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Neue Serie dekonstruiert GeschlechterrollenSchick der Sechziger

Eine neue Fernsehserie in den USA dekonstruiert weibliche und männliche Rollenmodelle und erregt damit großes Aufsehen. Schauplatz ist die Werbeindustrie.

Gesehen in "Mad Men" Season 3. Bild: screenshot Mad Men

August 1963, eine einsame Landstraße im New Yorker Vorort Ossining. Don Draper fährt in seinem Cadillac Coupe DeVille, neben ihm seine Geliebte Suzanne Farrell. Aus dem Autoradio spricht Martin Luther King: "I have a dream." Draper hört kurz hin, schaltet das Radio aber desinteressiert ab. Wir sind mitten in der dritten Staffel der US-amerikanischen TV-Serie "Mad Men".

Die Mad Men sind ein Haufen exzessiv rauchender, trinkender und sexuell umtriebiger Männer aus der Kreativabteilung der Werbeagentur Sterling Cooper auf der Madison Avenue in Manhattan. Ihre Arbeit besteht darin, Ideen zu entwickeln: Wie kann eine Lucky Strike beworben werden, nachdem Readers Digest veröffentlicht hat, dass Zigaretten krebserregend sind, und wie lässt sich eine vibrierende Unterhose vermarkten, die beim Abnehmen helfen soll.

"Mad Men" spielt in der ersten Hälfte der 60er-Jahre und fokussiert damit jenen historischen Moment, der gerade noch so vor jenen USA liegen, die wir heute kennen. Kubakrise und Ermordung Kennedys schweißen die Gesellschaft zusammen, bevor sie durch Aufbegehren der Jugend, Emanzipation der Frauen, Vietnamkrieg und Woodstock erschüttert wird. Die Bürgerrechtsbewegung ist auf ihrem Höhepunkt, und in der bürgerlichen Fassade der weißen Oberschichtprotagonisten der Serie zeigen sich erste Risse.

Doch für die Mad Men sind dies zunächst nur Randphänomene. Sicher, einige von ihnen kiffen, haben Kontakt zur Beatnikszene im East Village, und der "schwarze Markt" ist einer, den sie sich mal vornehmen wollen. Doch ihre Sekretärinnen behandeln sie immer noch wie Freiwild, und ihre Ehefrauen verlassen bloß zum Shoppen und zum Nachbarschwatz das Haus. Der Zweifel an der Richtigkeit der eigenen Überzeugungen wächst jedoch von Folge zu Folge.

"Der Konsument ist kein Schwachkopf. Sie ist deine Ehefrau. Beleidige ihre Intelligenz nicht", schrieb David Ogilvy 1962 in seinen "Cofessions of an advertising man". "Was wollen Frauen?", fragt Womanizer Don Draper, Hauptfigur in "Mad Men" und Kreativchef von Sterling Cooper. Diese Frage, ermahnt er seine Kollegen, sollten sie sich bei der Suche nach den richtigen Slogans immer stellen. Die Antwort "Wen interessiert das?", die Draper zu hören bekommt, bleibt aus, als Drapers Sekretärin Peggy Olson den entscheidenden Hinweis für eine Lippenstiftwerbung liefert: Keine Frau möchte eine von hundert Farben in einer Box sein. "Mark your man" wird der Slogan heißen.

Aber auch für Don Draper gibt es letztlich nur Heilige oder Huren. Sämtliche seiner Affären hat der gut aussehende, smarte und schweigsame Draper mit Frauen, die ihren Weg selbstbewusst allein gehen, während seine hübsche, blonde Ehefrau für ihn die Geborgenheit spendende Mutterfigur ist. Sex hat er mit anderen, Betty Draper muss sich mit der vibrierenden Waschmaschine zufriedengeben.

Was die Werbung mit der Liebe zu tun hat, erklärt Don Draper in einem seiner schönsten Sätze: "Typen wie ich haben die Liebe nur erfunden, um Nylonstrümpfe zu verkaufen." Der Nylonstrumpf ist ein klassischer Fetisch, dessen Kennzeichen das Changieren zwischen Wissen und Nichtwissen ist. Einerseits bedeckt der Strumpf das Bein, andererseits macht er es sichtbar, aber eben nicht ganz. Und genau in diesem Nicht-ganz-sichtbar-Machen steckt der fetischistische Charakter der Werbung: Sie rührt an die geheimen, unerfüllten Wünsche.

Don Draper ist Teil des American Dream, aus dem Nichts kommend, hat er es zum begehrten und reichen Mann in der Upperclass gebracht. Der Preis dafür war die Verleugnung seiner Herkunft. Mit seiner "Familie" wollte er nichts mehr zu tun haben, und dies, so glaubte er, konnte er nur mit einer falschen Identität erreichen. Zweck des Ganzen war es, glücklich zu werden. Genau deshalb ist er auch der richtige Mann am richtigen Platz. Denn Glück, so erklärt er einmal, ist die Grundlage der Werbung. Sie sei "wie ein Straßenschild, das dir zuruft: Du bist okay." Doch die Erinnerungen an seine Vergangenheit holen ihn immer wieder ein. Kein Familienglück, kein neues Auto, kein neuer Job und auch keine noch so leidenschaftliche Affäre kann ihn sein Geheimnis vergessen lassen.

"Mad Men" selbst ist inzwischen zur großen Werbeagentur für Filme, Bücher, Produkte und Kleidung geworden, die in der Serie auftauchen. Minuten nach dem Ende der Folge "Meditations in an Emergency Case", war das gleichnamige Buch des Autors Frank OHara nach Jahrzehnten der Vergessenheit ein Topseller bei Amazon. Stardesigner wie Donatella Versace und Peter Som lassen sich für ihre Laufstegkollektionen von der Serie inspirieren.

Nicht zuletzt liegt dies an Matthew Weiner, dem Schöpfer und Produzenten von "Mad Men". Denn Weiner selbst ist ein Fetischist, und zwar einer des historischen und ästhetischen Details. Küchenradios, Telefone, Autos, Interieurs, Drinks und Dinner, nichts, was in "Mad Men" auftaucht, ist zufällig. Mit präziser Akkuratesse sind die Protagonisten im Schick der frühen 60er-Jahre gekleidet und frisiert, die Sekretärinnen tragen enge Bleistiftröcke, Tüten-BHs und tiefen Ausschnitt, die Hausfrauen Petticoat, die Herren maßgeschneiderte Flanellanzüge. Rote Etuis, kleine Silberschälchen und bunte mechanische Döschen, aus denen sich karussellartig Zigaretten herausdrehen, sind immer wieder im Bild und senden kleine Botschaften des Fetischs Rauchen. Überhaupt raucht jeder in "Mad Men", selbst der Gynäkologe während der frauenärztlichen Untersuchung.

Hübsch und erniedrigt

Die Frauen der Mad Men sind einerseits schöne, gelangweilte, unglückliche und depressive Hausfrauen, die die geschiedene und allein lebende Helen Bishop wie eine Ausgestoßene betrachten. Und andererseits hübsche, junge, aufgeregte und erniedrigte Sekretärinnen, die auf einen Heiratsantrag von einem der Junggesellen bei Sterling Cooper hoffen und heimlich den 1960 als Taschenbuchausgabe in den USA erschienen Roman "Lady Chatterleys Liebhaber" lesen. Joan Holloway, die rothaarige, ultrakurvenreiche Sexbombe, ist Chefin aller Sekretärinnen der Firma. Sie ist die, die den Laden zusammenhält, indem sie ihre "Mädchen" kontrolliert: Die richtige Rocklänge gehört ebenso dazu wie Verschwiegenheit über Affären ihrer Vorgesetzten oder das Verbot, im Büro zu weinen.

Die dritte Staffel der "Mad Men", die vergangenen Sonntag zu Ende ging, spielt kurz vor Weihnachten 1963. Zwei Monate später, im Februar 1964, hatten die Beatles in der Ed-Sullivan-Show ihre ersten Liveauftritte in den USA. In der letzten Staffel, die für nächsten Sommer angekündigt ist, werden wir es also mit den Swinging Sixties zu tun haben, in deren Erbe wir noch heute stehen.

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6 Kommentare

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  • N
    Nico

    Ich finde die Serie absolut herausragend und für mich ist es die Beste seit "Six feet under". Ich finde gerade gut wie die Rollenbilder gezeigt und NICHT direkt kommentiert oder dekonstruiert werden, da sich beim Betrachten der Serie genau das Gefühl einstellt welches in der damaligen Zeit ge"herr"scht hat. Dies bezieht sich nicht nur auf das althergebrachte (und selbstverständlich kritisch zu betrachtende) Frauenbild sondern auch auf Themen wie Rassismus (gleich in der ersten Folge und dann immer wieder) und Homophobie (wird später wichtig). Die Strategie solche Themen immer weiter schwelen zu lassen anstatt sie zu einer Lösung zu bringen trägt - neben dem absolut authentischen Look der Serie - dazu bei sie "echt" wirken zu lassen.

    Ich bin schon sehr gespannt wie die Serie sich weiter entwickelt wenn die Sixties mal richtig anfangen zu swingen und was passiert wenn die Achtundsechziger am Start sind :o)

  • R
    reese

    mein freund ist begeistert von der serie...u ich kanns nicht verstehn! mich macht sie jedesmal melancholisch. man will wissen, wie es weitergeht, aber die meisten erzählstränge reißen wieder ab, oder schwielen irgendwo unter der oberfläche. zb die verkrampften hände von drapers frau, die sie mal untersuchen lassen wollte...

    und ja, es kotzt mich an, wie die männer damals mit frauen umgegangen sind, also heute halte ich nix von feministinnen, aber wenn sie tatsächlich in so einer zeit aufgewachsen sind, kann ich sie verstehen.

  • TH
    Tobias H.

    @josette und @Roland Faher,

     

    ja, man muss die serie sehen, um sich ein urteil zu bilden. "angeekelt" bin ich nicht, eher bemitleide ich sowohl männer als auch frauen in der serie, da sie ALLE so sehr in gesellschaftliche konventionen eingepresst sind, dass es unmöglich scheint, nicht daran zu ersticken. eine der besten serien der letzten jahre.

  • RF
    Roland Faher

    @ josette: Du kennst die Serie nicht ? Dann bilde dir doch erstmal eine Meinung.

     

    Ich glaube weniger, dass die Serie Rollenmodelle festigt. Gerade als Mann fühle ich mich häufig angeekelt vom Verhalten der Charaktere. "Mad Men" erzeugt eher das Gefühl, froh sein zu können, dass die Gesellschaft diese Zustände so einigermaßen überwunden hat und außerdem arbeitet die Serie ja gerade mit diesen Anachronismen, z.B. dem zügellosen Rauchen.

  • J
    josette

    wieso dekonstruiert?

    ich kenne die serie nicht, aber in meinen augen festigt die serie (noch immer) bestehende rollenmodelle von der frau als männerphantasie.

  • AH
    Andreas H.

    "Dekonstruktion" bedeutet in keinem Fall das Gegenteil von "Konstruktion", zumal man "gesellschaftliche Konstruktionen" nicht rückgängig machen kann; nur kritisieren und damit ein gegenteiliges Bewusstsein konstruiert.

     

    Lieben Gruß