Neue Musik von Knarf Rellöm: Von Außerirdischen befohlen
Das hanseatische Unikum Knarf Rellöm, neuerdings unter dem Namen Umherschweifende Produzenten aktiv, veröffentlicht „Elektronische Musik“.
Kaum ist Scheitern je so knapp beschrieben worden: „Ich entwerfe einen Masterplan / Vor mir / Ein leeres Papier.“ Gebetsmühlenartig wird der Satz wiederholt, fast wird es spannend: Kommt da noch was nach? Doch dann ist der Song zu Ende, das Blatt bleibt leer.
„Masterplan“ heißt dieser Auftakt zu dem Album „Elektronische Musik“, es stammt von dem Hamburger Duo Umherschweifende Produzenten, bestehend aus Knarf Rellöm und Manuel Scuzzo.
Sein wievielter Bandname Umherschweifende Produzenten ist, weiß Knarf Rellöm nicht auf Anhieb. Mit Huah!, der Hamburger Powerpopband, fing es in den Neunzigern zu goldenen Hamburger-Schule-Zeiten an. Es folgten diverse Pseudonyme in Kombination mit Knarf Rellöm – Ladies Love Knarf Rellöm, Knarf Rellöm with the Shi Sha Shellöm, Knarf Rellöm Trinity.
Das Ananym seines bürgerlichen Namens hat sich nicht nur durchgesetzt, sondern quasi naturalisiert. Man würde jedenfalls nicht auf die Idee kommen, ihn mit Frank Möller anzusprechen.
Umherschweifende Produzenten: „Elektronische Musik“ (From Lo-Fi to Disco/Broken Silence)
Nun ist er Teil der Umherschweifenden Produzenten, benannt nach einem Buch des neomarxistischen Politikwissenschaftlers Antonio Negri. „Das Buch habe ich nie verstanden, und um Musik geht es darin auch nicht, aber der Titel ist doch toll“, findet Rellöm. „Elektronische Musik“ ist das Debütalbum der beiden Künstler, und der Name ist Programm. Acht Songs mit größtenteils tanzbarem elektronischem Clubsound und deutlichen Krautrockanleihen, dazu deutsche Texte.
Nenn es Dada-Pop oder Electro Punk
Die können so knapp ausfallen wie bei „Masterplan“ oder einfach nur aus einzelnen Wörtern bestehen. Vergeblich suchen wird man jedenfalls nach einer traditionellen Strophe-Refrain-Struktur. Dada-Pop darf das genannt werden, oder Electro Punk. Rellöm ist beides recht.
Dada ist jedenfalls auch die Geschichte, die er zu der Entstehungsidee des Albums erzählt: „Es waren Außerirdische, die im Fernseher erschienen und uns befohlen haben, den Sound, die Titelnamen, alles.“ Im Fernseher, wirklich? Nicht vielleicht im Computer? „Nun, sie hätten zeitgemäß vielleicht aus dem Internet kommen müssen, aber sie kamen nun mal aus dem Fernseher.“
Abgesehen von dieser haarsträubenden Erklärung lässt sich an „Elektronische Musik“ recht viel Konkretes ausmachen. Liest man etwa die Namen der Songs quer, ist es, als würde man einzelne Wörter aus Zeitungsüberschriften ausschneiden: „Alternative Energie“, „Mobiles Telefon“, „Migration“, „Natur-Industrie“, „Problem/Lösung“. Knarf Rellöm ist hellauf begeistert, dass das auffällt: „Musik wie eine aktuelle Zeitung, yeah! Das kann wahrscheinlich nur Pop.“
Ähnlich wie viele Zeitungsartikel sollen auch die Texte auf dem Album „ohne Meinung und Gefühl“ sein, wie es sogar explizit auf dem Plattencover steht. Und so wie viele Zeitungsartikel sind sie eben doch untrennbar mit Meinungen und Gefühlen verbunden, selbst wenn sie vorgeben, objektiv zu sein.
Für den Songtext von „Migration“ etwa werden zunächst lediglich die Namen von Ländern in den Ring geworfen, die einem aus der Flüchtlingsberichterstattung wohlbekannt sind: „Marokko … Tunesien … Mali … Ghana … Syrien … Afghanistan …“ Dann geht es weiter mit den „Zielländern“: „USA … England … Griechenland … Italien … Deutschland …“ In der letzten „Strophe“ vernimmt man nur noch irgendwoher jemanden, der leise Namen von Planeten vor sich hin sagt.
Im Kopf der Hörerin hat sich da schon längst ein kompletter Diskurs entfaltet, der aber gar nicht explizit angesprochen wird. So wird einem die eigene Voreingenommenheit schmerzlich vor Augen geführt. „Man erwartet ja immer, dass Musik sich auf irgendeine Seite stellt“, sagt Knarf Rellöm. „Mit dieser Erwartung wird gebrochen.“ Zurück bleibt das dumpfe Gefühl, dass sich Mediendiskurse so tief in den eigenen Kopf gefressen haben, dass ein Denken außerhalb von ihnen wohl gar nicht mehr möglich ist. Diskurspop at its best.
Themen der Zeit in Musik verarbeiten
Rellöm sieht die Musik der Umherschweifenden Produzenten als Aktualisierung von Kraftwerk. „Was wir machen, bezieht sich nicht nur auf Kraftwerk und erinnert daran, es denkt deren Ansatz weiter“, erklärt er. Auch Kraftwerk hätten es immer verstanden, Themen der Zeit in ihrer Musik zu verarbeiten, ohne explizit zu werden. Unschwer lässt sich in dem Album „Elektronische Musik“ die Referenz zu Kraftwerk-Sound und -Texten ausmachen: „Radioaktivität / Für dich und mich im All entsteht“, heißt es bei Kraftwerk. „Alternative Energie / Für dich und mich“, heißt es bei den Umherschweifenden Produzenten.
Diese Einflüsse und Referenzen zeigen sich auf „Elektronische Musik“ also alles andere als subtil. Das ist mutig, denn Musik mit allzu konkreten Anlehnungen kann schnell in die Schublade mit der Aufschrift „Billige Kopie“ verräumt werden. Umherschweifende Produzenten umgehen diese Falle so unverkrampft, dass man gar nicht auf die Idee käme, zu fragen, warum eigentlich.
Rellöm kann sich hier auf jahrelange Expertise und seine Sozialisation in der Hamburger Schule verlassen. Referenzen, Zitate, Anspielungen – wenn die Hamburger-Schule-Konsorten eins gemeinsam haben, ist es wohl die entspannte Beherrschung dieser zentralen Elemente des Pop.
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