Neuer Wind mit JungpolitikerInnen: Im Kampf gegen Klischees
Die beiden jüngsten Bundestagsabgeordneten, Agnieszka Malczak und Florian Bernschneider, wirken auf den ersten Blick grundverschieden. Beide lehnen Schubladendenken ab.
Als Agnieszka Malczak 2004 mit 18 Jahren zu den Grünen kam, war der damals 16-Jährige Florian Bernschneider bereits auf dem Weg zum Berufspolitikertum: Kreisvorsitzender der Jungen Liberalen in Braunschweig, Mitglied im Landesvorstand Niedersachsen und wenig später FDP-Wahlkampfleiter in seiner Heimatstadt. Stolze achtzehn Punkte listet der 23-Jährige auf seiner Homepage unter "Politischer Werdegang" auf. Seit Oktober sitzt er für die FDP im Deutschen Bundestag, als jüngster Abgeordneter überhaupt. Agnieszka Malczak ist mit 24 Jahren jüngste Abgeordnete.
Außer ihrer Jugend scheinen die beiden Parlamentarier wenig gemein zu haben. Hier die junge Grüne mit den Piercings, die noch nie geflogen ist, dort der 23-jährige Liberale, der BWL studiert und eine Bankerlehre macht. In einem aber sind sie vereint: dem Kampf gegen Klischees.
"Natürlich bin ich durch mein Äußeres auch ein Stück weit selbst schuld", sagt Malczak. An dem Bild, das in der Öffentlichkeit von ihr gezeichnet wird. Will man sie beschreiben, kommt man nicht am Körperschmuck in Unterlippe und Nase vorbei, auch nicht an dem dunklen Lidstrich und der violetten Strumpfhose. Nur um der Öffentlichkeit die Klischees von der jungen grünen Wilden auszutreiben, will sich Malczak nicht verbiegen. Äußerlich verändert hat sie sich aber. Ein bisschen. Die ehemals feuerroten Haare sind jetzt braunrot, das bunte, abwechslungsreiche Outfit weicht oft einem legeren Kostüm.
Aus Polen flohen Malczaks Eltern mit der damals Vierjährigen nach Dortmund. Ihr Vater und ihre Mutter, beide Akademiker, hatten "Sehnsucht nach Demokratie", waren in der Solidarnosc aktiv und gaben der Tochter früh mit auf den Weg, "auf Ungerechtigkeiten sensibel zu reagieren". Ökologie, Frieden, soziale Gerechtigkeit - dafür interessierte und engagierte sich Malczak in ihrer Jugend. Sie demonstrierte, regte sich auf, informierte sich. Der Weg zu den Grünen schien vorgezeichnet. "Ich habe mich ständig geärgert, auch über die Grünen zur Zeit von Afghanistan und Hartz IV", sagt sie. Dass Motzen auf Dauer nicht zur Veränderung führt, merkte sie mit 18. Nach ihrem Parteibeitritt stieg sie schnell auf, erst zur Vorsitzenden der Grünen Jugend Baden-Württemberg, dann zur Bundestagabgeordneten. Die Posten wurden an sie herangetragen.
Es ist überraschend, wenn Malczak über den Glauben spricht, der in ihrem Leben eine große Rolle spielt. Ausführlich will sie darüber nicht reden, erst recht nicht mit der Grünen Jugend (GJ). "Diese Diskussion ist aussichtslos." Bei dem Thema kämen ihre Meinung und die der GJ nicht zusammen.
An anderer Stelle versucht Malczak immer wieder, sich aktiv von falschen Images zu befreien. Etwa, indem sie Verteidigungspolitik als Schwerpunkt ihrer parlamentarischen Arbeit wählte. "Einige haben sicher erwartet, dass ich Jugend oder Integration mache. Aber in diese Schublade wollte ich mich nicht stecken lassen", sagt sie. Friedens- und Sicherheitspolitik seien ihre Herzensthemen. Damit hat sie sich während des Studiums beschäftigt. "Was macht sie jetzt schon wieder", fragen sich Kollegen und Freunde trotzdem oft. Boxverein, Verteidigungspolitik, Bundestag. Die junge Grüne sucht die Herausforderung. Bloß nicht erwartbar sein.
Auch Florian Bernschneider mokiert sich über das Bild, das von ihm gezeichnet wird. "Ich bin nicht einfach der aalglatte, smarte BWL-Student, der außer Studium und Politkarriere nichts anderes kennt", sagt er. Sondern: ein ganz normaler junger Mann, der mit 15 auf einem Samy-Deluxe-Konzert war und mit Freunden abends auch mal Bier trinken geht.
Viel Zeit dafür hatte er in den vergangenen sechs Jahren nicht. Politik war sein Hobby. "Ich bin nicht der Typ, der auf Krawall setzt", sagt er. Lieber vernünftig auftreten und sachlich argumentieren, um auch als junger Politiker ernst genommen zu werden.
Auch wenn man sich bemüht, hinter die vermutete Fassade des schwarzen Anzugs und der gestreiften Krawatte zu blicken, der 23-Jährige bleibt unnahbar. Durch seine Wortwahl, seine Mimik und die geprobt wirkenden Gestik erscheint er wenigstens zehn Jahre älter.
Vielleicht auch deshalb kletterte Bernschneider innerhalb der FDP schnell auf. Warum er sich mit 15 für die FDP entschied? Bernschneider, der sonst so flüssig und routiniert antwortet, kommt ins Stocken. Dass sein Politiklehrer bei einer Diskussionsrunde einmal sagte, er sei der FDP-Mann, konnte man oft lesen. Es erklärt aber wenig. Wie es dazu kam, dass er eigenständig liberales Denken entwickelt hat, kann er nicht erklären. Seine Eltern waren eher unpolitisch, wie auch der Freundeskreis. Letztlich habe er bei der FDP einfach die größte Schnittmengen gefunden.
Ist das Tonband aus, lösen sich die Zungen
Die Intensität der Medienwelle, die über sie hereinbrach, hatten sie jedoch beide unterschätzt. "Natürlich ist es schön, dass ich gleich zu Beginn meine Meinung sagen konnte", sagt Bernschneider. So viel Medienpräsenz, wie er in den ersten Wochen hatte, haben andere Hinterbänkler in ihrer gesamten Politkarriere nicht. Dass sie allein wegen ihres Alters, nicht wegen ihrer politischen Arbeit gefragte Interviewpartner sind, wissen sie.
Agnieszka Malczak war anfangs gegenüber Journalisten misstrauisch, jetzt sei sie routinierter. Ist das Tonbandgerät aus, der Schreibblock beiseitegelegt, wirkt sie dennoch entspannter. Sie benutzt andere Worte, lacht häufiger. Ein wenig löst sich die rhetorische Selbstbremse dann auch bei Florian Bernschneider.
Mit Anfang zwanzig müssen sich beide auch in ihr Dasein als Chef einfinden. Es sei seltsam, beim Vorstellungsgespräch plötzlich nicht mehr der Bewerber zu sein, sagt Bernschneider. Zwei Mitarbeiter hat er eingestellt, Marlies Hempel ist 28 Jahre älter als er. Agnieszka Malczak hat ein deutlich jüngeres Team, ihre älteste Mitarbeiterin ist 31.
Sichtlich unangenehm sind Malczak die Privilegien wie Fahrdienst und die 7.668 Euro, die sie brutto im Monat verdient. Sie wirkt, als müsse sie derzeit ständig mit sich kämpfen. Nutze ich den Fahrdienst? Ja, bereits in der ersten Woche, anders seien die Termine nicht wahrzunehmen. Fliegt sie erstmals in ihrem Leben? Ja, sie will schnellstmöglich nach Afghanistan, ein Zug fährt da nicht hin.
In Tübingen wurde sie auf einer Party kürzlich mit "Frau Abgeordnete" begrüßt. Auf einem Treffen der Grünen Jugend wunderten sich einige, dass sie "immer noch ganz cool ist". Das stört sie. Bernschneider hat so etwas in den letzten Wochen nicht erlebt. Sein Umfeld kennt ihn fast nur als Politiker.
Es geht nicht um Posten, bei beiden nicht
Bernschneider kümmert sich - im Gegensatz zu Agnieszka Malczak - altersgemäß um Jugendpolitik. Was heißt das für ihn? Begriff wie Generationengerechtigkeit, Bürgerrechte und Jugendarbeit fallen, auch Steuersenkungen und Schuldenabbau. Dann kommt er schnell zum Thema Arbeitsmarkt, auf dem Jugendlichen mehr zugetraut werden müsse, besonders wenn es um Unternehmensgründungen gehe. Klassische FDP-Sprache. Wenn er erklärt, was er damit meint, warum es in der Gesellschaft ein Umdenken geben müsse, wirkt er wie ein Politprofi und scheint sich - trotz anderslautender Beteuerungen - am Rand der Schublade festzukrallen. Er sagt, er will Politik machen, solange es ihm Spaß macht. Und er beteuert: "Es geht nicht um Posten, sondern darum, mitentscheiden zu können."
Wie lange sich Agnieszka Malczak um ihre Herzensthemen kümmern wird, wie lange sie die Anliegen der Menschen aus dem eher konservativ geprägten Wahlkreis Ravensburg ins "Raumschiff Berlin" tragen wird, das weiß sie nicht - und man glaubt es ihr, wenn sie das sagt. Ungewiss sei auch, ob sie in vier Jahren noch einmal für den Bundestag kandidiert. "Ich will immer wieder reflektieren, wie mich die Politik und der Bundestag verändert", sagt Malczak.
Die Gefahr, zur aalglatten Politikerin zu werden, bestehe, darüber sei sie sich bewusst. Sie will rechtzeitig die Reißleine ziehen. Florian Bernschneider wird diese Reißleine wahrscheinlich gar nicht erst suchen.
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