Neue Klimaerkenntnisse: Auch der Südpol heizt sich auf
Im ewigen Eis der Antarktis steigen die Temperaturen doch. Das in der Westantarktis gespeicherte Wasser könnte den Meeresspiegel weltweit um rund fünf Meter ansteigen lassen.
Eigentlich gilt die Antarktis bei den Meteorologen und Klimaforschern als der einzige Kontinent, dessen Klima noch nicht auf die gestiegene Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre reagiert hat. In weiten Teilen des Landesinneren ist es in den letzten Jahrzehnten sogar nachweislich kälter geworden. Nur von der relativ kleinen antarktischen Halbinsel, die gegenüber von Feuerland gelegen ist, war bisher bekannt, dass sich dort seit den 1950er Jahren die Jahresmitteltemperatur drastisch erhöht hat. Der sechste Kontinent unterscheidet sich damit erheblich von der Arktis, wo die Erwärmung in den letzten Jahrzehnten über dem globalen Durchschnitt lag. Doch dieses Bild muss nun revidiert werden. US-Forscher haben verschiedene Datensätze von Wetterstationen und Satellitenmessungen kombiniert und kommen zu dem Ergebnis, dass sich die Antarktis von 1956 bis 2006 erwärmt hat, und zwar insbesondere die Westantarktis.
Als Westantarktis werden jene Teile bezeichnet, die in der westlichen Hemisphäre liegen, also südlich des Atlantiks, Amerikas und des Ostpazifiks. Die Studie wurde letzte Woche im britischen Wissenschaftsmagazin Nature veröffentlicht. Demnach hat sich die Westantarktis in den letzten 50 Jahren um immerhin 0,1 Grad Celsius pro Jahrzehnt erwärmt, was sogar etwas mehr als der globale Durchschnitt ist. Am stärksten war die Erwärmung im Winter und im Frühling.
In der Ostantarktis ist die Erwärmung über diesen Zeitraum dagegen sehr gering ausgefallen. Dennoch scheinen die Ergebnisse auf den ersten Blick früheren Arbeiten zu widersprechen. Für die letzten Jahrzehnte haben verschiedene Wissenschaftlergruppen eine Abkühlung der Ostantarktis mit gut gesicherten Daten nachgewiesen.
Auch eine Erklärung gibt es dafür. Im Jahr 2002 haben die beiden US-Meteorologen David Thompson und Susan Solomon im Fachblatt Science einen Zusammenhang mit verstärkten Westwinden nachgewiesen, die einerseits dem Südzipfel Südamerikas und der antarktischen Halbinsel mehr Wind bringen, aber andererseits vor allem die Ostantarktis von wärmeren Luftströmungen isolieren.
Die Ursachen für die verstärkten Westwinde sind interessanterweise Veränderungen in den Luftströmungen der Stratosphäre, das heißt in Höhen von zehn Kilometern und mehr, die für gewöhnlich kaum Einfluss auf das Wettergeschehen am Boden haben.
Die Veränderungen bei diesen Höhenwinden gehen wiederum auf den Abbau des Ozons, auf das sogenannte Ozonloch zurück, das sich regelmäßig im Sommer über der Antarktis bildet. Mit anderen Worten: Auf sehr spezielle Weise und vermittelt über mehrere Zwischenschritte wirkt der Ozonschwund lokal zeitweise der Erwärmung entgegen.
Das ist allerdings auf jeden Fall ein Phänomen, das auf die Ostantarktis beschränkt ist, wie unter anderem die neue Arbeit zeigt. Einer der Autoren, Eric Steig von der University of Washington in Seattle, USA, weist in seinem Blog darauf hin, dass seine Ergebnisse nicht unbedingt im Widerspruch zu den Arbeiten von Thompson und Solomon stehen. Der regelmäßige sommerliche Abbau der Ozonschicht, hervorgerufen durch die langlebigen FCKW-Gase, hat erst Anfang der 1980er begonnen. Wird also das Zeitintervall unterteilt, dann kann man auch mit dem Datensatz von Steig und Kollegen feststellen, dass es in der Ostantarktis seit den 1970er Jahren kälter geworden ist.
Was bleibt, ist eine deutliche Zunahme der Temperaturen in der Westantarktis, die auch von anderen Arbeiten aus jüngster Zeit bestätigt wird. Andy Monagan vom Byrd Polar Research Center in Columbus, USA, berichtete zum Beispiel im letzten Dezember auf der Herbsttagung der American Geophysical Union davon, dass der Trend sich in den letzten Jahren verstärkt habe und das Jahr 2007, das in der Arbeit von Steig und Kollegen keine Berücksichtigung mehr fand, in weiten Teilen der Westantarktis das wärmste je gemessene Jahr gewesen ist.
Was diese Forschung so interessant macht, ist die Tatsache, dass in den Eismassen der Westantarktis genug Wasser gespeichert ist, um den Meeresspiegel weltweit um rund fünf Meter ansteigen zu lassen. Und dieses Eis liegt weitgehend auf einem Untergrund, der sich unter dem Meeresspiegel befindet, zum Teil sogar weit unter dem Meeresspiegel.
Man kann sich vorstellen, dass das keine allzu stabile Konstellation ist. Eine Mischung aus Erwärmung und Anstieg des Meeresspiegels, zum Beispiel wegen des Abtauens der grönländischen Gletscher, könnte dieses fragile Gleichgewicht leicht stören. Kenntnisse der Entwicklung und ein Verständnis der Prozesse im Eis der Antarktis sind also für hunderte von Millionen Küstenbewohner in aller Welt von enormer Bedeutung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag