Neue WM-Regeln kritisiert: Schachbeschädigung
Der chaotisch geführte Schach-Weltverband ändert mitten in der laufenden Qualifikation sein WM-Reglement und verärgert seine Profis. Die fühlen sich übergangen.
BERLIN taz "Ein Marathonläufer erfährt nach 20 Kilometern, dass er statt 42 nun 80 Kilometer laufen soll - so unfair ist die Änderung!" Mit dem Vergleich bringt der Armenier Lewon Aronjan den Frust seiner Profi-Kollegen auf den Punkt. Der Schach-Weltverband Fide sorgt rechtzeitig vor Weihnachten für eine schöne Bescherung und verändert einmal mehr selbstherrlich den Modus mitten in der WM-Qualifikation. Der Gewinner des Weltcups und der Gesamtsieger des Grand-Prix-Wettbewerbs sollten in einem Zweikampf den Herausforderer von Weltmeister Viswanathan Anand (Indien) ermitteln. Plötzlich sind die beiden aber nur noch zwei Teilnehmer eines achtköpfigen Kandidatenturniers.
"Man könnte ja mal mit den Spielern reden", ätzte die Vereinigung der Schach-Profis (ACP) und ermittelte in einer Umfrage, dass die ersten 32 der Weltrangliste gegen eine abrupte Änderung mitten im laufenden WM-Zyklus sind. Die Fide um ihren kalmückischen Präsidenten Kirsan Iljumschinow fabriziert aber gerne derlei Selbstmatts. Das dritte der sechs Grand-Prix-Turniere wurde so enorm geschwächt. Magnus Carlsen, der als Weltmeister in spe gilt, erklärte seinen Rückzug. Der Brite Michael Adams schloss sich dem 18-jährigen Norweger an. Carlsen erzürnte auch die kurzfristige Verlegung des Wettbewerbs von Doha nach Elista, weil er die Flugtickets bereits erworben hatte. In Katar fanden sich nicht genügend Sponsoren für den Grand Prix. In der Hauptstadt Kalmückiens geht dagegen notfalls jedes Turnier über die Bühne - schließlich residiert dort Iljumschinow auch als Präsident der autonomen russischen Republik. Eigens für solche Fälle ließ der Fide-Boss in der Steppe eine "Schachstadt" mit entsprechender Architektur bauen.
"Die WM-Regularien mitten im Zyklus dramatisch zu ändern, ist inakzeptabel", formulierte Vater Henrik Carlsen und schob süffisant nach: "Magnus konzentriert sich nun auf einige gut organisierte, interessante Turniere." In Abwesenheit des Lieblings der Schachfans führt der Russe Alexander Grischuk nach acht der 13 Runden mit 5,5 Punkten. Den zweitplatzierten Wugar Gaschimow (5) aus Aserbaidschan kennen nur Insider - mit entsprechend weniger Aufmerksamkeit verläuft der Grand Prix in Elista. Die Veranstaltung stand weit im Schatten des ersten Topturniers in China, wo sich die Elite lieber verdingte: In der alten Hauptstadt Nanking sicherte sich der Bulgare Wesselin Topalow mit 7:3 Punkten vorzeitig die 80.000 Euro Preisgeld. Deklassiert von dem Weltranglistenersten folgten Aronjan (5,5:4,5), der einheimische Bu Xiangzhi (5:5), der russische Meister Peter Swidler (4,5:5,5), Sergej Mowsesjan (Slowakei) und Wassili Iwantschuk (beide 4:6).
Der Ukrainer hat derzeit alles andere als eine Glückssträhne: Dass ihm in der siebten Runde ein Stuhlbein während des angestrengten Nachdenkens brach, nahm Iwantschuk mit Humor. Vor der nächsten Partie prüfte er ausgiebig das Gestühl auf seine Standfestigkeit. Immerhin kann der Weltranglistendritte als einziger über das Chaos innerhalb der Fide lachen. Bei der Schach-Olympiade in Dresden war der nach Niederlagen geistesabwesende Iwantschuk vor einer der seltenen Dopingkontrollen davongestiefelt. Lauthals kündigten daraufhin Fide-Funktionäre Ende November eine zweijährige Sperre an. Lange Bestand hat auch solcherlei nicht beim Schach-Weltverband. Inzwischen geht eine Fide-Fachkommission von einer "Verwarnung" für den Kauz Iwantschuk aus.
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