piwik no script img

Neue ansteckendere CoronavarianteVietnam kämpft gegen Mutation

In Vietnam, Musterland des Kampfs gegen die Pandemie, steigen die Infektionen steil. Ein Ausgangspunkt soll eine evangelikale Sekte sein.

Der tägliche Wahnsinn in Ho-Chi-Minh-Stadt Foto: Rodger Shagam/imago

Berlin taz | Das südostasiatische Vietnam hatte die Coronapandemie bis vor Kurzem weitgehend unter Kontrolle. Verantwortlich dafür waren rigorose Lockdowns betroffener Kommunen, strenge Isolierungen Infizierter, konsequente Kontaktnachverfolgungen und überwachte Quarantänemaßnahmen bei einer insgesamt recht disziplinierten Bevölkerung.

Bis Anfang Mai hatte das autoritär regierte Land nur 3.500 Infektionsfälle gezählt. Doch seit Ende April kamen plötzlich mehr Neuinfektionen hinzu, als Vietnam seit Beginn der Pandemie insgesamt verzeichnet hatte. Bis Montag zählte die amerikanische Johns-Hopkins-Universität seit Pandemiebeginn jetzt 7.236 registrierte Fälle und insgesamt 47 Tote.

Vietnams Behörden vermuten, dass eine neue, ansteckendere Virenmutation für den raschen Anstieg mitverantwortlich ist. Dabei soll es sich um einen Hybrid handeln aus den Virusvarianten, die zuerst in Indien (B.1.617.2) und Großbritannien (B 1.1.7) entdeckt wurden, erklärte Gesundheitsminister Nguyen Thanh Long laut Reuters am Samstag in Hanoi. Diese Mischform sei „sehr gefährlich“, denn sie sei ansteckender und breite sich womöglich rascher aus.

Die Behörden in Ho-Chi-Minh-Stadt, dem ehemaligen Saigon, machen eine protestantische Sekte im Stadtteil Go Vap für die Verbreitung der Infektionskrankheit mitverantwortlich. 142 Fälle würden mit ihr in Verbindung stehen, schreibt die staatliche Zeitung Tuoi Tre.

Religiöse Veranstaltungen verboten

Anhänger der religiösen Gruppe seien laut Vietnam News in einem viel zu kleinen Raum ohne Abstand und Masken zum Singen zusammengekommen. Die kommunistische Regierung hat inzwischen landesweit alle religiösen Veranstaltungen verboten.

Doch gab es eine hohe Zahl an Infektionen auch in Industriegebieten in den nördlichen Provinzen Bac Nin und Bac Giang bei Hanoi. Dort produzieren riesige Elektronikfabriken für den Weltmarkt. Allein bei einer Firma in Bac Giang infizierte sich ein Fünftel der 4.800 Arbeiter:innen. Dortige Fabrikschließungen kosten laut der Nachrichtenwebseite VNExpress umgerechnet 86 Millionen US-Dollar am Tag.

Die Behörden reagierten mit bekannten drastischen Maßnahmen der Kontakt- und Reisebeschränkungen. In Ho-Chi-Minh-Stadt wurden Treffen von mehr als zehn Personen verboten, Häuser und Wohnungen dürfen nur noch in dringenden Fällen verlassen werden. Menschen über 60 Jahre sollten ganz zu Hause bleiben. Geschäfte, die nicht der Grundversorgung dienen, wurden geschlossen.

Schon seit Donnerstag dürfen in Vietnams größter Stadt keine internationalen Flüge mehr landen, ab Dienstag verbietet auch Hanoi für eine Woche die Ankunft internationaler Flüge.

Alle in Ho-Chi-Minh-Stadt testen

Einreisende Viet­na­me­s:in­nen mussten bisher schon für drei Wochen in überwachte staatliche Quarantäneeinrichtungen. Ho-Chi-Minh-Stadt will sogar alle Ein­woh­ne­r:in­nen der 9-Millionen-Einwohner-Metropole testen lassen, verkündete Bürgermeister Nguyen Than Phong laut VNExpress. Die Testkapazität soll allerdings nur 100.000 pro Tag betragen.

Schon von Freitagabend bis Samstag früh waren 50.000 Be­woh­ne­r:in­nen in Go Vap, wo die beschuldigte Sekte agierte, in sechs Zentren getestet worden, berichtete Tuoi Tre.

Vietnam zahlt jetzt den Preis dafür, dass mangels verfügbarem Impfstoff nur sehr wenige Menschen geimpft werden konnten. Für die 98 Millionen Einwohner gab es bisher erst 2,9 Millionen Dosen des Impfstoffes von AstraZeneca.

Die Regierung bemüht sich, aus dem Covax-Programm der Weltgesundheitsorganisation (WHO) weitere 10 Millionen Dosen zu erhalten. Außerdem will sie 20 Millionen Dosen des Vakzins von BiontechPfizer und 40 Millionen des russischen Sputnik V kaufen und hofft bis Jahresende auf 150 Millionen Dosen. Ein lokal produzierter Impfstoff soll Anfang Juni mit der dritten Testphase beginnen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Ich habe Kontakt zu den Leuten in Vietnam und die neu aufkommenden Varianten sind kein Zufall. Die Bedingungen in den Fabrikhallen, die illegale Einwanderungen aus Ländern wie China oder Indien zerstören den mühevollen Kampf gegen das Virus. Kürzlich wurde ein vietnamesischer Bürger zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt, weil er gegen die Corona Regeln von 14 Tagen verstoßen hat. Vietnam sollte noch härter gegen die Leute vorgehen, die meinen, dass sie sich und andere gefährden müssen.