Neuer Film von Oliver Stone: Die Spitze des Sadismus
„Savages“ ist ein typischer Oliver-Stone-Film. Knallhart und ohne jede Subtilität. Stone dekliniert durch, wer wann und weshalb zum Wilden wird.
Man kann dem Regisseur Oliver Stone einiges vorwerfen: seinen Hang zu Verschwörungstheorien („JFK“, „Nixon“) und Pop-Pomp („The Doors“), seine Schwäche für starke Männer („Wall Street“, „Alexander“, „Commandante“) und starke Gewalt („Natural Born Killers“) oder auch, dass sein Drehbuch für „Midnight Express“ einer ganzen Generation die Einreise in die Türkei vergällte. Mangelndes Engagement für sein jeweiliges Thema gehört jedoch nicht dazu.
Mit der zu seinem Markenzeichen gewordenen Verve geht Oliver Stone auch an die Verfilmung des Romans von Don Winslow heran. Wie bei vielen Stone-Filmen bedeutet das für den empfänglichen Zuschauer, dass ihn zunächst die pure Energie des Filmemachers in den Bann zieht, ihn wie auf einer Welle fortträgt, durchwirbelt – um ihn am Ende ausgepumpt und etwas ratlos gestrandet zurückzulassen.
Es beginnt vermeintlich sanft mit einer Frauenstimme aus dem Off, die sich als „O“ – kurz für „Ophelia“ – vorstellt und von ihren zwei Männern erzählt, von Ben (Aaron Johnson) und Chon (Taylor Kitsch). Das schöne California-Girl (Blake Lively) präsentiert sie uns als ihre sich ideal ergänzenden – und nicht aufeinander eifersüchtigen – Liebhaber, die außerdem zusammen ein erfolgreiches Business betreiben, das aus dem Anbau und dem Verkauf von „Ben & Chonny’s“ besteht. Die Ähnlichkeit zu einer erfolgreichen amerikanischen Speiseeismarke ist kein Zufall.
„Ben & Chonny’s“ befriedigt Gelüste der etwas anderen Art, dafür mit ähnlichem „Premium“-Anspruch: Es handelt sich um Marihuana mit dem sagenhaften THC-Gehalt von 33 Prozent. Die Frauenstimme berichtet, dass es Chon war, der als Elitesoldat die Samen des Spitzengewächs von einem Afghanistan-Einsatz mitbrachte, und dass Ben, als studierter Botaniker und Betriebswirt, daraus ein Kraut züchtete, dessen großer Verkaufserfolg in Südkalifornien der Konkurrenz aus Mexiko nicht verborgen bleiben konnte.
Gegnenseite mit eindeutigen Forderungen
Mit einem regelrechten Schlag in die Magengrube setzt auch schon die eigentliche Filmhandlung ein: Ben und Chon bekommen ein unappetitliches Video geschickt, das demonstriert, zu welchen Handlungen die Gegenseite fähig ist, wenn ihre Geschäftsvorschläge nicht angenommen werden. Der pazifistische Ben, der seine Drogenmillionen unter anderem zur Weltverbesserung einsetzt, plädiert dafür, das Business augenblicklich zu liquidieren und sich zu dritt, Ben und Chon und O, davonzumachen.
Doch die Mexikaner wissen, wie man Angebote macht, die nicht mehr abzulehnen sind. Sie entführen O bei deren letzter Einkaufsrunde vor der Abreise. Nun schlägt die Stunde des ganz und gar nicht pazifistisch gesinnten Chon. Und der Zuschauer versteht nach und nach, dass der Titel „Savages“, also „Wilde“, keine Familie und kein Kartell beschreibt, sondern als offene Frage zu verstehen ist.
Wer wann und weshalb zum „Wilden“ wird – das wird in „Savages“ so stylish wie explizit durchdekliniert. Dass Ben und Chon zu „allem“ bereit sind, um ihre O zu retten, gehört dabei noch zu den vorhersehbaren Entwicklungen; genauso dass der harte Exsoldat Chon dabei Gelegenheit erhält, Gefühle zu zeigen, während Softie Ben sich als „Mann“ bewähren muss. Zusammen mit der nur passiv agierenden Lively bleiben aber sowohl Darsteller Johnson als auch Kitsch allzu sehr den Vorgaben des „acting while beautiful“ verpflichtet.
Mehr Mut zur Hässlichkeit beweist da schon die Figur des korrupten DEA-Agenten Dennis, an dessen Beispiel John Travolta in wenigen Auftritten den schmalen Grat vorführt, der zwischen einfach kläglich und absolut mies liegt. Als das eigentliche Faszinosum aber entpuppen sich hier einmal mehr die „echten“ Bösen, die gar nicht kühlen Gegner unserer coolen Kalifornier: Da ist die Drogenbaronin Elena (Salma Hayek), die einerseits mit blutiger Gewalt ihr Kartell im Griff behalten muss und anderseits ihrer Tochter eine gute Mutter sein will. Und da ist vor allem Lado, ihre rechte Hand, den Benicio del Toro als mexikanischen Schurken wie aus dem Bilderbuch anlegt. Die Spitze seines Sadismus zeigt sich in der gefühlt einzigen Szene, in der er niemanden erschießt, ersticht oder enthauptet, sondern genüsslich ableckt, was O ihm ins Gesicht spuckt.
Es sind solche Szenen, die „Savages“ zum sehenswerten Film machen, obwohl sich in vielen anderen der typische Oliver Stone zeigt: so sehr bei der Sache, dass er kaum bemerkt, wie alle Subtilität flöten geht und ihm die vertrackte Ironie der Vorlage zum altbackenen Filmklischee gerät. Gegen Stones Inszenierungs-Verve konnte wohl auch Winslow selbst, obwohl er am Drehbuch mitschrieb, nichts ausrichten.
"Savages". Regie: Oliver Stone. Mit Blake Lively, Taylor Kitsch und Aaron Taylor-Johnson u. a. USA 2012, 131 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos