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Neue italienische RegierungDie Fünf Sterne sind jetzt schnuppe

Kommentar von Marco Morosini

Die Fünf-Sterne-Bewegung bildet eine Koalition mit der rechtsextremen Lega. Der Exberater von Beppe Grillo hält das für einen Verrat an ihrer Idee.

Älteste Partei küsst neuste Partei: Matteo Salvini von der Lega (r.) und Luigi di Maio von der Fünf-Sterne-Bewegung (l.) Foto: ap

S eit Freitag steht sie also, die 69. Regierung der Repubblica Italiana, am Nachmittag wurde sie nach einigem Hin und Her in Rom vereidigt. An die Macht kommen nun die älteste und die neueste Partei Italiens: die rechtsextreme Lega (17 Prozent Wähleranteil), zum dritten Mal seit 1994, und die Fünf-Sterne-Bewegung (32 Prozent), eine Rechts-Mitte-links-Partei, geschaffen vom E-Marketing-Guru Gianroberto Casaleggio, der 2016 verstarb, die unter dem Komiker Beppe Grillo groß herauskam.

Ich bin überzeugt davon, dass diese Regierungsbeteiligung den Fünf Sternen zum Verhängnis wird. Als Wegbegleiter und Ghostwriter von Grillo erlaube ich mir eine klare Empfehlung: Die Fünf Sterne sollen sich vor sich selbst retten, zu ihren Gründungsprinzipien zurückkehren und in der Opposition reifen – je früher, desto besser. Aber erblindet vom angeblichen Triumph merken nur wenige, dass mit dem Regierungseintritt das grandiose Fünf-Sterne-Projekt grandios gescheitert ist.

Die Fünf-Sterne-Bewegung war nie eine Partei wie jede andere. Allein zu regieren, das war immer ihr Ziel. Ihr Schlachtruf: Alle nach Hause! Entweder wir oder sie! Aber „sie“, also die anderen Parteien, haben am 4. März die Wahlen gewonnen. 40 Millionen der 51 Millionen Wahlberechtigten haben nicht die Fünf Sterne gewählt. Damit ist der immer noch verkündete Anspruch, „die Bürger“ gegen „die Kaste“ zu vertreten, passé. Dieser hohe Anspruch, den „Mumien der Parteien“ etwas entgegen zu setzen.

Wie hat es Parteichef Luigi Di Maio ausgedrückt? „Man kann sich nicht mit den Tätern des Massakers des Landes verbünden, mit denen, die die Probleme geschaffen haben, um sie zu lösen.“ Man kann es offenbar doch.

Marco Morosini

65, war seit 1992 Berater und Ghostwriter von Beppe Grillo, dem Mitgründer der Fünf-Sterne-Bewegung. Er lehrt Umweltpolitik an der ETH Zürich.

Nix mit „Tutti a casa!“

Das pompöse „Tutti a casa!“-Projekt der Fünf Sterne wird nun kommentarlos begraben – und mit ihm die ursprünglichen Fünf Sterne. Aldo Giannuli, ein Politikwissenschaftler, der jahrelang mit der Bewegung zusammenarbeitete, schreibt: „Der Staatsstreich, aus dem Ende 2017 die zweite Fünf-Sterne-Bewegung hervorging, begann im Sommer 2016. Die bisherige Fünf-Sterne-Bewegung wurde ohne Mitgliederabstimmung aufgelöst, und es wurde eine neue gegründet, mit einem Statut, das von niemandem gebilligt wurde.“ Nach der Wahl vom 4. März begannen die „zweiten“Fünf Sterne mit „den Mumien der Parteien“ zu verhandeln, 88 Tage lang, um doch in einer Regierung zu landen.

Dank dieser Pirouette hat die Bewegung jegliche Glaubwürdigkeit verloren. Wer die Koalition nicht gut findet, wird der Partei den Rücken kehren, Wähler, einfache Mitglieder und auch Mandatsträger. Schon seit 2013 haben die Fünf Sterne 50 ihrer 180 Sitze im italienischen Parlament und im EU-Parlament verloren.

Die Wähler haben einen Blankoscheck ausgestellt

Regieren heißt Stellung zu beziehen. Das ist jedoch nicht kompatibel mit der echten Identität der Partei – der Ambivalenz. „Wir sind ein wenig rechts, ein wenig links, ein wenig christdemokratisch. Wir passen uns allem an“, sagte Beppe Grillo einmal. Und am Wahlabend rief ein strahlender Di Maio die Geburt einer „Republik der Bürger“ aus. Allerdings: Sind die 40 Millionen Wähler, die nicht Fünf Sterne gewählt haben, vielleicht keine Bürger? Bald werden dann die Fünf Sterne entdecken, dass die Bürger unterschiedliche Interessen haben.

Viele wollen mehr Wirtschaftswachstum, einige wollen weniger. Manche wollen mehr Privatisierungen, andere mehr öffentliche Unternehmen. Mehr fossile Brennstoffe oder mehr erneuerbare Energien. Mehr Einkommen für die Reichen oder mehr für die Armen. Mehr Autobahnen oder mehr Fahrradwege. Den Rückzug oder den Verbleib im Euro. Und so weiter.

Die Linke als das absolute Übel

Gäbe es diese Differenzen nicht, so würde eine einzige „Partei der Ehrlichen“, so die Fünf Sterne, ausreichen, um die „Interessen der Bürger“ durchzusetzen. Regieren heißt in Wahrheit aber, für jemanden einzutreten: entweder für die Bevorzugung der Schwachen oder die der Starken oder für die Aufrechterhaltung des Status quo – also auch für die Bevorzugung der Starken.

Während der Regierungsverhandlungen bemerkten die Fünf-Sterne-Wähler, dass sie einen Blankoscheck für eine Koalitionsregierung erteilt haben. Es hätte ein Bündnis mit dem Partito Democratico werden können. Diese Option würde wahrscheinlich von den siebzehn Fünf-Sterne-Abgeordneten im Europäischen Parlament bevorzugt, die meistens zusammen mit der Vereinten Europäischen Linken und den Grünen abstimmen. Aber die Parteiführung hatte andere Pläne.

Koalition und Chaos

Regierungsbildung Nach drei Monaten Chaos kommt in Italien erstmals eine europakritische Regierung an die Macht, die stramm nach rechts strebt. „Fünf Sterne“ und rechte Lega hatten sich am Donnerstag im zweiten Anlauf geeinigt.

Erster Versuch Zuvor hatte Eurokritiker Paolo Savona unter Ministerpräsident Giuseppe Conte Finanzminister werden sollen – doch der Staatspräsident legte sein Veto ein.

Fünf-Sterne-Bewegung Das europakritische und als populistisch kritisierte „Movimiento 5 Stelle“ sieht sich weder rechts noch links.

Sie arbeitet schon länger an einer Koalition mit der Lega. Seit einem Jahrzehnt schon verunglimpfen die Fünf-Sterne-Medien den Partito Democratico und die Linke als das absolute Übel („Kotzbrocken“, „Ihr müsst sterben“); gegen die Rechten wurde nie agitiert. Die Fünf-Sterne-Leute wurden zum Hass gegen links aufgestachelt, viele linke Fünf-Sterne-Anhänger verließen die Partei, und es kam neues rechtes und rechtsextremes Personal.

Es ist ein Paradox: Mit einer Lega-Fünf-Sterne-Koalition führt eine Bewegung, die entstand, um „die Parteien, die dieses Land zerstört haben, nach Hause zu schicken“, plötzlich zur Restauration einer diskreditierten Regierungsmacht – die Lega von Matteo Salvini.

Kein Gefängnis dank der Lega

Salvini – notabene – ist Chef nicht nur der Lega, sondern auch der bestehenden rechten Allianz aus Lega, Forza Italia (Berlusconi), und Fratelli d’Italia (Faschisten), die auf 37 Prozent der Stimmen kam. Die angebliche „Regierung des Wandels“ inthronisiert nun wieder die älteste italienische Partei, gegründet 1989, die einzige überlebende der diskreditierten „ersten“ Republik.

Den Fünf Sternen scheint es egal zu sein, dass es Spitzenmänner der bisherigen Koalition, Silvio Berlusconi und Cesare Previti, der Lega zu verdanken haben, dass sie keinen einzigen Tag im Gefängnis verbringen mussten. Und das, obwohl sie zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden.

Die Fünf Sterne haben noch ein anderes Problem: In zehn Jahren ist es der Partei nicht gelungen, intern politische Persönlichkeiten zu finden oder heranzuziehen, die in der Lage wären, alle Ministerposten zu besetzen. Wichtige Ministerien und selbst das Amt des Ministerpräsidenten werden nun mit parteifremden Technokraten besetzt – wobei die Fünf Sterne solche immer heftig kritisiert haben. Die gleiche Unreife gilt für den Parteichef Luigi Di Maio, 31 Jahre alt.

Wie kann man Italien einem Politikneuling anvertrauen, der weder in der Lage war, sein Studium abzuschließen noch eine sinnvolle berufliche Tätigkeit auszuüben? Der nie Exekutiv-Verantwortung trug, nicht einmal in einer kleinen Gemeinde? Wie soll jemand mit diesem Profil auf Anhieb ein G7-Land regieren? In den Trash-TV-Talkshows zu brillieren ist nicht dasselbe, wie mit den Staats- und Regierungschefs der Welt auf Augenhöhe zu verhandeln.

Reift erstmal!

Wenn die Fünf-Sterne-Bewegung ihre Widersprüche überwinden und vielleicht eines Tages das Land wirklich reformieren will, braucht sie drei Dinge.

Erstens: eine Rückkehr zu den ursprünglichen Prinzipien, die den ökologischen und sozialen Wandel in den Vordergrund stellen. Zweitens: die Bildung einer wahren politischen Elite. Und schließlich den Verzicht auf die Fünf-Sterne-typische Politik der systematischen Beleidigungen, des Grolls, des Hasses und der Aberkennung der Legitimation der politischen Konkurrenten.

Vielleicht wäre dann die Fünf-Sterne-Bewegung reif genug, wirklich mehr als die Hälfte der Wähler zu vertreten – wie sie immer beteuerte – und alle verhassten Parteien wenn nicht „nach Hause“ zu schicken, dann zumindest in die Opposition.

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9 Kommentare

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  • Ich bin froh, dass die Bewegung nun regiert. Überhaupt nicht froh bin ich, dass der Koalitionspartner die Lega ist. Aber das ist Demokratie. wer mit der sozialen Lage in Italien richtig vertraut ist und sich also nicht nur in der offiziellen Presse informiert, beißt gerne in diesen sauren Apfel, denn nun können die Fünf Sterne zeigen, wozu sie in der Lage sind.

     

    Ich finde in diesem Artikel wieder eine Voreingenommenheit, die erkennen lässt, dass der Autor viel von Bildung hält - oder warum sonst der Hinweis auf Di Maios abgebrochenes Studium? Womit ich bei der angesprochenen möglichen Koalition mit der PD bin. Die wissen alles besser, aber das Volk hat sie klar abgewählt. Und Di Maio wollte auch mit der PD Koalitionsverhandlungen führen, was aber von den Herrschaften der PD kategorisch abgelehnt wurde. So viel zuerst einmal zum Kommentar von Marco Morasini.

  • Nachtrag, Teil II.

     

    Italien: Wo das Geld herkommen soll, weiß angeblich niemand

    {...}

     

    Die Schlussfolgerung kann es von daher aber nicht sein, dass der Niedriglohnsektor in anderen EU-Staaten vergrößert wird, die Renten gekürzt und die Lebensarbeitszeit verlängert wird. Die Lösung muss darin bestehen, dass die spezial-demokratischen Gewerkschaften in Deutschland ihre „Sozialpartnerschaft“ mit der deutschen Bourgeoisie aufkündigen und nachhaltig beenden!

     

    Der Reichtum aus abhängiger Arbeit und Wertschöpfung steigt nach ganz oben und trotz höherer qualitativer und materieller Produktivität nimmt auch die Armut in Deutschland weiter zu.

     

    Frage: Warum finanziert die deutsche Arbeiterklasse die Bourgeoisie der Europäischen Union?

  • Warum finanziert die deutsche Arbeiterklasse die Bourgeoisie der Europäischen Union?

     

    Italien: Wo das Geld herkommen soll, weiß angeblich niemand

     

    »Regierungsantritt in Italien. Das bisschen Schulden. Mit Milliardenausgaben will die neue italienische Regierung ihre Wahlversprechen einlösen. Wo das Geld angesichts ohnehin schon hoher Staatsschulden herkommen soll, weiß bisher freilich niemand.«

     

    Vgl. Spiegel-Online

    Kommentar

    SPON, 02.06.2018, Nr. 90.

     

    Nachdenken über die Tatsachen! (?)

     

    Natürlich weiß man auch in Italien woher das Geld kommen soll. Nämlich, von den ewig dämlichen Treudeutschen. Für diese alte und dauerhafte Erkenntnis, in westeuropäischer Neuauflage, muss man kein deutscher Nationalist und auch kein Fremdenfeind sein. Auch die letzte nationale Administration in den konsumorientierten EU-Staaten hat es doch schon längst begriffen, das gilt nicht nur für Griechenland, der treu-deutsche Produktions- und Exportweltmeister, nicht die privaten Eigentümer von Produktionsmitteln und analogen und differenzierten Angehörigen der Bourgeoisie, sondern die wert-schöpfende Erwerbsbevölkerung in der deutschen Bundesrepublik, die zahlen für den ungedeckten Konsum und für die dafür fälligen Rechnungen.

     

    Das ist nicht nur ein Anliegen von Frankreichs politischen Administrator Macron und der französischen Bourgeoisie. Sondern, wie zuvor auch schon, der griechischen Administration, vor allem der politischen Zuhälter der griechischen Bourgeoisie. Das liegt so auch im aktuellen Interesse der italienischen Administration und Bourgeoisie und deren nationalen und international agierenden Mafia, - aus allen Regionen Italiens.

    Bemerkenswert ist hierbei auch, dass der bundesdeutsche Niedriglohnsektor, trotz qualitativ höherwertiger Produktivität, im Leistungsvergleich, mit anderen EU-Staaten, einer der größten Westeuropas ist. {...}

     

    Fortsetzung, Nachtrag, Teil II.

  • Satire live!

    Kabarett überflüssig.

  • "Wie kann man Italien einem Politikneuling anvertrauen, der weder in der Lage war, sein Studium abzuschließen noch eine sinnvolle berufliche Tätigkeit auszuüben?"

     

    Wem soll man Italien denn anvertrauen? Jugendarbeitslosigkeit 33% als Ergebnis der Merkelianer. Sehr viel schlechter wird es die neue Regierung auch nicht hinbekommen.

  • "Wie kann man Italien einem Politikneuling anvertrauen, der weder in der Lage war, sein Studium abzuschließen noch eine sinnvolle berufliche Tätigkeit auszuüben?"

     

    Letzteres ist in Deutschland meistens Voraussetzung für eine politische Karriere.

    Wenn man dann auch noch ein nicht abgeschlossenem Studium (oder gar keines) kommt man in der BRD zumindest bis zum Außenminister.

    • @Age Krüger:

      Klasse! Damit ist klar, welchen Weg die Aufklärung gehen muß. Weg vom ambivalenten Verhalten, Hände weg von der Doppelmoral. Gesellschaftliche Mitte ist eine Denkfalle, damit Leute lebensunecht geraten und in voller Abhändigkeit gehalten werden können. Hoffen können wir auf Bewegung, im Augenblick mehr rechts wie links, aber das kommt schon noch.

  • Weder rechts noch links endet am Ende immer ganz rechts!

  • Wie überraschend, eine Partei die nach den Wahlen den Kurs um 180 Grad ändert. Wer hätte das ahnen können?

    In Deutschland undenkbar – fast, beinah ... manchmal, ganz, ganz früher mal.