Neue Website One11.nl: Ein Gegenpol zu 9/11
Der Journalist Bas Mesters hat den Niederlanden eine interessante neue Website beschert. Auf One11.nl werden positive Geschichten über HeldInnen des Alltags erzählt.
ARNHEIM taz | Seit Neujahr erhalten die Niederländer für einige Wochen täglich ein Geschenk: eine Geschichte über einen inspirierenden Menschen. Bas Mesters, Italien-Korrespondent des Fernsehsenders NOS und der Tageszeitung NRC Handelsblad, hatte diese Idee. Er hat die Webseite One11.nl erfunden. Sie steht seit dem 1.1., 1.11 Uhr im Netz - als Gegenpol zu 9/11, positive Geschichten als Ergänzung zu den vielen Negativen des vergangenen Jahrzehnts.
Denn das Konzept von One11 ist: inspirierende, mutige Menschen vorzustellen und durch deren Augen eine Situation zu betrachten. Personen, die Lösungen suchen, aktiv geworden sind, aufbauen, durch ihr Tun ein Beispiel setzen, gegen den Strom schwimmen. Selbst wenn dies persönliche Nachteile oder gar Gefahr für das eigene Leben mit sich bringt. Helden, also.
Wie Lorela Zanardo, Protagonistin von Bas Mesters Geschichte. Die streitbare Italienerin macht Front gegen die Reduzierung der Frau zum Sexsymbol im italienischen Fernsehen. Zanardo hat eine Videoanklage auf YouTube gestellt. Der Titel: "Il corpo delle donne" (Der Körper der Frauen). Drei Millionen Mal wurde ihre TV-Bilder-Collage aufgerufen. Wer sie anklickt, sieht viel entblößtes Bein, Brüste, lockende Lippen, Frauen als Tischbein oder am Fleischerhaken mit nackten Schenkeln baumelnd neben Schinken. Für Bas Mesters repräsentiert die Marketingmanagerin Zanardo die "vielen Menschen, die sich für Veränderungen einsetzen im Italien Berlusconis".
"Mich beschäftigt seit längerem", erzählt er am Telefon auf die Frage nach den Gründen für One11, "dass durch die Berichterstattung über Italien ein stereotypes Bild entsteht. Italien, das sind Berlusconi und die Mafia." Außerdem hat ihn die "verkrampfte Atmosphäre in den Niederlanden nach den letzten Wahlen und der Regierungsbildung" beunruhigt (mit der rechtspopulistischen PVV von Geert Wilders als Mehrheitsbeschafferin). Mit One11 will er seinen Landsleuten einen Spiegel vorhalten und motivieren.
Bei der Suche nach Mitstreitern hat Bas Mesters "eine große Überraschung erlebt". JournalistInnen mit Standorten rund um den Globus und in den Niederlanden, die für niederländische Printmedien, Radio- oder Fernsehsender arbeiten, unter ihnen sehr prominente AutorInnen, waren sofort bereit, kostenlos eine Geschichte zu produzieren. Auch fanden sich mühelos sechs Endredakteure und Webspezialisten, die gratis mitwirken.
Ihre Helden haben die Journalisten oft schon einmal in einem Beitrag zitiert, für eine eigene Geschichte aber gab es keinen Platz oder Anlass. 70 Journalisten beteiligen sich bisher. Die Webseite hat viele Besucher. Zum Erfolg bei den Lesern äußert sich der Initiator zurückhaltend. "Vielleicht ist dies ein Hype" und bedeute noch nicht, dass die gute Nachricht beim Leser gefragt sei. Die gute Nachricht ist in der Regel ja, außer bei Sport und Kultur, keine Nachricht. Das Unnormale dominiert die Berichterstattung: Kriege, Krisen, Katastrophen, Elend, schlechte Gesundheitsvorsorge, schlechter Unterricht et cetera.
Bas Mesters will mit One11 keine naiven guten Nachrichten verbreiten. Kritischer professioneller Journalismus ist gefragt. Und er will den fünf Ws - also Was, Wie, Wo, Warum und Wann - ein sechstes hinzufügen: Was nun? Im Sinne von: Was kann man tun, um einen Zustand zu verbessern?
Der Chinese Chen Si, zum Beispiel, rettet Selbstmörder, weil er seit 2003 an allen Wochenenden auf einer Brücke in Nanjing Wache hält. Pro Jahr kommen bis 200 Menschen auf diese Brücke, um sich das Leben zu nehmen. Für den Autor Remko Tanis ist Chen Si einer, der den Mut hat, "die Hände auszustrecken nach anderen, die zu ertrinken drohen in einer sich schnell verändernden Gesellschaft", ist auf One11.nl zu lesen.
Vielleicht beflügeln die inspirierenden Geschichten Leser über das eigene Vermögen oder die Lage im Land nachzudenken. One11 jedenfalls wird ab Ende Januar auch international verschenkt. "21 Geschichten sind bereits in die englische Sprache übersetzt", sagt Bas Mesters. Und: "Autoren sind willkommen."
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