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Neue Luftschlösser rund um die Oberhavel

■ Gestern wurde das seit einem Jahr geheimgehaltene Großprojekt vorgestellt/ Satellitenstadt mit 18.000 Wohnungen, davon 40 Prozent Sozialwohnungen/ Noch keinerlei Absprachen mit den Umwelt- und VerkehrssenatorInnen getroffen

Spandau. In Spandau soll eine neue Satellitenstadt entstehen. 18.000 Wohnungen für rund 50.000 Personen und 30.000 Arbeitsplätze sollen nach den Plänen von Bansenator Wolfgang Nagel (SPD) auf einer Fläche von 200 Hektar rund um die Oberhavel nördlich der Spandauer Zitadelle gebaut werden. In diesem modernen Märkischen Viertel, der »Wasserstadt Berlin-Oberhavel«, sollen die Fehler der Vergangenheit vermieden und soll an den ökologischen Stadtumbau angeknüpft werden, so Nagel gestern auf einer Pressekonferenz. Das Bauvorhaben sei mit der Sanierung der Docklands in London vergleichbar. Die Finanzierung der Trabantenstadt, deren Geschoßhöhe nicht über sechs Etagen hinausgehen soll, werde durch eine »public-private-partnership« erfolgen, sagte Wirtschaftssenator Peter Mitzscherling. Rund 10 Milliarden DM sind veranschlagt. Unmittelbare Kosten für das Land Berlin entstünden nur rund 300 Millionen DM plus die Kosten für die Altlastenbeseitigung und eventuelle Industrieumsetzungen. Hinzu kommen noch die Kosten für die Infrastruktur, wie zum Beispiel für die geplanten 22 Kitas und fünf Schulen. Nagel rechnet mit 5 bis 10 Jahren bis Fertigstellung.

Wer sich die geplanten Wohnungen dann leisten kann, ist noch offen: Nur 40 Prozent der Wohnungen sollen Sozialwohnungen werden, so Nagel. Man könne »in solch einer hervorragenden Lage nicht nur sozialen Wohnungsbau anbieten«. Auch die Verkehrsplanung ist noch offen: Nach den Nagel-Plänen würde die 50.000-Einwohner-Stadt ausschließlich durch Busse und »Boote« an das öffentliche Nahverkehrsnetz angeschlossen. Der Schiffstransport — nach dem Vorbild Hamburgs — »biete sich geradezu an«. Eine Erweiterung der S-Bahn würde sich dagegen nicht lohnen, so Nagel.

Heute sind auf dem Gelände, daß durch zahlreiche Wasserstraßen zerschnitten wird, überwiegend flächenextensive Industrieanlagen sowie zahlreiche Altlasten vorhanden. BürgerInnen können nur an wenigen Stellen an das Havelufer heran. Zu 33 Prozent ist das Gebiet in öffentlichem Besitz, rund 50 Prozent gehören 14 Großeigentümern. In der letzten Zeit habe das Land noch weitere Flächen hinzugekauft, um den jetzt steigenden Grundstückspreisen zuvorzukommen. Zahlen wollte Nagel jedoch nicht nennen. Die Resonanz der kürzlich informierten Eigentümer auf die Pläne sei überraschend positiv: Die »wären ja bekloppt, wenn sie die Sachen so ließen«, sagte Nagel.

Bereits seit über einem Jahr arbeitet das Architektenteam »Leibnizgruppe« im Auftrag Nagels und unter Ausschluß der Öffentlichkeit an den Plänen. Die bisherige Geheimhaltung reichte sogar so weit, daß die Senatorin für Stadtentwicklung und Umweltschutz, Michaele Schreyer, bis gestern nicht über das Großprojekt informiert wurde. Schreyers Mitarbeiter Dolf Straub formulierte auf Anfrage die Reaktion im Hause: »Wir sind natürlich erst mal geplättet.« Es sei unerträglich, daß Nagel sich um Projekte wie diese Luftschlösser kümmere, anstatt sich um Defizite bei der S-Bahn-Planung zu bemühen. Rochus Görgen

Die Projektpläne sind bis zum 7.12. in der Zitadelle in Spandau ausgestellt. Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag von 12 bis 20 Uhr; Samstag und Sonntag von 10 bis 20 Uhr.

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