: Neuenfelde is a state of mind
Die Kunstform der Skelettierung und Verfremdung: Produzent Matthias Arfmann und sein „Turtle Bay Country Club“ jagen am Dienstag im Echo Chamber davonfliegenden Bässen hinterher
von MARC PERSCHKE
Der Turtle Bay Country Club ist mehr als eine Band, lässt der dahinter steckende Hamburger Musiker und Produzent Matthias Arfmann wissen: „Es ist ein Golfplatz auf Hawaii, ein Tonstudio, ein Label. Eine Art Rennstall ohne ‚Ich‘.“ Ein Ort der Rekreation, und dabei nur wenige Kilometer südlich von Hamburg gelegen: Aus Neuenfelde kam dieses Dub-Monster: Turtle Bay Country Club presents Dub Decade. Neuenfelde is a state of mind, wie man da hört; Hier gehen sie alle ein und aus, die Freunde der tiefen Brummelbässe: Patrice, Jan Delay, Das Department, Zion Train, Di Iries, Majestic Warriors, Readykill und die anderen Arfmann-Assoziierten lassen es hier fließen – mal mehr, mal weniger entspannt.
Matthias Arfmann selbst hat Dub-Geschichte geschrieben: Seine Arbeit bei Kastrierte Philosophen gehört zum Besten, was das Genre in Deutschland hervorgebracht hat – zudem hat Arfmann als Produzent etwa die Alben von Musikern und Gruppen wie Jan Delay, Patrice, Absolute Beginner und Cora E. veredelt.
Dub-Reggae, das ist seit Mitte der sechziger Jahre eine grobkörnige Kunstform der Skelettierung und Verfremdung bereits produzierter, instrumentaler Reggaetracks – eine Absage an den Song als autonom-auratisches, aus sich selbst sprechendes Werk, die mit den Mitteln der Demontage und Recollage arbeitet. An kleinen, in Heimarbeit verbesserten Mischpulten von Musiktechnikern wie King Tubby, Augustus Pablo und Lee Perry in Jamaika entwickelt, ist die Remixkultur des Dub heute international. Kaum eine avancierte House-, Ambient- oder TripHop-Produktion kommt ohne die Effekte des Dub-Reggae aus: Hall, Echo, Delay, das Ein- und Ausblenden der verschiedenen Instrumente, das ewige Warten auf den zurückkehrenden Ton. Dub ist für Arfmann die ultimative Meta-Musik – oder, wie er einmal im Interview gesagt hat: „das Urskelett“.
Schlagzeug und Bass sind schon immer die tragenden Instrumente des Reggae gewesen – und auch im Turtle Bay Country Club geht nichts ohne das tiefe Brummeln der Rhythmussektion: Mal kommen die Bässe vom Sampler, dann wieder werden sie von Musikern mit einem E-Bass gespielt. Bisher agierte der Turtle Bay Country Club – dieses Musikerkonglomerat unter der Ägide Arfmanns – allerdings vor allem live nicht sonderlich glücklich: Bei der letzten Tour spielte Jan Delays Sam Ragga Band über weite Strecken eine seelenlose Plastikversion von Dub – da halfen auch die von Arfmann selbst eingespielten Soundeffekte und -verfremdungen nicht viel.
Im besten Fall – etwa beim „Silikon Dub“ mit der Sängerin Onejiru – konnte das Ergebnis sogar mit den jamaikanischen Vorbildern konkurrieren. Kam allerdings der begleitende Saxophonist hinzu, klang der Turtle Bay Country Club prompt wieder ungefähr so innovativ wie ein redlich bemühter Fusion-Jazz-Workshop. Doch all das sollte niemanden abhalten, jetzt in der Echokammer den fortfliegenden Bässen hinterherzujagen. Denn Matthias Arfmann ist immer für eine Überraschung gut. Und wer an diesem Abend schon zu Hause bleibt, legt am besten einen tonnenschweren Kastrierte Philosophen-Dub auf. Denn da ist sie wieder, die tiefe, saugende Emotionalität des Reggae, diese bittersüße, heilsame Essenz, die hier aus jedem Ton zu tropfen scheint.
Dienstag, 21 Uhr, Echo Chamber
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