Neue Seewege im tauenden Polarmeer: In 21 Tagen nach China
Im Sommer gab's gleich mehrere Premieren auf den neuen Routen nördlich an Russland vorbei. Derzeit schippert der erste norwegische Frachter auf der Nordostpassage.
STOCKHOLM taz | "Das Eis schmilzt und die Schiffe kommen", begeistert sich der Barents-Observer. Der norwegische Internetdienst mit Nachrichten aus der Barents-Region ist sich sicher: Als der Sommer, der den epochalen Durchbruch für die Arktisschifffahrt brachte, werde 2010 einmal in die Geschichtsbücher eingehen. Und tatsächlich gab es in den letzten Wochen gleich mehrere Premieren.
In einigen Tagen soll mit der "Baltica" erstmals ein 100.000-Tonnen-Tanker die Fahrt durch die Nordostpassage bewältigt haben – bislang verlief sie ohne größere Probleme und schneller als geplant. Und zur ersten Nonstop-Fahrt eines Handelsschiffes von Norwegen nach China auf der Nordostroute startete am Samstag vom nordnorwegischen Kirkenes aus die dänische "Nordic Barents".
Auch sie wird an der russischen Eisküste entlang schippern, anstatt westwärts durch den Suezkanal zu fahren: Dadurch halbiert sich der Transportweg für seine 41.000 Tonnen Erzladung, die Transportzeit will man um 12 auf 21 Tage abkürzen. Trotz der zusätzlichen Kosten für die Assistenz durch zwei russische Atomeisbrecher hofft die norwegische Grubengesellschaft "Sydvaranger" deshalb auch auf ein gutes Geschäft. Geht alles nach Plan, sollen im kommenden Jahr sechs bis acht Schiffsladungen mit Erz aus Bjørnevatn, Europas größtem Tagebau, auf dieser Route abgewickelt werden.
Ab 2050 bleibt das Polarmeer eisfrei
Für skandinavische Erzproduzenten, die ihre Abnehmer in Fernost haben, könnte dies der Transportweg der Zukunft werden, meint Christian Bonfils, Chef der "Nordic Barents"-Reederei. Morten Mejlænder-Larsen vom Schiffsversicherer "Det Norske Veritas" ist hingegen wesentlich skeptischer. Erst um das Jahr 2050, wenn nach den meisten jetzigen Prognosen das Polarmeer ganzjährig eisfrei sein könnte, werde diese Schiffsroute wirklich rentabel werden.
Die Investitionen in 50 Prozent teurere, extra verstärkte Spezialschiffe, die dann dort nur wenige Wochen oder Monate jährlich eingesetzt werden können, rechne sich also noch nicht. Und weil die Witterungsbedingungen einen zuverlässigen Fahrplan nicht zuließen, sei die Route erst einmal nur für Massengüter wie Erz und Öl geeignet, nicht aber für den Containerverkehr mit Konsumgütern.
Nicht nur UmweltschützerInnen hätten nichts dagegen, wenn sich diese Skepsis bewahrheitet. Es fehle sowohl entlang der Nordostpassage als auch an ihrem Gegenstück, der Nordwestpassage entlang der Nordküste Kanadas und Alaskas, die notwenige Infrastruktur, um einen zunehmenden Schiffsverkehr sicher abwickeln zu können, meint der kanadische Ozeanforscher John Falkingham. Das beginne schon bei ausreichend detaillierten Seekarten. In den vergangenen drei Wochen liefen gleich drei Schiffe in der Nordwestpassage auf Grund.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!