Neuer Karikaturenstreit: Dänische Verdrehungen
Handelt Israel in Gaza wie die Nazis im Warschauer Ghetto? Eine Karikatur in der Tageszeitung "Politiken" legt das nahe. Die sieht sich nun dem Vorwurf des Antisemitismus ausgesetzt.
Am Mittwoch vergangener Woche illustrierte die in Kopenhagen erscheinende liberale Tageszeitung Politiken eine Debattenseite zum Thema des Gazakriegs mit einer Zeichnung ihres Karikaturisten Per Marquard Otzen.
Die zeigt zwei israelische Soldaten, die mit ihren Waffen Palästinenser in Schach halten. Wobei Otzen sich ganz offensichtlich von einem bekannten und in historischen Zusammenhängen häufig veröffentlichten Foto inspirieren ließ. Das am 19. April 1943 in der polnischen Hauptstadt gemacht worden war und auf dem deutsche Soldaten eine Gruppe von Juden aus dem Ghetto treiben, an der Spitze einen kleinen Jungen mit erhobenen Händen.
In einer Karikatur die Invasion israelischer Soldaten im Gazastreifen mit einer Aktion von Nazisoldaten im Jahre 1943 im Warschauer Ghetto zu vergleichen, ist das klug - darf man das?
Nein, meint ganz eindeutig und nicht ganz unerwartet die jüdische Glaubensgemeinschaft "Mosaisk Troessamfund" in Dänemark. Sie wirft nun Dänemarks drittgrößter Tageszeitung Antisemitismus vor.
"Meint Politiken wirklich, was diese Zeichnung zum Ausdruck bringt, nämlich dass das Verhältnis zwischen Israel und der Hamas verglichen werden kann mit Hitler-Deutschland und Europas Juden?", heißt es in einem offenen Brief des "Mosaisk Troessamfund". Die Autoren bezeichnen darin den "vorgenommen Vergleich zwischen den Handlungen der israelischen Armee und dem Versuch der Nazis, zu einer Endlösung für das jüdische Volk zu kommen", für haltlos und unverständlich.
Politiken-Chefredakteur Tøger Seidenfaden hält die Kritik für nicht ganz unberechtigt. Er persönlich sei sich nicht sicher, ob die Karikatur womöglich die Grenze des Zulässigen tatsächlich überschreite. Der Vergleich zwischen israelischen Soldaten anno 2008 und deutschen Nazisoldaten von 1943 sei "unpassend" und wirke "unproportional".
Dennoch, so Chefredakteur Tøger Seidenfaden, sei der Redaktion wegen der Veröffentlichung kein Vorwurf zu machen. Denn in den vergangenen Tagen hätten die Leserbriefredaktionen aller dänischen Zeitungen Beiträge ihrer LeserInnen erhalten und auch veröffentlicht, in denen in der einen oder anderen Form gerade derartige Bezüge zwischen dem Vorgehen Israels und dem der Nazis im Zweiten Weltkrieg hergestellt worden seien. Deshalb müsse in diesem Zusammenhang auch für so eine Karikatur Platz sein: "Unsere Zeichner arbeiten nicht auf Befehl." Und selbst ein "nicht verhältnismäßiger und diskutabler historischer Vergleich ist nicht Antisemitismus", führte Seidenfaden aus.
Damit nimmt der Chefredakteur von Politiken auch direkt Bezug auf einen anderen, früheren "Karikaturenstreit". Den um die Mohammedkarikaturen der dänischen Jyllands-Posten. Die hatte Politiken seinerzeit als bewusste und unverantwortliche Provokation scharf verurteilt: "Im Gegensatz zu anderen Teilnehmern in der öffentlichen Debatte meinen wir bei Politiken, dass die Meinungsfreiheit Grenzen hat. Deshalb hätten wir die Zeichnung nie gebracht, wenn sie antisemitisch oder rassistisch gewesen wäre."
Dass Karikaturisten auch angesehener skandinavischer Medien im Zusammenhang mit Israels Politik gegenüber Palästina zu Nazivergleichen greifen, ist nicht neu. Vor zweieinhalb Jahren protestierte die Regierung Israels gegen die norwegische Tageszeitung Dagbladet. Die hatte einen Text über die israelische Palästina-Politik mit einer Zeichnung illustriert, die Anleihen beim sadistischen Lagerkommandanten Amon Göth in Steven Spielbergs Film "Schindlers Liste" machte. Statt den von einem Balkon auf jüdische Häftlinge schießenden KZ-Kommandanten zeigte die Karikatur den lächelnden israelischen Premierminister Ehud Olmert in KZ-Kommandantenuniform. Der von Israels Botschafterin in Norwegen damals angerufene "presseethische Rat" hatte jedoch nichts an der Karikatur auszusetzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin