Neues Album der Arctic Monkeys: Gefährliche Tiere
Die Arctic Monkeys sind zurück. "Humbug" heißt ihr neues Album. Aus hibbeligen Indietypen sind langhaarige Rocker geworden.
Rotes Licht von hinten. In diesem Moment sind die Arctic Monkeys nicht mehr als ihre schwarzen Silhouetten. Schatten, die ihre Haarprachten wild durch die Luft werfen. Ab und zu blitzt es von vorne, man sieht kurz, wie Matt Helders am Schlagzeug durch aufgeblähte Backen ausatmet. Seine kräftigen Oberarme sind angespannt, er verprügelt sein Schlagzeug regelrecht, wütend treibt der Drummer den Song voran. Der Moshpit kocht. Es ist nicht das erste Rockkonzert, das die Lutherkirche in Köln-Nippes erlebt. Aber zum ersten Mal fürchtet man, die wogende Menge könne gleich die Kanzel herunterholen. Es ist ein neuer Arctic-Monkeys-Song, dessen rohes Gitarrenriff da gerade auf sie zurollt. Er heißt "Dangerous Animal". Um die Situation allen noch mal klarzumachen, wird im Refrain buchstabiert: "D-A-N-G-E-R-O-U-S!"
Die englische Band Arctic Monkeys hat sich den heißesten Tag des Jahres ausgesucht, um in Köln ihr neues Album im Konzert vorzustellen. "Humbug" ist sein Titel. "Humbug", das bedeutet Unsinn, Schwindel, Quatsch. Es ist auch der zum geflügelten Wort gewordene Ausspruch von Ebenezer Scrooge, der Hauptfigur aus Charles Dickens Weihnachtsroman "A Christmas Carol". Die Band ist bekannt für ihre Liebe zur Schweigsamkeit (weil sie ohnehin wenig zu sagen hat, so wird gespottet). So bleibt auch der tiefere Sinn des Titels unklar. Dass ihr drittes Album in der Wüste von Joshua Tree, Kalifornien mit Josh Homme entstanden ist, dem Gitarristen der Stonerrockband Queens Of The Stone Age, muss als Statement reichen. "Humbug" klingt gar nicht so britisch. Es ist heavyer, geschliffener, aber auch rauer, roher als die eingängigen Indierock-Hits der ersten beiden Alben. Auf "Humbug" regiert der verzerrte Bass, das stampfende Schlagzeug, die bedrohlich kreischende Gitarre. Die Texte: kryptisch. Die Stimmung: düster und gefährlich. Alex Turner (Gitarre, Gesang), Jamie Cook (Gitarre) und Nick OMalley (Bass) haben sich die Haare wachsen lassen. "Humbug" ist ein Rock-Album geworden, es möchte ernst genommen werden. Und es klingt richtig gut. Das weiß die Band.
Die Arctic Monkeys sind noch gar nicht so lange dabei, aber bereits jetzt gehört ihre Geschichte zur Folklore des Popbiz. 2005 wird das Quartett aus verpickelten 19-jährigen Fliesenlegern, Zivis und Arbeitslosen schlagartig berühmt. Ohne Plattenvertrag spielen die Arctic Monkeys vor ausverkauftem Haus im Astoria in London. Schuld: das Internet. Rumpelige Demoversionen ihrer Indie-Rock-Hymnen stehen auf der Website der Band zum kostenlosen Download - und treffen den Nerv einer Generation. Die vier Freunde aus Sheffield unterzeichnen beim Indie-Label Domino, auf dem auch schon Franz Ferdinand unter Vertrag stehen, ihre erste Single "I Bet You Look Good On The Dancefloor" steigt von null auf eins in den Charts ein, die zweite "When The Sun Goes Down" auch. Das Debüt "Whatever People Say I Am, Thats What Im Not" wird zum schnellstverkauften Debütalbum in der Geschichte des britischen Pop.
Als Bassist Andy Nicholson 2006 eine Pause braucht, weil er nicht mehr klarkommt mit all den Awards und den Konzerten und dem Trubel, macht die Band ohne ihn weiter. Die Welttournee muss sein, das zweite Album muss sein, die nächste Tour muss sein. Nick OMalley, ein Kumpel, steigt als Aushilfe ein und wird bald zum neuen Bassisten befördert. Mit ihm (Style: durchschnittlicher englischer Indie-Junge) verliert nicht nur das Bild der Band an Schärfe, sondern irgendwie auch die Musik. Zumindest wirkt das zweite Album "Favourite Worst Nightmare" trotz höherem Tempo und härteren Gitarren beliebiger.
"Humbug" ist ein Schritt nach vorne. Damit beweist die Band, dass sie sich weiterentwickelt hat. Beim Konzert in Köln markieren die ehemals hibbeligen Indie-Jungs abgeklärte Rockertypen. Draußen entlädt sich die Sommerhitze in grellen Blitzen, selbst die Songs der ersten beiden Alben klingen nun so trocken wie die Musik auf "Humbug". Nach dem letzten Song wird die Band vom schweißnassen Publikum noch mal rausgeklatscht. Die Kanzel steht noch. Erwachsen sind die Arctic Monkeys aber nicht geworden, immerhin haben sie sich ihre Haare wachsen lassen.
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