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Neuer Westfreund

Bislang verschmähte Aleksander Kwaśniewski den Westen. Heute kommt er als Staatspräsident nach Bonn  ■ Von J. Tycner

Warschau (taz) – Daß Polens neuer Staatspräsident bei seiner ersten offiziellen Auslandsreise zuerst in Deutschland Station macht, ist wahrlich kein Zufall. Aleksander Kwaśniewski will ein deutliches Zeichen setzen und jegliche Zweifel zerstreuen, seine Wahl könnte die seit 1989 geltenden Prioritäten der polnischen Außenpolitik verändert haben.

Polen will weiterhin EU- und Nato-Mitglied werden, aber Kwaśniewski weiß, daß die Vorbehalte im Westen nach seinem Amtsantritt nicht gerade kleiner geworden sind. Jahrelang waren es gerade einige Politiker seiner Partei, der postkommunistischen Allianz der Demokratischen Linken (SLD), die Polens „Drang nach Westen“ als „Anbiederung“ und Hang zum „Vasallentum“ verschmäht haben. Wojeisch Lamentowicz zum Beispiel, heute Kwaśniewskis engster außenpolitischer Berater, ist noch 1994 der Meinung gewesen, Polens Außenpolitik sei „zu prowestlich“.

Solche Töne sind inzwischen im SLD-Lager gänzlich verstummt, aber die neue, sicherlich ernstgemeinte Prowestlichkeit der ehemaligen Apparatschiks ist noch zu frisch, um gegen jegliches Mißtrauen gefeit zu sein.

Kwaśniewskis Deutschlandbesuch soll diese Skepsis abbauen helfen und der viel beschworenen „polnisch-deutschen Interessengemeinschaft“ neue politische Impulse geben. Sie beruht im wesentlichen darauf, daß Deutschland Polens Nato- und EU-Bestrebungen unterstützt, weil es seine unbequeme Randlange an der Ostflanke des Westens loswerden will.

Ob es neue Impulse geben wird, muß vorerst dahingestellt bleiben. Polens neuer Staatschef ist in Bonn und Berlin kein Unbekannter, seine stets deutschlandfreundlichen Äußerungen sind gewiß nicht unbemerkt geblieben. Er kann zudem auf die beachtlichen Wirtschaftserfolge seines Landes verweisen. Dennoch kommt Kwaśniewski in einer ungünstigen Zeit. Sein Wahlsieg hat das Volk tief gespalten, und der sich eher verdichtende Spionageverdacht gegen seinen Parteifreund und Regierungschef Oleksy hat das Land in eine tiefe politische Krise gestürzt. Seine deutschen Gastgeber könnten diese zum Anlaß nehmen, bei ihren Aussagen über die Perspektiven der Westintegration Polens noch mehr Zurückhaltung als üblich an den Tag zu legen.

Bilaterale Probleme dürften bei diesem Besuch eine untergeordnete Rolle spielen. Die schwierigsten deutsch-polnischen Probleme sind längst vom Tisch. Die Oder- Neiße-Grenze wurde endgültig anerkannt, der Status der deutschen Minderheit in Polen geregelt, der visumfreie Reiseverkehr eingeführt. Was Polen seinem mächtigen Nachbar und seinem inzwischen größten Wirtschaftspartner anbieten kann und will, sind vor allem Berechenbarkeit und Normalität.

Diese Normalität gilt es heute durch mehr moderne Grenzübergänge, noch mehr Handeln, mehr Investitionen, eine noch engere politische und militärische Zusammenarbeit noch normaler zu machen. Dazu bedarf es vieler konkreter Maßnahmen, über die bei unzähligen Begegnungen zwischen polnischen und deutschen Politikern, Fachleuten, Unternehmern verhandelt wird.

Es gäbe dagegen auch nichts einzuwenden, wäre da nicht der hie und da aufkeimende Verdacht, daß die Verantwortlichen in beiden Ländern diese Art von Normalität zum höchsten Ziel und zur wichtigsten Tugend erklärt haben, ohne zu merken, daß die deutsch- polnischen Beziehungen dadurch Gefahr laufen, in eine Sackgasse zu geraten. Eine solche „geschäftsmäßige“ Normalität nämlich ist weitgehend machtlos, wenn es darum geht, Vorurteile abzubauen.

Die intellektuellen und politischen Eliten Deutschlands und Polens pflegen heute einen pragmatischen und unverkrampften Umgang untereinander, aber die Völker sind sich im Grunde immer noch fremd. Millionen Deutsche und Polen fahren über die Grenze, aber ein Gefühl der Zusammengehörigkeit entsteht nicht. Das Ende des Kommunismus in Polen mit all seinen Folgeproblemen und die deutsche Vereinigung haben dazu geführt, daß man vor allem „im eigenen Saft schmort“. Man genügt sich weitgehend selbst.

Polen und Deutsche trennt immer noch ein Abgrund aus Unkenntnis, Desinteresse, Ignoranz, Überheblichkeit, gegenseitiger Abneigung. Die deutsch-polnische Normalität macht zwar riesige Fortschritte, aber die Sorge, daß sie uns in einen Zustand des indifferenten Nebeneinanders zweier Nationen führen könnte, bleibt bestehen. Auch Staatsbesuche können daran kaum etwas ändern. Siehe auch Seite 11

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