Neue Kohlekraftwerke: Gabriel sucht den "Kohle-Frieden"
Der SPD-Umweltminister will im Wahlprogramm strenge Auflagen für Kohlekraftwerke festschreiben - und damit seinen Dauerstreit mit den Umweltverbänden beenden.
Bisher lagen beim Thema Kohle Welten zwischen dem Umweltminister und der Umweltbewegung. Weil Sigmar Gabriel (SPD) nichts gegen die von der Stromindustrie geplanten 30 neuen Kohlekraftwerke unternehmen wollte, griffen Greenpeace, BUND und Co. den Minister regelmäßig scharf an. Der revanchierte sich mit dem Vorwurf, die Umweltaktivisten seien "unsachlich" und naiv. Oder er ging ihnen - wie noch kürzlich bei einer geplanten Unterschriftenübergabe in Berlin - einfach aus dem Weg.
Nun schlägt der Umweltminister plötzlich ganz andere Töne an. "Wir sollten uns darauf verständigen, den Streit bei der Kohle nicht in der Härte wie bisher fortzuführen", sagte Gabriel am Donnerstagabend beim Berliner Sommerfest von Greenpeace. "Eine solche Auseinandersetzung nutzt nur der Gegenseite."
Bereits bei einem Gespräch vor zwei Wochen soll Gabriel den Umweltverbänden gegenüber angekündigt haben, dass er seine bisherige Position zu neuen Kohlekraftwerken revidieren wird. Inzwischen hat der Minister beim SPD-Parteivorstand einen Antrag für das Wahlprogramm eingereicht, der seine neuen Vorstellungen darstellt. Demnach sollen die neun bereits im Bau befindlichen Kohlekraftwerke wie geplant weitergebaut werden. Für alle weiteren würden aber strenge Bedingungen gelten: "Neue und noch nicht im Bau befindliche Kohlekraftwerke sollen in Zukunft nur noch dann genehmigt werden, wenn sie über eine Abscheide- und Abspeichertechnik für CO2 verfügen. Diese sogenannte CCS-Technik (Carbon Capture and Storage) wird derzeit erprobt. Großtechnisch dürfte das Verfahren aber kaum vor 2020 zur Verfügung stehen. Weil es zudem sehr teuer ist, bezweifeln Experten, dass CCS-Kraftwerke überhaut wirtschaftlich betrieben werden können. Zumal Strom aus Wind- oder Solaranlagen laut den Prognosen bis dahin deutlich billiger sein wird als aus Kohlekraftwerken. Gabriels Forderung kommt damit faktisch einem Kohle-Moratorium gleich.
Auch die weiteren Anforderungen im Antrag verschlechtern die Bedingungen für die potenziellen Betreiber erheblich: So sollen erneuerbare Energien weiterhin Vorrang vor Strom aus fossilen Brennstoffen haben. Weil die Produktion aus Wind, Wasser und Sonne weiter wächst, müssen die Kohlekraftwerke immer häufiger heruntergefahren werden, damit nicht zu viel Strom produziert wird. Zudem soll schon in der nächsten Legislaturperiode festgelegt werden, wie viel CO2 die Energiekonzerne nach 2020 insgesamt ausstoßen dürfen, damit das Klimaziel für das Jahr 2050 erreicht werden kann. "Kein Betreiber wird sich 2019 auf Bestandsschutz berufen können und sagen, er wusste von nichts", machte Gabriel klar.
Der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) reagierte positiv auf Gabriels Vorstoß. "Es nützt der politischen Glaubwürdigkeit des Ministers, dass er seine Position revidiert hat", sagte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger der taz. "Wenn er sich mit dieser Position durchsetzt, wäre ein zentraler Konflikt entschärft." Auch die Klimaexpertin des WWF, Regine Günther, äußerte sich zufrieden. "Das ist eine spektakuläre Ankündigung, die wir begrüßen." Wenn sich der Vorschlag durchsetze, laufe er auf das von vielen Verbänden geforderte Moratorium hinaus.
Vorsichtiger fällt die Einschätzung der Deutschen Umwelthilfe (DUH) aus. "Das Papier des Ministers gibt nicht das Ergebnis unserer Besprechung wieder", sagt Geschäftsführer Rainer Baake. Die DUH plädiere daher für eine genaue Prüfung der Vorschläge und eine gemeinsame Stellungnahme der Verbände. Auch Greenpeace sieht zwar eine positive Entwicklung, will sich aber noch nicht auf einen "Kohle-Frieden" mit dem Minister festlegen, sondern zunächst ein weiteres Gespräch abwarten.
Bisher steht im Entwurf des SPD-Wahlprogramms noch ein Bekenntnis zu Kohlekraftwerken. Zum Thema CCS findet sich derzeit lediglich die Forderung, diese Technik zu erproben und "zum Durchbruch zu bringen". Ob Gabriels Vorschlag ins Programm aufgenommen wird, darüber entscheidet zunächst eine Programmkommission und dann der Parteitag am 14. Juni.
Widerstand dürfte vor allem vom Wirtschaftsflügel und aus den Kohleländern NRW und Brandenburg kommen. Andererseits setzen Umweltpolitiker aus der Partei bisher teilweise darauf, den Bau neuer Kohlekraftwerke durch höhere Effizienzkriterien zu verhindern statt durch das Einfordern der umstrittenen CCS-Technik.
Gabriel jedenfalls zeigte sich beim Greenpeace-Sommerfest erfreut über den ungewohnten Applaus - und überzeugt davon, tatsächlich Verbündete für den bevorstehenden Wahlkampf gewonnen zu haben: "Wir sollten uns gemeinsam für die Schlacht wappnen, die im September wirklich geschlagen wird: die Schlacht um den Atomausstieg."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“