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Neues Album aus Hendrix' NachlassDer Hexer

"Valley of Neptune" heißt das Album, das tatsächlich unveröffentlichtes Material von Jimi Hendrix bereithält. Fast 40 Jahre nach dessen Tod kann man so sein Bild vom Hexer komplettieren.

Ganz schön experienced: Jimi Hendrix 1970. Bild: ap

Valleys of Neptune" - schöner Titel. Zwar hat er keine Chance, so exorbitante Vorläufer wie "Are You Experienced" oder "Electric Ladyland" zu erreichen; aber immerhin: Inspirationslos ist die Gesellschaft der Hendrix-Erben und Nachlassverwalter nicht.

Janie Hendrix, Kopf der Nachlassgesellschaft, ist keine Schwester von Jimi, wie (nicht nur) im Internet kolportiert wird. Sie ist eine Tochter der zweiten Ehefrau von Jimis Vater, die dieser adoptiert hat. Vater Al Hendrix traute keinem seiner Kinder aus der Ehe mit seiner ersten Frau, Lucille (Jimis Mutter), die Nachlassverwaltung seines Sohnes Jimi zu (den er lange für eine Flasche gehalten hatte). Janie, die Adoptivtochter, der er alles vererbte, zeigte sich der Aufgabe grandios gewachsen.

Seither sind in regelmäßigen Abständen CDs und DVDs aus Hendrix Nachlass erschienen: Radioaufnahmen, Konzertmitschnitte und Kompilationen. Die Liveauftritte von Woodstock, der Isle of Wight, aus Atlanta etc. sind in voller Länge auf DVD zugänglich. Aber ein ganz neues Hendrix-Album, wie jetzt von Sony Music angekündigt, war noch nicht dabei. Woher in aller Welt dies Ding?

Als "gewiss spektakulärster Fund der vergangenen Jahre" wird das Album von der Plattenfirma angepriesen. "Dass vom besten Elektrogitarristen aller Zeiten […] noch einmal ein ganzes Stündchen frisches Material zu Ohren kommen sollte, das hat schon elektrisiert", schreibt Jan Ulrich Welke in den Stuttgarter Nachrichten. Um aber dann das Album, weil es diese Versprechen nicht hält, in die Nähe einer Mogelpackung zu rücken: "Von einer solchen sprechen Verbraucherschützer, wenn der tatsächliche Inhalt um mehr als 30 Prozent unter dem vorgegaukelten liegt." Wie sieht es damit aus?

"Valleys of Neptune" eröffnet mit einem bekannten Stück: "Stone Free", der B-Seite von Hendrix Debütsingle "Hey Joe". Dann sind "Red House" und "Fire" unter den zwölf Stücken von "Neptune", beide bekannt von Hendrix Debütalbum "Are You Experienced". Zwei weitere Stücke, "Hear My Train A Coming" und "Lover Man", sind uns als Liveversionen bekannt. Ein weiteres Stück, "Mr. Bad Luck", scheint unbekannt, ist es aber nicht unter seinem geläufigeren Titel: "Look Over Yonder".

Bei der Hälfte des Albums handelt es sich also um Varianten bereits veröffentlichter Klassiker. Streicht man die beiden Coverversionen ("Sunshine Of Your Love" nach Cream und "Bleeding Heart" nach Elmore James), bleiben gerade vier Songs, die tatsächlich bisher ungehörte Eigenkompositionen sind. Gesamtspieldauer dieser vier: 18:38 Minuten, also nicht einmal ein Drittel der Gesamtlänge. "Spektakulärer Fund"? Gewiss nicht.

Ein Einwand gegen die Qualität der Stücke soll das allerdings nicht sein. "Sunshine of Your Love" (als Instrumental), "Bleeding Heart" und "Red House" gehören zu den Highlights des Albums; nur unter ein Neuheitslabel gehören sie nicht. Neues vom Hexer - das war auch nicht zu erwarten; das ist sogar absolut unmöglich. Als könnte jemand behaupten, er hätte neue Varianten der Relativitätstheorie in Einsteins Nachlass gefunden, in eine Matratze eingenäht. Hendrix besser spielen als Hendrix konnte nicht mal er selber. Vor seinem Tod nicht und nachher auch nicht. Eddie Kramer, Hendrix Lieblingstechniker zu Lebzeiten, gibt sein Bestes auch auf diesem posthumen Album. Alle Stücke sind guter Hendrix, einige sogar sehr guter Hendrix, von Kramer nicht remastered, sondern neu gemischt. Der Name Eddie Kramer garantiert, dass wir nicht irgendeinen Schrott bekommen. Aber einen Hendrix, "den wir noch nicht kannten" - den kann er nicht liefern; und er tut auch nicht so.

Insofern ist die Behauptung der neuen Besitzer der Hendrix-Rechte, das Album würde "eine Lücke schließen", nämlich die zwischen "Electric Ladyland" (1968) und dem von Hendrix noch selbst geplanten, aber nicht mehr realisierten Album "First Rays of the New Rising Sun" bzw. zwischen "Electric Ladyland" und "Band of Gypsys" (1970), nicht haltbar.

Es gibt keine Lücke in den Hendrix-Produktionen zwischen 1967 und 1970, als er sowohl pausen- wie lückenlos die Ohren der Welt beackerte (in über 500 Konzertauftritten), und in ungezählten archivierten Tonbändern der diversen Studios, die er aufsuchte, wann immer die Konzertmangel ihm ein paar Momente Ruhe gönnte zum Probieren von etwas Neuem. Seine Arbeit an unserer Körperverwandlung geschah unter öffentlichen Augen und Ohren oder vor permanent eingeschalteten Aufnahmegeräten. Den Eindruck eines Überbrückens liefern allein die Aufnahmedaten des neuen Albums.

Die Produzenten haben darauf geachtet, dass (mit einer Ausnahme) lauter Stücke aus dem Jahr 1969 auf "Valleys of Neptune" zu hören sind. Zwar ist es richtig, dass es durch "Electric Ladyland" einen Einschnitt in Hendrix Produktionsweise gab. Das im Oktober 1968 veröffentlichte Doppelalbum hatte Hendrix Beziehungen zu seinem bisherigen Produzenten Chas Chandler und auch zum Bassisten seiner Experience, Noel Redding, nachhaltig zerstört.

Chandler hatte Hendrix bis dahin auf eher kurze, radiotaugliche, potenziell hitfähige Stücke festgelegt. Mit "Electric Ladyland" war Hendrix aus diesem Korsett ausgebrochen. Musikalisch zu seinem Vorteil; die Experience hatte einen kreativen Sprung gemacht. Wunderbare lange, elegische Stücke wie etwa "A Merman I Should Turn to Be" waren entstanden und wären nicht entstanden mit Chas Chandler.

Der Konflikt mit Bassist Noel Redding lag anders. Redding ging Hendrix Perfektionismus auf die Nerven. Er fand, die Songs würden nicht besser durch unendliches Proben. Er wurde lustlos und aufsässig bei den endlosen Studiosessions. Nach und nach ersetzte Hendrix ihn durch seinen Army-Kumpel Billy Cox. Diesen Übergang soll "Valleys of Neptune" nun dokumentieren. Aber das wird vom Album nicht eingelöst. Nur die ersten drei Stücke haben Billy Cox am Bass. In den anderen hören wir Noel Redding. Und da hört sich die Platte eher wie ein Plädoyer für den Bassisten Noel Redding an.

Sensibleren Ohren war die Band of Gypsys, in der Billy Cox Noel Redding am Bass ersetzte, musikalisch immer unbeweglicher als die Experience mit Redding. Zumal in der Band of Gypsys auch Schlagzeuger Mitch Mitchell ersetzt worden war durch Buddy Miles. Bei "Valleys of Neptune" sitzt durchweg Mitch Mitchell an den Drums; und beweist Stück für Stück, dass es nie einen besseren Rock-Drummer gegeben hat als ihn.

Es ist ja nicht Hendrix allein, der den ganzen Zauber schafft. In diesem einen, seltenen Fall war die Band aus Hendrix und den zwei weißen englischen Bubis besser als die All-American Band aus drei schwarzen Musikern.

In den letzten Jahren gab es eine Reihe von Archiveditionen toter Musiker; wir bekamen die kompletten Miles-Davis-Sessions zu "Jack Johnson", zu "Bitches Brew" und fünf CDs der "Plugged Nickel"-Sessions: interessant in mehrfacher Hinsicht. Sie lassen hören, dass das zur Veröffentlichung ausgewählte Material meist tatsächlich das Beste der Sessions war. Einen neuen Miles bekamen wir nicht. Wir bekamen Einblicke in Arbeitsweisen, die unser Bild komplettierten. Nicht anders ist es mit Hendrix und "Valleys of Neptune". Wir bekommen etwa eine wunderbare Version des oft gehörten "Red House"; und das ist doch schon was. Merkwürdig nur, dass das Stück bei 8:20 Minuten mit einem Fade-out endet; Eddie Kramer blendet es aus; mitten in der letzten Strophe.

Überhaupt das Fade-out. Fünf der zwölf Stücke auf "Valleys of Neptune" werden ausgeblendet; es sind also Studioimprovisationen, die länger waren. Die Songdauer wird so nicht von Hendrix Spiel bestimmt, sie ist Produzentenentscheidung. Es gibt eine weitere Bearbeitungsform: Bei drei Stücken hat Chas Chandler, der alte Manager der Experience, Ergänzungen vorgenommen.

Ein ungewöhnliches Verfahren: 1987 lud Chandler Mitch Mitchell und Noel Redding in ein Londoner Studio; dort ergänzten sie ihre (unvollendeten) Originaltracks von 1969 an Bass und Schlagzeug. Neu abgemischt jetzt das Ganze von Eddie Kramer. Mitchell/Redding geben ihr Bestes. "Valleys of Neptune" braucht sich nicht zu verstecken in der Reihe der Hendrix-Produktionen. Warum die Ergebnisse der Sessions von 1987 aber erst jetzt erscheinen, darüber gibt das sonst sehr gute Booklet von John McDermott keine Auskunft.

Nur die Daten tun es: Wir sind im 40. Jahr nach Hendrix Tod. "Valleys of Neptune" ist Teil einer editorischen Großoffensive. Wir bekommen alle Alben noch mal in Luxuseditionen, jeweils versehen mit einer neuen DVD zum "Making of". Janie Hendrix (die für das Cover von "Valleys of Neptune" ein Hendrix-Aquarell aus seiner Schulzeit ausgegraben hat), ist noch kräftig dabei, ihren "Bruder", den sie nur viermal gesehen hat, als er für Konzerte in Seattle war, kennenzulernen.

Nun haben wir Jimi immerhin auch als Maler. Blau-Grün die Farben des Covers. Offen ist, ob sie uns in die Tiefsee führen oder auf den fernen Planeten. In Jimis Gitarrensound sind ja beide.

Jimi Hendrix: "Valley of Neptune" (Sony Music)

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1 Kommentar

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  • RK
    Raimund Krämer

    Ehrlich gesagt, wen juckt's? Hendrix war einerseits ein recht guter - wenn auch wenig variabler - Gitarrist, der als einer der ersten mit Effekten und Feedback experimentierte. Andererseits war er ein grauenhafter, maßloser Gniedler und mäßiger Songschreiber (nicht, weil die Songs schlecht gewesen wären, sondern weil sie letzlich alle gleich klangen, wo nicht ohnehin recyclet waren: "Crosstown Traffic" etwa ist nichts weiter als eine beschleunigte Version von "Purple Haze"). Aber all das spielt eigentlich keine Rolle: Wesentlich frappierender finde ich, dass die Hippies der ausgehenden 60er Jahre ihren seinerzeit doch recht begrenzten Spät- bis Postpubertantenhorizont noch heute für das Maß aller Dinge halten: Anders sind absurde Superlative wie "der beste Elektrogitarrist aller Zeiten" bzw. "nie hat es einen besseren Rockdrummer gegeben" wohl nicht zu erklären.