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Neue Signale auf FDP-ParteitagRückbesinnung aufs Sozialliberale

Der Parteitag zeigt: Westerwelles schriller Marktradikalismus verliert an Rückhalt. Ganz ohne Sozialpolitik und Bürgerrechte geht es bei der FDP nicht mehr.

Sitzt Westerwelle im Nacken: Hermann Otto Solms. Bild: dpa

MÜNCHEN taz Nur auf den ersten Blick war alles so, wie man sich gemeinhin einen Parteitag der FDP vorstellen mag. Laut, reichlich schrill und demonstrativ gut gelaunt. Der Vorsitzende Guido Westerwelle betrat die Parteitagsarena zum Song "Amazing". Das Lied stammt von Seal und liefert die musikalische Untermalung für die Casting-Sendung seiner Gattin Heidi Klum, "Germanys next Topmodel". Wer das für reine Ironie hält, kennt die FDP schlecht.

Aber wer genauer hinschaute, der konnte auf dem Münchner Parteitag eine neue liberale Partei besichtigen. Eine, die verstanden hat, dass es im neuen Fünfparteiensystem nicht mehr genügt, ausschließlich "Mehr Netto für alle" zu fordern. Die FDP hat ihre soziale Seite wieder entdeckt und ihre große, aber in den letzten Jahren in Vergessenheit geratene bürgerrechtliche Tradition.

Die mehr als 600 Delegierten und ihre Führung halten es dabei mit einem einfachen Prinzip, das auch im Privatleben gut funktioniert: Man gibt unangenehmen Dingen einfach Namen, die gut klingen. Deshalb vermieden die Delegierten alles, was den Eindruck erwecken konnte, sie wollten zur fünften sozialdemokratischen Partei im Bundestag werden. Das nämlich, davon waren alle überzeugt, würde dem schaden, was früher "Identität" hieß und heute "Markenkern".

Daher stimmte die Partei dem Lieblingsprojekt des Finanzexperten Hermann Otto Solms zu, das sogenannte Bürgergeld, ab. Das Wort klingt nach Selbstverantwortung der Steuerzahler, bedeutet aber etwas anderes: So viele staatliche Zahlungen wie möglich sollen zusammengefasst werden, um sie geballt auszuzahlen. Die "Bedürftigen" sollen künftig Geld bekommen, nicht allein die "Findigen".

Weil das in Ohren vieler Freidemokraten nach sozialdemokratischer Versorgungsmentalität klingt, verknüpfen sie es mit dem klassischsten FDP-Thema: Steuersenkungen. Solms und der mächtige Landesverband Nordrhein-Westfalen einigten sich nach einer langen Debatte auf einen Kompromiss: Ein Stufentarif von 10, 25 und 35 Prozent soll die Bürger um mehr als 30 Milliarden Euro entlasten. Die Reichensteuer soll gestrichen werden, außerdem soll das Kindergeld auf 200 Euro erhöht und der Eingangssteuersatz gesenkt werden. Um das zu verwirklichen, will man bei öffentlichen Aufträgen, Subventionen und sonstigen Staatsausgaben sparen.

Dass ausgerechnet Nordrhein-Westfalen gegen die Parteiführung opponierte, ist kein Zufall. Der Vorsitzende des größten Landesverbands ist Andreas Pinkwart. Der 47-jährige ist Wissenschaftsminister in Düsseldorf und einer der wenigen FDP-Politiker, die es an Machtfülle mit Westerwelle zumindest halbwegs aufnehmen können. Pinkwarts kalkulierte Rebellion gegen das recht zurückhaltende Steuersenkungskonzept der Parteiführung zeigt daher noch etwas anderes: In der FDP gärt es. Sie will mehr sein als das Vehikel ihres omnipräsenten Vorsitzenden.

Viele Verantwortliche in der Partei haben gemerkt, dass es nicht mehr genügt, sich als Propagandist der Steuersenkungen zu präsentieren. Im neuen Fünfparteiensystem müssen die Liberalen, wollen sie nach elf Jahren endlich wieder mitregieren, vor allem mit einer Partei kooperieren können: mit den Grünen. Deshalb trauen sich alte und neue Hoffnungsträger wieder mit mehr Selbstvertrauen in die Öffentlichkeit, vorbei am skeptischen Westerwelle.

Am lautesten ruft einer, den viele für die perfekte Symbiose aus marktwirtschaftlichen und sozialen Tugenden der Partei halten: Philipp Rösler. Der niedersächsische Partei- und Fraktionsvorsitzende wagte vor dem Münchner Parteitag, das Wort "Solidarität" auszusprechen. Natürlich gehöre es zum Wertekanon der Liberalen, dass "der Starke dem Schwachen hilft", sagt Rösler. Oder: "Wenn man sich als Partei der Aufklärung versteht, muss man über Bildung und Ausbildung den Menschen helfen." Wenn es nach dem Nachwuchspolitiker Rösler gegangen wäre, hätte der Parteitag nur über Sozialpolitik debattiert.

Doch so weit ist die FDP noch nicht. Bis auf weiteres müssen Leute wie Rösler ihre Parteifreunde mit rhetorischen Verrenkungen davon überzeugen, dass sie wirklich nicht die Sozialdemokratisierung der FDP anstreben. Beim Sozialexperten Hermann Otto Solms klingt das so: "Wir dürfen den Begriff der Gerechtigkeit nicht den Linken überlassen."

Der Wind in Deutschland hat sich bekanntlich seit den Wahlerfolgen der Linken gedreht. Die Liberalen haben es geschickt vermocht, sich in diesen Wind zu stellen, ohne ihren "Markenkern" zu beschädigen. Die Rebellion gegen Westerwelle ist zwar ausgeblieben, dazu ist seine Position nach vielen erfolgreich verlaufenen Landtagswahlen viel zu gefestigt. Aber der innerparteiliche Wandel hat begonnen. Westerwelle muss auch andere Führungsfiguren neben sich dulden, will er nicht mit einem schlechten Abschneiden bei der Bundestagswahl die ersehnte Regierungsbeteiligung vermasseln. Daher hoffen nun auch manche fast Vergessene auf einen zweiten Frühling.

Vorneweg ist Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Die einstige Justizministerin ackert seit Jahren still, aber beharrlich daran, ihrer Partei einen fast vergessenen Charakterzug zu bewahren. Auch in München klagte sie Onlinedurchsuchungen an und kritisierte die Vorratsdatenspeicherung bei Telefonaten und E-Mails. Weil sie sich darin der Partei verbunden weiß, wagte sie in einem anderen Punkt den offenen Konflikt mit Westerwelle. In einem passend zum Parteitag veröffentlichten Interview sagte die stellvertretende Fraktionschefin: "Wir müssen die Sozialkompetenz der FDP stärken. Wir werden bisher zu sehr als reine Wirtschaftspartei wahrgenommen." Ganz Ähnliches hatte vor wenigen Wochen auch die ehemalige Generalsekretärin Cornelia Pieper geäußert.

Doch der Machttaktiker Westerwelle ist nicht so stur, wie manche glauben. Er weiß: Seine Partei braucht eine breitere Angebotspalette, und niemand kauft dem einstigen Fürsprecher der 18-Prozent-Strategie den heiligen Zorn über Onlineüberwachungen ab. Da kann er in seiner Parteitagsrede den Häschern des Überwachungsstaats in noch so schrillem Tonfall zurufen: "Verdammt noch mal - ob ich in der Kirche oder in der Gewerkschaft bin, das geht euch nichts an." Denn Westerwelles Tonfall ist immer schrill.

Der Parteitag hat die Liberalisierung der Liberalen offenbart. Viele hatten es kaum noch zu hoffen gewagt. Mit Blick auf die Bundestagswahl könnte es gerade noch rechtzeitig gewesen sein. Die FDP ist wählbar geworden für bürgerliche Sympathisanten der Grünen, die die CDU scheuen. Damit scheint Westerwelles Macht gesichert. Vielleicht hatten sich die Liberalen ja doch etwas gedacht, als sie zu Westerwelles Einmarsch den Seal-Song spielten. Darin heißt es: "Everyone says Youre amazing - now that Youre clean."

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6 Kommentare

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  • LP
    Ludwig Paul Häußner

    Wirklich liberales Bürgergeld?

     

    ----------------------------------------

     

    Beibehaltung der Bedarfsgemeinschaften, Bürgergeld auf Hartz IV-Niveau, Kürzungen unter das Existenzminimum möglich - so sieht das so genannte liberale Bürgergeld aus.

     

    Dazu Erich Fromm (1966):

     

    "Das garantierte Einkommen würde nicht nur aus dem Schlagwort "Freiheit" eine Realität machen, es würde auch ein tief in der religiösen und humanistischen Tradition des Westens verwurzelten Prinzip bestätigen, dass der Mensch unter allen Umständen das Recht hat zu leben.

    Dieses Recht auf Leben, Nahrung und Unterkunft, auf medizinische Versorgung, Bildung usw. ist ein dem Menschen angeborenes Recht, das unter keinen Umständen eingeschränkt werden darf, nicht einmal im Hinblick darauf, ob der Betreffende für die Gesellschaft von Nutzen ist."

     

    Der liberale deutsch-britische Soziologe, Ralf Dahrendorf schrieb in der Faz v. 24. 12. 2001 Folgendes:

     

    "Politiker bestehen mit fast verdächtiger Emphase auf der Absicht, alle in Arbeit zu bringen. ... Dabei steht oft im Vordergrund das nötige Gleichgewicht von Rechten und Pflichten: Das ist eine scheinbar plausible, dennoch gefährliche, vor allem illiberale These. Es gibt Rechte, und es gibt Pflichten, oder Verantwortlichkeiten. Der Bürger, ... hat beide. Beide aber stehen für sich. Die Meinungsfreiheit darf nicht abhängig gemacht werden vom Steuerzahler und das Wahlrecht nicht von der Bereitschaft zur Hilfe für Nachbarn.

    Darum ist eine Politik so zerstörerisch für die Freiheit, die darauf besteht, dass Arbeitslose keine Unterstützung bekommen, wenn sie nicht aktiv Arbeit suchen, und mehr noch, dass auch Behinderte oder junge Mütter keine staatliche Hilfe beanspruchen dürfen, wenn sie nicht arbeiten. New Labour und die Verfechter der "Neuen Mitte" sind geradezu besessen von der Notwendigkeit der Arbeit. Sie ist die erste Bürgerpflicht. Hört man genau zu, dann entdeckt man, dass Arbeit im Sinne von Berufstätigkeit hier nicht mehr Quelle des Einkommens, der sozialen Identität und des wirtschaftlichen Wachstums ist, sondern Instrument der sozialen Kontrolle.

    ... Arbeitszwang ist wie jeder Zwang ein Schritt in die Unfreiheit. Wir wollen den Zynismus des Mottos nicht vergessen, das über den Toren von nationalsozialistischen Konzentrations- und Todeslagern stand: .

     

    So weit Fromm und Dahrendorf. So weit ist die Fdp - trotz "liberalen" Bürgergeldbeschlusses in München noch lange nicht.

     

    Ludwig Paul Häußner, Karlsruhe

  • R
    rheinelbe

    Bitte nicht vergessen: Auftakt für den fortgesetzten Abbau des Sozialstaates waren die Lambsdorff-Papiere von 1982. Die plötzliche "soziale Wende" mag man nicht nur deshalb der FDP nicht glauben.

  • LP
    Ludwig Paul Häußner

    Wirklich liberales Bürgergeld?

     

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    Beibehaltung der Bedarfsgemeinschaften, Bürgergeld auf Hartz IV-Niveau, Kürzungen unter das Existenzminimum möglich - so sieht das so genannte liberale Bürgergeld aus.

     

    Dazu Erich Fromm (1966):

     

    "Das garantierte Einkommen würde nicht nur aus dem Schlagwort "Freiheit" eine Realität machen, es würde auch ein tief in der religiösen und humanistischen Tradition des Westens verwurzelten Prinzip bestätigen, dass der Mensch unter allen Umständen das Recht hat zu leben.

    Dieses Recht auf Leben, Nahrung und Unterkunft, auf medizinische Versorgung, Bildung usw. ist ein dem Menschen angeborenes Recht, das unter keinen Umständen eingeschränkt werden darf, nicht einmal im Hinblick darauf, ob der Betreffende für die Gesellschaft von Nutzen ist."

     

    Der liberale deutsch-britische Soziologe, Ralf Dahrendorf schrieb in der Faz v. 24. 12. 2001 Folgendes:

     

    "Politiker bestehen mit fast verdächtiger Emphase auf der Absicht, alle in Arbeit zu bringen. ... Dabei steht oft im Vordergrund das nötige Gleichgewicht von Rechten und Pflichten: Das ist eine scheinbar plausible, dennoch gefährliche, vor allem illiberale These. Es gibt Rechte, und es gibt Pflichten, oder Verantwortlichkeiten. Der Bürger, ... hat beide. Beide aber stehen für sich. Die Meinungsfreiheit darf nicht abhängig gemacht werden vom Steuerzahler und das Wahlrecht nicht von der Bereitschaft zur Hilfe für Nachbarn.

    Darum ist eine Politik so zerstörerisch für die Freiheit, die darauf besteht, dass Arbeitslose keine Unterstützung bekommen, wenn sie nicht aktiv Arbeit suchen, und mehr noch, dass auch Behinderte oder junge Mütter keine staatliche Hilfe beanspruchen dürfen, wenn sie nicht arbeiten. New Labour und die Verfechter der "Neuen Mitte" sind geradezu besessen von der Notwendigkeit der Arbeit. Sie ist die erste Bürgerpflicht. Hört man genau zu, dann entdeckt man, dass Arbeit im Sinne von Berufstätigkeit hier nicht mehr Quelle des Einkommens, der sozialen Identität und des wirtschaftlichen Wachstums ist, sondern Instrument der sozialen Kontrolle.

    ... Arbeitszwang ist wie jeder Zwang ein Schritt in die Unfreiheit. Wir wollen den Zynismus des Mottos nicht vergessen, das über den Toren von nationalsozialistischen Konzentrations- und Todeslagern stand: .

     

    So weit Fromm und Dahrendorf. So weit ist die Fdp - trotz "liberalen" Bürgergeldbeschlusses in München noch lange nicht.

     

    Ludwig Paul Häußner, Karlsruhe

  • R
    rheinelbe

    Bitte nicht vergessen: Auftakt für den fortgesetzten Abbau des Sozialstaates waren die Lambsdorff-Papiere von 1982. Die plötzliche "soziale Wende" mag man nicht nur deshalb der FDP nicht glauben.

  • LP
    Ludwig Paul Häußner

    Wirklich liberales Bürgergeld?

     

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    Beibehaltung der Bedarfsgemeinschaften, Bürgergeld auf Hartz IV-Niveau, Kürzungen unter das Existenzminimum möglich - so sieht das so genannte liberale Bürgergeld aus.

     

    Dazu Erich Fromm (1966):

     

    "Das garantierte Einkommen würde nicht nur aus dem Schlagwort "Freiheit" eine Realität machen, es würde auch ein tief in der religiösen und humanistischen Tradition des Westens verwurzelten Prinzip bestätigen, dass der Mensch unter allen Umständen das Recht hat zu leben.

    Dieses Recht auf Leben, Nahrung und Unterkunft, auf medizinische Versorgung, Bildung usw. ist ein dem Menschen angeborenes Recht, das unter keinen Umständen eingeschränkt werden darf, nicht einmal im Hinblick darauf, ob der Betreffende für die Gesellschaft von Nutzen ist."

     

    Der liberale deutsch-britische Soziologe, Ralf Dahrendorf schrieb in der Faz v. 24. 12. 2001 Folgendes:

     

    "Politiker bestehen mit fast verdächtiger Emphase auf der Absicht, alle in Arbeit zu bringen. ... Dabei steht oft im Vordergrund das nötige Gleichgewicht von Rechten und Pflichten: Das ist eine scheinbar plausible, dennoch gefährliche, vor allem illiberale These. Es gibt Rechte, und es gibt Pflichten, oder Verantwortlichkeiten. Der Bürger, ... hat beide. Beide aber stehen für sich. Die Meinungsfreiheit darf nicht abhängig gemacht werden vom Steuerzahler und das Wahlrecht nicht von der Bereitschaft zur Hilfe für Nachbarn.

    Darum ist eine Politik so zerstörerisch für die Freiheit, die darauf besteht, dass Arbeitslose keine Unterstützung bekommen, wenn sie nicht aktiv Arbeit suchen, und mehr noch, dass auch Behinderte oder junge Mütter keine staatliche Hilfe beanspruchen dürfen, wenn sie nicht arbeiten. New Labour und die Verfechter der "Neuen Mitte" sind geradezu besessen von der Notwendigkeit der Arbeit. Sie ist die erste Bürgerpflicht. Hört man genau zu, dann entdeckt man, dass Arbeit im Sinne von Berufstätigkeit hier nicht mehr Quelle des Einkommens, der sozialen Identität und des wirtschaftlichen Wachstums ist, sondern Instrument der sozialen Kontrolle.

    ... Arbeitszwang ist wie jeder Zwang ein Schritt in die Unfreiheit. Wir wollen den Zynismus des Mottos nicht vergessen, das über den Toren von nationalsozialistischen Konzentrations- und Todeslagern stand: .

     

    So weit Fromm und Dahrendorf. So weit ist die Fdp - trotz "liberalen" Bürgergeldbeschlusses in München noch lange nicht.

     

    Ludwig Paul Häußner, Karlsruhe

  • R
    rheinelbe

    Bitte nicht vergessen: Auftakt für den fortgesetzten Abbau des Sozialstaates waren die Lambsdorff-Papiere von 1982. Die plötzliche "soziale Wende" mag man nicht nur deshalb der FDP nicht glauben.