Neues Album von Chicks On Speed: Utopie ist wunderbar
„Artstravaganza“ heißt das neue Album des Provopop-Duos Chicks On Speed. Yoko Ono, Julian Assange und Peter Weibel haben sich beteiligt.
Fluxus-Bewegung und feministische Kritik beeinflussen sie, sie finden, dass nicht das materielle Kunstwerk bedeutsam ist, sondern die Idee der Kunst. Die Australierin Alex Murray-Leslie und die US-Amerikanerin Melissa Logan alias Chicks On Speed fühlen sich der Konzept- und Performancekunst nahe. Seit fast 20 Jahren machen sie gemeinsam Kunst. Ihr neuestes Werk heißt „Artstravaganza“.
Wie so üblich bei Chicks On Speed, ist „Artstravaganza“ aus einem ausgetüftelten Gerüst aus Referenzen zusammengesetzt – darin zu finden sind Zitate aus einem Text von Walter Benjamin, einem Hit der Talking Heads oder einem Theaterstück der Regisseurin Angela Richter.
Zentral ist der Auftaktsong „Utopia“, ein lautes, upliftendes Stück Elektroclash. Da fällt ein schwerer Bass, knallt eine verzerrte High-Hat und rollen blecherne Synthie-Patterns. Dazu werfen die beiden in „Chicks“-Manier – mal gemeinsam, mal einzeln ihre Messages in den Sound: „If you are one of these people who don’t have a Utopia in your mind / You are caught in a trap / You got no turn back“.
Ein YouTube-Video des finnischen Architekten Tuomas Toivonen war das Vorbild für „Utopia“. Während des Refrain „U is for Utopia“ skandieren die beiden Künstlerinnen eigene Utopien. „Stop renovating my neighbourhood – this is my utopia“, heißt es dann. Utopien seien wunderbar, sagt Alex Murray-Leslie im Gespräch. „Sie stoßen Dinge an, man braucht sie, um eigene Vorstellungen zu entwickeln.“
Eine Symbiose aus Kunst und Electroclash
Getroffen haben sich Murray-Leslie und Logan 1997 als Studentinnen an der Münchener Akademie der Bildenen Künste. Ihre Musik verstehen sie als Kunst. „Utopia“ ist das fünfte ihrer unverkennbar Elektroclash-lastigen Alben. Doch Chicks On Speed ist auch ein Kollektiv, ein sich ständig änderndes Ensemble aus KunstmacherInnen. „Utopia is a mirror of multiple imagined worlds“, heißt es in dem programmatischen Eröffnungssong. Und damit begründen sie zugleich, dass auf diesem Album eine Reihe anderer Personen zu Wort kommen.
Prominente aus der Kunstwelt: Die Künstlerinnen Yoko Ono und Anat Ben-David verkünden – auf Japanisch und Englisch – ihre eigenen Utopien. Der Medientheoretiker Peter Weibel redet in einem langen, mehrminütigen Bewusstseinsstrom von Sartre, Daten und Datenträgern. Und Wikileaks-Chef Julian Assange spricht über Gott.
Warum dieses Personal? „Es sind Menschen, mit denen wir schon länger zusammenarbeiten, oder aber Personen, die etwas über unsere Gegenwart aussagen“, sagt Melissa Logan. Neben der antreibenden, trashig-punkigen Musik geht es auf dem Album vor allem um Kunstimmanentes. Im Song „Art Dump“ etwa unterbreitet Francesca Habsburg-Lothringen ihre Idee von einer Deponie für schlechte Kunst, „bling bling pieces“, wie es im Chicks-Jargon heißt.
Für den Song „Text, Vodka and Rock ’n’ Roll“ zitieren sie einen Meilenstein der feministischen Konzeptkunst. Aus Martha Roslers Video „Semiotics of the kitchen“ (1975) übernehmen die Chicks das Motiv der Küche und die künstlerische Praxis der instructional performance. Nun rappen sie in Cut-up-Technik zusammengebastelte Kochrezepte in und gegen einen HipHop-Beat. „Care the Crunch / I lost my lunch“, rufen sie in die Sinnlosigkeit des Songs hinein.
Das Publikum soll mitwirken
Dass ihre Musik trotz Uplifting-Sound beim Mainstream wohl unverstanden bleibt, wissen die beiden, umso mehr konzentrieren sie sich auf die Kunstwelt. „Utopia“ ist Teil einer großen Fashion-Sound-Life-Art-Installation. Anstelle von Konzerten bestreiten Chicks On Speed Ausstellungen und machen Performances.
Chicks On Speed: „Artstravaganza" (Chicks On Speed Records/Indigo)
Für ihre neue Show zu „Artstravaganza“ haben sie I-Pad-Apps entwickelt. Das Publikum soll als „Prosument“ (eine Wortschöpfung aus Produzent und Konsument) an ihren Performances mitwirken. „Unsere Ausstellungen sind utopische Landschaften, eine Medienumgebung, an der man teilnehmen kann“, so Murray-Leslie. Chicks On Speed wollen das totale Kunstwerk, quietschig, punkig, revoltierend, schreiend und ausstellbar. „The empire had me for lunch“!
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