Neue Strategie im Iran: Ohrfeige für Ahmadinedschad
Der Präsident propagiert einen nationalen Islam und präsentiert sich als Modernisierer. Damit verprellt Ahmadinedschad die einflussreiche Geistlichkeit.
BERLIN taz | Irans Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad scheint die alte Kultur Irans neu entdeckt zu haben. Sein Patriotismus geht so weit, dass seine Regierung angeordnet hat, in den Kochsendungen des staatlichen Fernsehens keine ausländischen Rezepte mehr vorzustellen. Damit soll die traditionsreiche iranische Küche mehr zum Zug kommen und gepflegt werden.
Seit seiner umstrittenen Wiederwahl im Juni 2009 vernimmt man aus dem Munde des Präsidenten Erstaunliches. Die Islamische Republik müsse einen Islam vertreten, der von der iranischen Kultur geprägt sei, sagte er vor einigen Wochen. Denn die Iraner seien kulturell jenen weit überlegen gewesen, die den Islam nach Iran gebracht hätten. Ein anderes Mal erhob er Kyros den Großen, der als Gründer des Perserreichs von 559 bis 529 v. Chr. regierte, in den Rang eines Propheten.
Solche nationalen Bekenntnisse zur alten iranischen Kultur galten in der Islamischen Republik bisher als Ketzerei. Revolutionsführer Ajatollah Chomeini hatte das Wort Nationalismus aus dem politischen Vokabular verbannt. Der Islam sei eine Weltreligion und die islamische Gemeinde erkenne nationale Grenzen nicht an, sagte er. "Das Wort Nationalismus hat in unserer Sprache nichts zu suchen."
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Der Grund für die neue Strategie liegt wohl einerseits darin, dass Ahmadinedschad und die ihn unterstützenden Militärs offenbar einen islamischen Staat ohne den alteingesessenen Klerus anstreben. Der Staat müsse sich auf den verborgenen Imam Mahdi, den schiitischen Messias, konzentrieren, und die Regierung habe die Aufgabe, die Rückkehr des Gerechten vorzubereiten.
Tatsächlich sind seit Ahmadinedschads Machtübernahme und der Militarisierung der Islamischen Republik eine Reihe von einflussreichen Geistlichen kaltgestellt und Schlüsselpositionen in der Regierung mit zivilen Politikern oder ehemaligen Militärs umbesetzt worden.
Dies hat unter der Geistlichkeit viel Unmut erzeugt. Viele Großajatollahs in der heiligen Stadt Ghom weigerten sich, den Präsidenten zu empfangen. Der Turbanträger und Justizchef Sadegh Laridschani erklärte: "Die Propagierung eines iranischen Islam ist ein Irrweg und mit den Grundsätzen des Islam nicht vereinbar." Eine Lokalisierung des Islam auf ein Land widerspreche der im Koran vertretenen Überzeugung.
Der zweite Grund für den Sinneswandel des Präsidenten liegt in dem Versuch, Teile der laizistisch orientierten Bevölkerung, die ohnehin die Herrschaft der Geistlichkeit ablehnt, zu gewinnen. Ahmadinedschad will als moderner Staatsmann erscheinen, als Verfechter der nationalen Interessen, als Präsident aller Iraner.
Die Offerten, die er insbesondere an die Jugend richtete, sollen den Eindruck erwecken, dass er die von der Geistlichkeit gesetzten moralischen Grenzen ablehnt, dass er emanzipiert und modern ist. Es gebe keinen Grund, Frauen den Zutritt zu Fußballstadien zu verbieten, sagte er einmal und stieß damit auf heftigen Protest der Kleriker. Ebenso, als er forderte, junge Frauen und Männer auf den Straßen nicht zu belästigen und die Kontrollen der Sittenpolizei einzustellen.
Der Präsident, dessen Zensurbehörde hunderte Buchmanuskripte nicht zur Veröffentlichung freigibt, ging einmal sogar so weit, während der Unruhen nach seiner manipulierten Wiederwahl in einer Sitzung des Obersten Nationalen Sicherheitsrats mehr Pressefreiheit zu verlangen. Dafür kassierte er allerdings eine Ohrfeige. "Du hast uns die Sache eingebrockt, und jetzt verlangst du auch noch Pressefreiheit", sagte der Kommandeur der Revolutionsgarde, Mohammad Ali Dschafari, und schlug dem Präsidenten ins Gesicht.
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