum auf den Punkt bringen. Keine Indie-Band genießt ein solch bedingungsloses Vertrauen der Fangemeinde.
Vielleicht ist diese Zuversicht dadurch zu erklären, dass Grizzly Bear auf vier Alben seit „Yellow House“ (2006) eine offene und sehr eigenwillige Klangsprache entwickelt haben. Vermutlich wird auch „Painted Ruins“ ein Eigenleben beginnen, ein anderer werden. Veröffentlicht wird das Album erstmals bei einem Major Label. Sei’s drum, Grizzly Bear machen Musik, in der man sich häuslich einrichten kann und die trotzdem nicht langweilig wird: Songs als morphende Organismen.
Die einst in Brooklyn beheimatete Band ist mittlerweile zu drei Vierteln nach Los Angeles gezogen. An ihrem Sound hat sich wenig geändert. Grizzly Bears folkig-jazzige Psychedelik ist nachhaltig – auch wenn dieser überstrapazierte Begriff etwas dröge klingt, vor allem im Popkontext. Zu dieser gar nicht drögen Band passt er dennoch: weil sie einen Gegenentwurf liefern, zu all den wöchentlichen Neuerscheinungen, die es allenfalls als Lifestyle-Tapete auf eine Spotify-Playliste schaffen.
Vielleicht sind die vielen losen Enden, die ein Andocken an immer neue Details ihres Sounds ermöglichen, ein Resultat davon, dass Grizzly Bear eine funktionierende Demokratie sind. Als solche bezeichnen sich die vier Musiker, die neben der Band alle noch Soloprojekte haben. Allerdings kann die Suche nach gemeinsamen Leidenschaften nur selten im gemeinsamen Alltag stattfinden.
Räumlich zerfasert
So musste für die Kommunikation diesmal eine Dropbox herhalten, in der die Musiker Songskizzen und Inspirationen hin und her schickten. Dass sie einander Bälle zuspielen und die Songs ihren Weg finden lassen, bis es passt, scheint auch auf diese fragmentierte, räumlich zerfaserte Weise zu funktionieren. „Painted Ruins“ klingt keineswegs, als habe man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner eingeschwungen. Eher, als würde um den größten Nenner heftig gerungen.
Zum Interview kommen der wortkarge Co-Sänger und Gitarrist Dan Rossen und Bassist Chris Taylor, der gern plaudert und weit ausholt. Auch im Bandgefüge hat er offenbar die Rolle des Moderators, Integrators und Anschubsers. Bei ihm als Produzenten liegt zudem die Aufgabe, die Songs so klingen zu lassen, wie sie klingen sollen. Die beiden anderen (Sänger Ed Droste, der Grizzly Bear um die Jahrtausendwende als Soloprojekt gründete, und Schlagzeuger Chris Bear) sind indirekt anwesend, obwohl sie ein Zimmer weiter ihrerseits Interviews geben. Fortlaufend erwähnen Taylor und Rossen ihre Mitstreiter.
Das Brodeln unter der Oberfläche
Grizzly Bear werden des Öfteren von der Kritik als Gegenmodell zur klassischen Rockband bezeichnet: Tatsächlich sind drei der vier – Rossen, Taylor und Bear – überwiegend Jazz-und Klassik-sozialisiert. Was mit dieser Aussage aber eigentlich gemeint ist: In dieser Band scheint es nicht den klischeetypischen Clash von Macker-Egos zu geben, allenfalls produktive Reibung. Diese Musiker taugen tatsächlich als Modell, wie man als Band würdevoll älter werden kann.
„Painted Ruins“ klingt an der Oberfläche oft hymnisch, manchmal verhalten, gelegentlich auch weltumarmend und leichtfüßig. Darunter brodelt es fast immer auf die eine oder andere Weise, die Stücke nehmen überraschende Wendungen. Nur selten folgt Grizzly Bear klassischen Popstrukturen. In Anbetracht der vielen losen Enden, die die Songs aufweisen, stellt sich die Frage: Fühlen sich die Stücke jemals fertig an, für die, die sie schaffen?
„Das variiert“ erklärt Rossen. „Manchmal wissen wir schnell: Das ist der Song, wir müssen nur die Details ausmalen. Manchmal hat der Prozess allerdings ein so offenes Ende, dass es wirklich frustrierend ist.“
„Losing All Sense“ ist ein Song, mit dem Rossen lange nichts anfangen konnte, bei dem alles ein paarmal umgeworfen wurde, unter anderem das Tempo. Das so entstandene Stück bekommt den Spagat hin, auf eine recht konventionelle Mid-Tempo-Weise schwungvoll und doch wehmütig zu klingen.
Man wollte, so erzählt Taylor, auf „Painted Ruins“ eine fluide Atmosphäre schaffen, bei der es manchmal nach vorn geht – während man auf dem Vorgänger „Shields“ etwas Meditativ-Ruhiges angestrebt hatte. Bezeichnenderweise kommt es der Autorin ganz anders vor: Zwar gibt es diese Nach-vorn-Momente, etwa bei der tollen Single „Mourning Sound“, sonst aber wabert durch das neue Album viel elegische Traurigkeit. Doch wer weiß, wohin sich die Musik noch entwickelt.
Schwärmen über Obskures
Ein offenes System sind auch die Songtexte, sie verweigern sich dem Geschichtenerzählen. Rossen erzählt von „Four Cypresses“, einem Lieblingslied von ihm. Der Song habe in rudimentärer Form bereits existiert, als er die Bandkollegen an der Westküste besuchte. Rossen mietete sich vorübergehend in einer Wohnung ein und fühlte sich in Los Angeles verloren. Am Anfang, führt er aus, stand tatsächlich die Idee von jemand, der in einem Haufen Schrott lebt. „Zunächst ging es in dem Song um Obdachlosigkeit. Dann jedoch wurde es zu einem Song über den Kollaps der US-Gesellschaft und wie der in unserem Alltag ankommt.“
Die eigentlichen Aufnahmen fanden übrigens wieder im Aillaire Studio in den Catskill Mountains statt – an einem Ort, den die BBC als einen der atemberaubendsten Orte zum Musikmachen bezeichnete und wo die Band obskure Gerätschaften vorfand, die sie zum Schwärmen bringt.
Dass die Band eine politische Haltung hat, lässt sich etwa an Ed Drostes Postings in den einschlägigen Netzwerken ablesen. Gemeinsam haben sich Grizzly Bear für Bernie Sanders engagiert. Doch auf der Textebene arbeiten sie meist sloganfrei, sodass eine knackige Zeile wie „It’s chaos, but it works“ (aus besagtem „Four Cypresses“) aufhorchen lässt – zumal das wie ein Echo des Albumtitels klingt.
Alte Alben wieder gehört
Ist es nicht vermessen oder einfach blind optimistisch, zu behaupten, dass die Dinge weitergehen, trotz des kulturellen Kollaps, den sie thematisieren, ohne das T-Wort in den Mund zu nehmen? „Anfangs habe ich befürchtet“, erklärt Rossen, „dass dieser Satz glatt oder altklug wirkt. Ich hoffe, dass das nicht so ankommt, sondern auslöst, dass man genauer hinhört.“
Chris Taylor erzählt von einer Autofahrt entlang der kalifornischen Küste, bei der er alle bisherigen Alben durchhörte. Die habe er seit ihrem jeweiligen Erscheinen nicht mehr angefasst, obwohl die Band mit den Songs getourt sind. Während der Arbeit an „Painted Ruins“ standen sie zu dem Zeitpunkt am Anfang.
Grizzly Bear: „Painted Ruins“ (RCA/Sony Music)
„Die Songs in einem Rutsch durchzuhören, hat mich beruhigt. Als junge Band hat man das Gefühl, dass es keine Grenzen gibt, dass man aus allem schöpfen kann. Jetzt fragen wir uns schon, bevor wir an die Arbeit gehen: Wo soll es hingehen?“ Und fügt ironisierend hinzu: „Müssen wir uns gar neu erfinden?“ Nach dieser Autofahrt jedoch war Taylor zuversichtlich: „Ich liebe, was wir tun. Es gibt noch viel, was wir zusammen erforschen können.“
Trotz dieses koketten Selbstbewusstseins: Man hat nie das Gefühl, dass Grizzly Bear es sich in einer muckeligen Sound-of-Brooklyn-Oase bequem gemacht haben, zwischen Batikhemd und einer eklektischen, oft etwas beliebigen Soundtapete, die in den Hipster-Imbiss ebenso passt wie zum Urban Gardening. Vielleicht deshalb haben sie nicht den Backlash gespürt, den es gegen die einst gehypten Szenegenossen von Animal Collective zwischenzeitlich gab.
Zeitgeist oder Lifestyle zu kommunizieren, ist traditionell ein Reiz und Versprechen von Popmusik. Dass Grizzly Bear ziemlich immun gegen Projektionen dieser Art sind, macht den besonderen Appeal dieser Band aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!