Neuer Kinofilm über Finanzkapital: Wo alles am Arsch vorbeigeht
Johannes Nabers zweiter Spielfilm „Zeit der Kannibalen“ will eine groteske Affirmation der Spiele des Finanzkapitals sein. Doch der Anspruch ist zu groß.
![](https://taz.de/picture/109427/14/zeit-der-kannibalen.jpg)
Das Bewegtbildmedium Film tut sich schwer damit, die Bewegungen an den globalen Finanzmärkten anschaulich zu beschreiben. Statt plausible Bilder zu finden, delegieren Erklärfilme wie „Der große Crash – Margin Call“ die ästhetische Vermittlung sicherheitshalber in die Domäne des Wortes.
Aber auch das Bild des durch verschiedene Hände wandernden Geldscheins aus Robert Bressons Film „Das Geld“ ist heute nicht mehr als ein schöner Anachronismus, ein ähnlich überkommenes Symbol wie Michael Douglas’ klobiges Mobiltelefon in „Wall Street“.
Eine der genauesten Beschreibungen des Finanzkapitalismus findet sich in Christian Petzolds „Yella“; genau nicht zuletzt deshalb, weil sie ursprünglich aus einem Dokumentarfilm, Harun Farockis „Nicht ohne Risiko“, stammt. In „Yella“ wird der Zuschauer Zeuge einer Investorenverhandlung, und die Sprache, die diesem Prozess eine äußere Form verleiht, ist so kalt und so funktionsorientiert faktisch, dass sich niemand wundern muss, wenn sie nichts Schönes und Nachhaltiges hervorbringt.
Womit wir bei Johannes Nabers zweitem Spielfilm, „Zeit der Kannibalen“, wären, der mit „Yella“ außer seinem Thema noch eine zweite Überschneidung aufweist: Devid Striesow in der Rolle eines skrupellosen Unternehmensberaters. Die Beträge, die in „Zeit der Kannibalen“ bewegt werden, rangieren allerdings in einem anderen Kostensegment als in „Yella“. Produktionsmittel im Wert von 120 Millionen Dollar sollen über Nacht von Indien nach Pakistan verschoben werden – alles nur, um einen Großkunden zu beeindrucken.
Das Geld kommt nicht ins Bild
Eigentlich aber geht es um reine Selbstlegitimation, das Kapital muss sich ständig behaupten. Öllers (Striesow) und sein Kollege Niederländer (Sebastian Blomberg) sitzen in anonymen Hotelzimmern irgendwo auf der Welt (Indien, Nigeria, egal) und spielen Herr über dieses Kapital.
Die Außenwelt existiert nur in Schemen: stilisierte Pappkartons als Stadtsilhouette, Milchglasfenster, stellvertretend für den ätzenden Smog der Megalopolis. Doch obwohl in „Zeit der Kannibalen“ unentwegt geredet wird, bleibt das Setting abstrakt. Die Präzision der Sprache verlagert sich von genauen Beobachtungen auf verbalisierte Affekte. Die Dialoge des ehemaligen Werbetexters Stefan Weigl legen nicht das System offen, nur die Temperamente der Figuren.
Niederländer ist ein pedantischer Neurotiker, der seinen Koffer in Rekordgeschwindigkeit packen kann (am Ende wird ihm auch das nichts nutzen) und die immaterielle Qualität seines Lebenswandels mit dem unbedingten Willen zu körperlicher Fitness kompensiert. Auch Öllers hat sich in seinem zynischen Leben eingerichtet: Er versteht sich als Teil einer Welt, die ihm herzlich am Arsch vorbeigeht. Den Blow-Job des nigerianischen Zimmermädchens nennt er „Entwicklungshilfe“, den Kapitalismus die letzte Rettung für den afrikanischen Kontinent („Afrikaner auf dem Mond! Das Wunder der Globalisierung!“).
Nur wenn er am Telefon seinen Sohn schlafen hört, wird er weich. Als ihr dritter Teamkollege überraschend zum Partner der ’Company‘ gemacht wird und durch die ehrgeizige Bianca (Katharina Schüttler) – mit NGO-Vergangenheit, versteht sich – ersetzt wird, liegen plötzlich die Nerven blank.
Satire der knappen Schlagworte
Es liegt nahe, die groteske Affirmation dieses brutalistischen Weltbilds als Antwort des deutschen Kinos auf „Wolf of Wall Street“ zu verstehen. Doch Naber – anders als Scorsese, der seinem hypertrophen Stil wenigstens über drei Stunden treu bleibt – verzettelt sich zu sehr in seinen eigenen Ansprüchen. Seinem Film fehlen für eine Farce die exzessiven Momente, für eine schwarze Komödie Einsichten in die Figuren und für eine ernsthafte Kritik am Finanzkapitalismus schlichtweg die Begriffe.
Drehbuchautor Weigl reduziert die Satire lieber auf knappe Schlagworte („People, Profit, Planet“). Vor diesem Widerspruch aus formaler Abstraktion (das anonyme Hotelzimmer hat den Charme einer Theaterbühne) und demonstrativer Überdetermination (die Selbstgeilheit der Figuren fällt immer auch ein wenig auf die Darsteller zurück) muss „Zeit der Kannibalen“ letztlich kapitulieren.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss