Neuer Start für Digitales Radio: Alte Töne auf neuen Frequenzen
Digitaler Sound, mehr Zusatzdienste und erstmals bundesweite Radioprogramme – das Digitalradio DAB plus startet. Ob es diesmal klappt, ist ungewiss.
BERLIN taz | "Die Voraussetzungen sind heute so günstig wie nie", sagt Martin Hülsmann, Sprecher des Radioanbieters Regiocast. Programmveranstalter, Senderbetreiber und Gerätehersteller hätten sich zusammengefunden, um das Digitalradio in Deutschland zum Erfolg zu machen.
Am ersten August geht das Sendenetz offiziell in Betrieb. Mit dabei ist Regiocasts Spartensender 90elf. Bisher war der Sender, der sich ganz auf die Fußballberichterstattung konzentriert, nur über das Internet zu empfangen. Ein Vorteil der Technik: Zur Spielzeit kann der Sender seine Frequenz aufspalten und fünf Spiele parallel übertragen.
Im Internet habe das Spartenangebot nach eigenen Angaben mit Liveübertragungen der Bundesliga bis zu einer Million Hörer erreicht. Mit den neuen Digitalfrequenzen könnten nun 57 Millionen Deutsche den Fußballsender empfangen. Zumindest theoretisch. Denn mit den alten UKW-Radios kann man das Programm nicht empfangen, viele Geräte mit DAB plus sollen erst zur Internationalen Funkausstellung in den Handel kommen.
Zweiter Versuch
Es ist ein Neustart des Projekts Digitalrundfunk. Denn bereits in den neunziger Jahren hatte man in Deutschland versucht, den Digitalrundfunk zu etablieren - damals noch mit dem Standard DAB (Digital Audio Broadcasting) . Doch es ergab sich schnell ein Henne-Ei-Problem: Ohne attraktive Programme blieben die Zuhörer aus, ohne Zuhörer lohnten keine Investitionen in neue Programme. Hinzu kamen Empfangsschwierigkeiten. Schließlich stellten viele Sender die Verbreitung per DAB ein. Der Digitalfunk schien gescheitert.
Mit einem überarbeiteten Standard wollen die Senderbetreiber alte Fehler beheben. So sichern die Gerätehersteller den neuen Programmen ein Millionen-Werbevolumen zu, um zumindest die Technik zu etablieren. "Die Frage ist aber mittelfristig, ob sich die Angebote im Werbemarkt refinanzieren können", sagt Christian Schalt, Geschäftsführer beim Berliner Sender Kiss.FM. Der gehört zu den 14 Programmen, die ab August bundesweit mit der neuen Technik ausgestrahlt werden - zumindest in den Ballungsräumen, die in der ersten Ausbaustufe des neuen Digitalradios erfasst sind.
Um einen Lokalsender zum bundesweiten Angebot zu machen, wird sich der Sender anpassen müssen. "Man weiß vieles noch nicht", sagt Schalt. Für die bundesweite Ausstrahlung wird das musik- und unterhaltungszentrierte Programm eventuell sogar abgespeckt. Berliner Verkehrsmeldungen sind für Hörer im tiefsten Bayern uninteressant. Mittelfristig plant der Sender ein zweites Angebot für Digitalhörer zu entwickeln - sofern denn Nachfrage besteht.
Internet als Konkurrenz
"Es ist eine Riesen-Aufgabe, Hörer davon zu überzeugen, ein neues Gerät zu kaufen - und relativ wenige Kanäle zu empfangen", sagt Hans-Dieter Hillmoth, Geschäftsführer und Programmdirektor von Hit Radio FFH. "Andererseits gibt es Tausende von bekannten und neuen Radiokanälen im Netz auf vielen Millionen existierenden PCs, Webradios und iPhones." Trotzdem möchte sich Hillmoth auf das neue Experiment einlassen und hat zwei Sendefrequenzen in Hessen beantragt.
Weniger optimistisch ist Kai Fischer, Geschäftsführer von Hit-Radio Antenne: "Wir haben keine Versorgungslücke bei der Verbreitung über UKW", sagt Fischer. Er bezweifelt, dass Digitalradio für den Nutzer einen besseren Empfang gewährleisten kann als die bestehende Technik. Auch die inhaltlichen Versprechungen der Digitalradio-Befürworter würden nicht erfüllt. "Der politische Wille war, bundesweit neue Angebote zu etablieren, die die jetzige Radiolandschaft ergänzen. Davon sehe ich jedoch nichts."
So hätten sich vor allem bestehende Sender für die neue DAB-Verbreitung interessiert, wirklich neue Angebote gebe es jedoch nicht. Ausnahme sind das Wissensprogramm des Deutschlandradios, das bisher nur über das Internet ausgestrahlt wurde und der Fußballsender 90elf.
Der Newcomer geht auch gleich in die Vollen. Zum Start der neuen Übertragung hat Regiocast die Fußball-Kommentator-Legende Manni Breuckmann engagiert. „Ich habe mir fest vorgenommen, bei 90elf Spuren zu hinterlassen", sagt Breuckmann, der bis 2008 Fußball-Spiele für den WDR kommentiert hatte. Die Zukunft des Radios soll mit einer Stimme aus der Vergangenheit eingeläutet werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen