Neue Olympiasportarten: Fliegen, schlagen, stürzen
Acht Sportarten bewerben sich um einen Platz bei den Spielen 2020. Was sind das für merkwürdige Disziplinen, die ins olympische Programm wollen?
BERLIN taz | Platz zwölf! So gut war Simon Rösner noch nie in der Weltrangliste platziert. Er spricht vom Lohn für harte Arbeit, für das Geld und die Arbeit, die sein Vater in ihn und seine Karriere investiert haben. Simon Rösner ist Squash-Profi und er will mehr.
In die Top Ten möchte er natürlich, und vielleicht darf er eines Tages mal bei Olympischen Spielen seinen Schläger schwingen. Sollte Squash den olympischen Adelsschlag erhalten und 2020 zum Programm der Spiele gehören, wäre Rösner 35. Wenn der Körper mitspielt, könnte es klappen – vorausgesetzt, der Kongress des IOC, der im September in Buenos Aires stattfindet, macht Squash zur olympischen Sportart.
Über das Ringen, jenes Raufen nach Regeln, das schon im antiken Olympia betrieben wurde, ist viel berichtet worden. Es ist in Ungnade gefallen. Sein Platz im olympischen Programm wird neu besetzt. Neben dem Ringen, das gegen seine olympische Eliminierung kämpft, sind sieben Sportarten im Rennen: Karate, Klettern, Wakeboarden, Baseball mit seiner Frauenvariante Softball, Inlineskaten, Wushu und eben Squash.
Ausgerechnet Squash? Der Trendsport der 80er Jahre, als Millionen junger Menschen in der Bundesrepublik in private Sportcenter pilgerten, um einen weichen Gummiball mit einem leichten Schläger gegen die Wände eines Betonkäfigs zu dreschen, ist hierzulande ein wenig in Vergessenheit geraten. Squash ist out – in Deutschland.
Rösner erzählt von seinen Reisen in die gelobten Länder des Squashsports: „Im Malaysia werden die besten Spieler überall auf der Straße erkannt.“ Die malayische Weltranglistenerste Nicol David werde verehrt wie in Deutschland einst Steffi Graf. Auch in Ägypten seien Squasher Superstars. Ein ganzer Haufen Sportpromis unterstützt die Squash-Kampagne – die Spieler der englischen Rugby-Nationalmannschaft oder Roger Federer, der Schweizer Tennisheros.
Squash: Trendsport in den USA
Deutschland ist in der Tat ein schlechter Maßstab. In Polen ist Squash die Sportart mit den höchsten Zuwachsraten und in den USA an den Unis ein wahrer Trendsport. „Die Amis wissen auch, wie man so einen Sport präsentiert“, sagt Rösner und erzählt von dem gläsernen Court, der jedes Jahr mitten in New York in der Grand Central Station aufgebaut wird.
„Da geht der Sport zu den Menschen.“ Und irgendwann, so meint er, kommen die Menschen dann auch zum Sport. „Den Schläger und einen Ball kann man sich in jeder Anlage ausleihen. Eigentlich braucht man nur Sportschuhe“, meint Rösner. Und dann? Einfach draufhauen. Weil es so einfach ist. „Das kann wirklich jeder“, sagt er. Auch deshalb habe Squash einen Platz bei Olympia verdient.
Inlineskaten können auch viele. Es ist ein Freizeitsport. Der Rollsport als Wettkampfdisziplin hat indes nur bei den Stadtmarathons ein größeres Publikum – im Vorprogramm für die Läufer ohne Rollen an den Schuhen. Dass es so etwas wie Sprintrennen gibt, wissen oft nur Menschen, die in der Nähe einer dieser 200-Meter-Asphaltbahnen wohnen, auf denen die Wettbewerbe stattfinden.
Inline-Speedskaten als Nationalsport
„Dabei ist das zum Zuschauen echt toll“, sagt Mareike Thum, eine der besten deutschen Speed-Skaterinnen. „Weil es so viele Überholmanöver gibt, weil man die Geschwindigkeit sehen kann.“ Anderswo auf der Welt werde das Spektakel gewürdigt. In Kolumbien sei das Inline-Speedskaten Nationalsport. Es kämen Massen zu den Rennen. Sie freut sich schon auf die World Games, das Festival der nichtolympischen Sportarten. Die finden in diesem Jahr in Cali statt. Natürlich träumt sie von den wahren Spielen. Sie trainiert als Mitglied einer Sportfördergruppe der hessischen Polizei schon jetzt wie eine typische, deutsche Olympionikin.
Das macht auch Jonathan Horne. Er ist Sportsoldat und einer der besten Karateka der Welt. Beim Thema Olympia ist der viermalige Europameister zurückhaltend. „Wir waren ja schon fast mal drin, und dann ist doch alles anders gekommen“, erinnert er sich. Karate und Squash wollten eigentlich schon bei den Spielen von London im vergangenen Jahr olympisch sein. Sie stachen in einer Abstimmung alle anderen Bewerber aus und hatten am Ende doch zu wenig Befürworter im IOC. Jetzt nimmt der Kampfsport, bei dem Tritte, Stöße und Schläge nur angedeutet werden, einen neuen Anlauf. Das Faszinierende an dem Sport sei das Erlernen der totalen Körperbeherrschung, sagt Horne. Dafür brauche es vor allem Disziplin.
Ob das bei den olympischen Entscheidern so gut ankommt? Wollen die nicht eher die spaßigen Red-Bull-Sportarten hoffähig machen, um die Jugend der Welt, als deren Vertreter sie sich immer noch sehen, für die Ringe zu begeistern? „Dieses Gefühl, einen Moment über das Wasser zu schweben, ist einfach unbeschreiblich“, meint Sophia Reimers. Die amtierende Weltmeisterin im Wakeboarding ist Vollprofi und kann mit Sponsorenunterstützung ganz gut leben. Durchaus erstaunlich. Denn in Deutschland gibt es nur 70 Wasserskianlagen, an deren Kabeln die Wakeborder ihre Tricks vorführen können.
Klassische Olympionikin
Sportartspezifische Sponsoren helfen auch Juliane Wurm bei der Finanzierung ihrer Ausrüstung. Sie ist eine der besten deutschen Kletterinnen. Als Profi würde sie sich nicht bezeichnen. Sie studiert in Witten Medizin und glaubt nicht, dass sie noch wettkampfmäßig klettern wird, wenn sie ihre Ausbildung abgeschlossen hat. Im Gegensatz zu vielen Konkurrentinnen in ihrer Sportart ist sie beinahe eine Amateursportlerin im alten olympischen Sinn.
Das Sportklettern, so wie es in den Hallen, von denen auch in Deutschland immer mehr entstehen, betrieben wird, hat sich als Funsport etabliert und sich vom Natursport, den Juliane Wurm durchaus sehr schätzt weit entfernt. Allein in Köln gibt es mittlerweile acht Kletterhallen. Die Fans lieben es vor allem, wenn sie sehen, wie ein Sportler beim Klettern in großer Hohe scheitert, stürzt und vom Seil gehalten wird. Ist Bungee-Jumping auf den Weg nach Olympia? Sollte es so kommen, es wäre eine Entscheidung für das Spektakel.
Mit einem solchen kann Baseball nicht dienen. Der Sport hat vor allem in Europa Akzeptanzprobleme. Die einzige Mannschaftssportart, die sich um den freien Platz bei Olympia bewirbt, will es schaffen, ohne die Teilnahme der Profis der US-Liga MLB zu versprechen. Denen war Olympia immer schon egal, was als ein Grund dafür gilt, dass Baseball und Softball nach den Spielen 2008 in Peking aus dem Programm geworfen wurden.
Wushu: Tradition und Spektakel
In jenem Jahr präsentierte sich Wushu der Sportöffentlichkeit. Die chinesische Kampfkunstartistik, die ihre Wurzeln im Kung Fu hat, war in Peking Demonstrationssportart. Die Artisten mit oder ohne Schwert und Speer werben mit einer Verbindung aus Tradition und Spektakel und setzen auch auf die Popularität vom Martial-Arts-Filmen aus Hollywood. Der Chinese Jet Li, der seit dem Film „Fearless“ einer der Helden für die Freunde des Kampfkunstkinos ist, war Wushu-Champion, bevor er Schauspieler wurde.
„Ich glaube, wir haben gute Chancen“, sagt Urs Krebs über die Olympiachancen der Sportart, die während der Kulturrevolution in China ausradiert werden sollte. Der Wushu-Lehrer und Schweizer Funktionär war dabei, als sich die Kampfsportler am IOC-Sitz in Lausanne präsentiert haben. Das sei gut angekommen. Krebs verweist auf die Lobbyarbeit des Chefs des Internationalen Wushu-Verbandes. Der Chinese Yu Zaiqing war bis 2012 Vizepräsident des IOC. Er wird fleißig gewerkelt haben für seine Sportart.
Einen derartigen Funktionärsgiganten können die Konkurrenten im Ringen um Olympia nicht aufbieten. Präsident der World Squash Federation ist der Inder Narayana Ramachandran. Er ist nicht mal IOC-Mitglied.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin