Neue Sprachmarotte: finger weg von versalien!
Nicht nur Populist*innen, auch Normalos scheinen zunehmend Gefallen daran zu finden, jeden einzelnen Buchstaben großzuschreiben. Bitte aufhören.
E igentlich haben weder meine Freund*innen noch meine Kolleg*innen in der taz mit Donald Trump viel gemein. Doch es gibt eine Marotte, die einige wenige von ihnen mit ihm teilen: SIE LIEBEN ES, IN GROSSBUCHSTABEN ZU KOMMUNIZIEREN! Am besten noch mit einem oder mehreren Ausrufezeichen hinter den Sätzen, die die Dringlichkeit des Anliegens ein weiteres Mal unterstreichen. Es kommen dann Mails wie „BITTE UNBEDINGT LESEN“ oder „HAT SICH ERLEDIGT!!“, manche Freunde immerhin scheinen die Großschreibung zu ironisieren, wenn sie etwa einen Kinobesuch empfehlen: „SEEEHR GEILER FILM“.
Die vermehrte Schreibweise in Versalien ist wahrlich kein neues Phänomen. Schon 2017 begründete der Rat für deutsche Rechtschreibung die Einführung des „ß“ als Großbuchstaben mit einem generellen Trend zur Schreibweise in Großbuchstaben in der Werbung und auch in Büchern. Ein Ärgernis bleibt sie trotzdem. DU MUSST DOCH NICHT GLEICH LAUT WERDEN, will ich zugegebenermaßen oft direkt zurückgeben, wenn mich jemand in Versalien anschrei(b)t.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Doch man kann nicht mal richtig böse sein, denn natürlich leben wir in Zeiten der Großbuchstaben. Egal auf welchen Kanälen, es wird immer schwerer mit etwas (über einen längeren Zeitraum als fünf Minuten) durchzudringen, die völlig veränderte Aufmerksamkeitsökonomie ist ein Grund für die typografische Schreierei. Mit X und Tiktok hat sich ohnehin der „Diskurs“ des Brüllens durchgesetzt.
Maximilian Krah (AfD) etwa ist mit Großbuchstaben auf Tiktok vorn dabei, auch Markus Söder (CSU) nutzt gelegentlich Versalien, um mal etwas klarzustellen. Populistische Zeiten, populistische Zeichen.
linke schreiben lieber klein
in linken kreisen dagegen war es ja lange en vogue, alles kleinzuschreiben. nicht umsonst halten sie eine zeitung in der hand, die „wochentaz“ und nicht „Wochen-Taz“ heißt, die tägliche ausgabe verzichtet seit oktober 1982 auf das große „T“ im Titelkopf und heißt seither „die tageszeitung“. im jahr 2004 gab es eine ausgabe ausschließlich mit kleinschreibung als reaktion auf die ankündigung einiger verlage, zur alten rechtschreibung zurückzukehren.
schon das progressive bauhaus hat sich übrigens für die kleinschreibung eingesetzt, aus zeitökonomischen gründen: „wir schreiben alles klein, denn wir sparen damit zeit“. gut, dieses argument ist nicht mehr so stark, dürfte einer wie donald trump doch ohnehin die umschalttaste wie ein ständig durchgetretenes gaspedal nutzen. die bezeichnung capslock (feststelltaste) hat es sogar ins urban dictionary geschafft; sie bezeichnet jemanden, der unabdinglich schreit.
Es gibt jedoch auch historisch-ästhetische und logische Gründe, die gegen eine durchgängige Verwendung von Majuskeln, so der Fachausdruck für Großbuchstaben, sprechen. Sie dienten und dienen der Hervorhebung, verfehlen somit ihren Zweck, wenn sie durchgängig auftauchen.
bitte um mäßigung
Im Deutschen hatte die Großschreibung im Mittelalter Konjunktur; später, im 17. und 18. Jahrhundert, diente die sogenannte Doppelmajuskel dazu, religiöse Autoritäten hervorzuheben („GOtt“, „HErr“). Antiaufklärerisch! In der Neuzeit befürworteten dann viele Sprachästhet*innen auch deshalb die Kleinschreibung, weil sie leichter lesbar schien.
Natürlich kann man die Sprachpolitik nicht auf die kurze Formel „Großschreibung = rechts und autoritär“ und „Kleinschreibung = links und aufklärerisch“ bringen, beileibe nicht. Eine These aber wäre, dass der reinen Großschreibung das So-ist-es-und-nicht-anders, das Auf-den-Tisch-Hauen, das Unverrückbare eingeschrieben ist, der Kleinschreibung hingegen das Es-könnte-auch-anders-sein und der Zweifel.
Zugegeben, das führt nur zu einer banalen, aber dafür um so wichtigeren Einsicht: Wir sollten dringend gemäßigter, reflektierter und weniger absolut miteinander diskutieren.
Einem Donald Trump braucht man damit natürlich nicht zu kommen, aber bei manch anderen, die die UNZWEIFELHAFTE WAHRHEIT in Großbuchstaben in die Welt posaunen, hat man vielleicht noch die Chance, Gehör zu finden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren