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Neuer Roman von Franziska GänslerTrauer und Wut der Pubertierenden

Franziska Gänsler beschreibt in „Wie Inseln im Licht“ eine von Ambivalenz geprägte Beziehung zwischen Mutter und Tochter. Der Spannungsbogen hält.

„Wie Inseln im Licht“ ist der zweite Roman von Franziska Gänsler Foto: Bahar Kaygusuz

Etwas hat sich verändert im Leben der Ich-Erzählerin Zoey. Dass es sich um keine gute Wendung handelt, weiß Franziska Gänsler in ihrem zweiten Roman „Wie Inseln im Licht“ mit wenigen Worten atmosphärisch zu fassen, noch vor jeder inhaltlichen Erläuterung: „Als ich auftauchte, hat das Wetter umgeschlagen. Das Wasser, das kurz zuvor noch glatt in seinem türkis gekachelten Becken gelegen hatte, wird jetzt von einem kühlen Wind bewegt, genau wie die Palmenblätter, die dabei ein schnelles, schabendes Geräusch erzeugen.“

So beginnt die Erzählung, kurz darauf erfahren die Lesenden vom Tod der Mutter vor vier Tagen. Beunruhigung liegt in der Luft, am Strand attackieren die Möwen einen Surfer, Meer und Himmel gehen dunkel ineinander über.

Diese Art Bilder, die darin liegende Verdichtung, war auch schon im 2022 erschienenen Debüt „Ewig Sommer“ eine der Stärken der Autorin. Und es gibt weitere Gemeinsamkeiten.

Gänsler interessieren erneut Frauenfiguren, ihre Beziehungen zueinander; insbesondere die zwischen Müttern und Töchtern. Sie blickt ein weiteres Mal auf eine missbräuchliche enge Bindung, wenn sie hier auch ganz anderer Art ist. Schmerzhafte Erfahrungen in der Vergangenheit, die bis in die Gegenwart wirken und teils von einer Generation in die nächste getragen werden, sind Thema beider Romane.

Ein doppelter Verlust

„Wenn ich an Oda denke, dann liegt der Schmerz der Mutter wie ein Filter zwischen mir und meiner Erinnerung“, hier deutet sich der doppelte Verlust Zoeys an. Oda ist die jüngere Schwester, die vor zwanzig Jahren verschollen ist.

Franziska Gänsler: „Wie Inseln im Licht“. Kein & Aber, Zürich 2024. 208 Seiten, 23 Euro

Die beiden waren Kinder, fünf und sieben Jahre alt. Sie lebten zusammen mit der jungen Mutter an jenem Ort an der französischen Atlantikküste, an dem Zoey sich in der Erzählgegenwart des Romans aufhält. Sie wohnten damals auf einem Campingplatz, abgeschieden, in bewusster Abgrenzung zur Gesellschaft außerhalb.

Zoey ist hier, um den Lücken ihrer Erinnerung nachzugehen. Denn die Mutter schwieg über die Geschehnisse, versank in ihrem Schmerz. Mit nur 44 Jahren ist sie gestorben, nachdem Zoey sie in einer beklemmenden, isolierenden Symbiose drei Jahre lang gepflegt hatte. Die Mutter verweigerte jede Hilfe von außen.

Die frische Trauer um die Mutter verbindet sich mit der nie vergangenen um die Schwester. Die auch deshalb wirkmächtig ist, weil das Verschwinden Odas nie aufgeklärt wurde und Zoey zugleich Schuldgefühle quälen, da die Leerstellen ­ihrer Erinnerungen offenlassen, ob sie eine Mitschuld trägt. Von der Mutter nur das Schweigen.

Missbräuchliches Verhalten der Mutter

Die tiefe Ambivalenz dieser von beidseitiger emotionaler Abhängigkeit geprägten Mutter-Tochter-Beziehung zeichnet Gänsler mit viel Feingefühl. Ihre Wut als Teenagerin über das Schweigen drängt Zoey zurück, weil sie glaubt, die Mutter davor schützen zu müssen. Weil sie sie liebt, weil die Bilder ihrer früheren Dreisamkeit von inniger Verbundenheit getragen sind. Das missbräuchliche Verhalten der Mutter spiegelt die Autorin vor allem durch die Außensicht anderer, etwa einer engen Freundin Zoeys.

Wie bereits in ihrem Debüt eindrucksvoll vorgeführt, verknüpft Gänsler gekonnt ein spannungsgetriebenes Erzählen mit der dichten Vielschichtigkeit ihres Schreibens. Fast krimihaft muten Zoeys Recherchen an: Was wurde damals unternommen, um Oda zu finden? Was weiß die Polizei? Der Spannungsbogen hält und findet zu einer überzeugenden Auflösung, das sei verraten.

Nicht ganz so feingliedrig miteinander verwoben wie im Debüt sind hier die Themen und Erzählebenen. Doch ist Gänsler eine kluge, berührende Erzählung über verschiedene Arten des Umgangs mit großem Schmerz gelungen, die auch um Momente der Befreiung weiß.

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